Der König im Norden1

[331] Es war ein König im Norden

Gar stolz, gewaltig und reich;

Ihm gleich ist keiner geworden,

Und nie wird einer ihm gleich.


Und als es galt zu sterben,

Er saß am öden Meer,

Es schlichen herbei seine Erben,

Der Wolf, die Eule, der Bär.


Da sprach er zum zottigen Bären:

»Dir laß ich Forst und Wald;

Kein Jagdherr wird dich stören

Im luftigen Aufenthalt.«


Und weiter sprach er zur Eule:

»Ich lasse sonder Zahl

Dir Burgen und Städte, verteile

Sie deinen Töchtern zumal.«


Und sprach zum Wolfe desgleichen:

»Dir laß ich ein stilles Feld,

Mit Leichen und aber Leichen,

So weit ich geherrscht, bestellt.«


Und wie er solches gesprochen,

So streckt' er sich aus zur Ruh, –

Ein Sturm ist angebrochen,

Der deckte mit Schloßen ihn zu.

1

Ich schmücke mich mit fremden Federn. Dieses Gedicht ist eigentlich von Julius Curtius; ich habe es nur beim Abschreiben unbedeutend in den Worten verändert.

Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 331.
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