Die närrische Zeit

[854] Es ist noch gutding nächtig in der Schlafkammer vom Einödbauern und seiner Hausfrau.

Er liegt schnarchend und grohnend schier überzwerch auf seiner Lagerstatt; die Bäuerin hat noch vom Nachtsegen her die Händ verschlungen und lehnt so still und ehrbar in den hochaufgerichteten Kissen und Polstern, daß man wähnt, sie wär eine selig im Herrn entschlafene Leich.

Draußen vor dem offenen Fenster in den blühenden Obstbäumen ducken sich die Vögel zusammen, haben die Köpfe tief unter den Federn und tun noch den guten, gesunden Morgenschlaf.

Da fängt's von der fernen Pfarrkirch her zu läuten an.

Die Einödbäuerin schreckt in die Höh.

»Chrischtoff! – Laitn tuat ma! – Mitten bei der Nacht!«

Der Bauer hört zu schnarchen auf und sagt schlaftrunken:

»Werd scho anorts wo brinna!«

Und dreht sich um und will weiterschnarchen.

Aber es hört nicht auf zu läuten, ja – es mischen sich frei auch noch die Kapellenglöckel ringsum darein.

Die Einöderin setzt sich horchend auf.

Draußen kreischen und zirpen die Vögel verschlafen; eine Amsel pfeift aufschreckend.

Die Bäuerin reibt sich die Augen.

»Jetz kann ma do no net früahlaitn! – He, du, Chrischtoff!«

Der Bauer schnarcht wieder.

»Du! Chrischtoff! – Moanst, daß ma scho 's Gebet lait't?«

Der Einöder fährt tappend mit dem Arm durch die Luft:

»Hat der Gockl scho kraht?«

»Na ...«

»Nachher läut't ma aa 's Gebet no net.«

Er wirft sich brummend wieder herum.[854]

Aber es klingt und läutet von überall her, so daß er endlich scheltend aus dem Bett springt und nach der Wanduhr schaut.

Die schlägt grad im selben Augenblick: eins – zwei – drei.

»Dees versteh i net«, sagt der Einöder kopfschüttelnd; »was die um drei in der Nacht zum laitn ham.«

Und er will sich wieder hinlegen.

Aber da kommt die alte Großmutter über die Stiegen herabgeschlurft, klopft an die Kammertür und knerrt: »Ha, daß 's denn gar net aufstehts! – Jetz is's scho viere! – Allweil no fäuler werds! – Dees wenn inser Vater – Gott gib eahm an Fried – sehgn tat ...«

Krach! Der Bauer hat den Stiefelzieher an die Kammertür geworfen.

»Mein Ruah, sag i! – I brauch koa Predi' in der mittinga Nacht!«

Die Einöderin legt seufzend Kittel und Spenzer an und geht in den Stall zum Melken.

Aber – da liegt das Vieh alles noch schlafend auf der Streu und erhebt sich nur widerwillig und brummend auf ihr grantiges: »He! Auf da, ös Ranka!«

Hinten in der Hühnersteigen sitzen die Hennen und Gickerl dicht aneinandergeschmiegt auf der Stange, und der Gockel hockt oben auf seinem Platz – schlafend und pipsend.

Da schreit die Bäuerin ihr: »He! Auf da!«

Erschrocken fährt alles in die Höhe. Verlegen treten die Hennen von einem Fuß auf den anderen, – schlagen die Gickel mit den Flügeln, – kräht der Gockel ein heiseres Kickeriki.

Aber da öffnet auch schon die alte Einödermutter den Hühnerschlag, ruft lockend ihr »Dihsä! Dihsä! Di di di di!« und stellt den gefüllten Futtertrog vor die Stalltür.

Da werden sie gähnend munter, die Hennen; und der[855] Gockel schlägt hitzig mit den Flügeln und kräht und schreit, daß die jungen Gickel und Hähndl gleichermaßen mit ihrem Frühruf anheben und also den Tag melden.

Derweil hat der Bauer grohnend und scheltend die Lagerstatt verlassen und nimmt sich sein Tagwerk für, während er seine Sackuhr mit der Wanduhr vergleicht.

»Alsdann, weils scho gleich is: jetzt mist' i aus, nachher schneid i 's Gsoott, na tua i no a Stund Holz hacka – und nachher muß i a so auf Bahn; heunt is ja der Deixlsprozeß mit dem Hansdampf da drentn, z' Reuth!«

Unterm Kaffeetrinken gibts noch eine Zwistigkeit zwischen ihm und der alten Großmutter. Es läutet grad wieder; da sagt die Alt: »Da! – Jetz lait't ma scho in d' Kirch! – So guatding spat aufgstanden seids wieder!«

Der Bauer aber erwidert grob: »An Fried will i habn! Du lait'st aa in d' Kirch! – 's Gebet laitn tuat ma jetz! – Daß d' es woaßt! –«

»Soo, – was hat ma na zerscht glait't? «

»Vo mir aus d' Metten!«

Die Einöderin mischt sich drein: »I moan scho aa, Muatta, daß d' in an Irrtum bist; es werd halt anorts wo brinnt habn!...«

»Oder mir hat der Muatta an Tag o'glait't!« sagt der Einöder spöttelnd; »'s O'blasen und 's O'singa kaam jetz z'teur!«

Die Alte brockt zornig ein.

»Du brauchst mi gar net so hart z' reden! I hab mi meiner Lebtag nach'm Gebetlaitn gricht't, – und i tua 's heunt no. – Du kannst es ja anderscht macha! – Du bist ja a so a ganz a Gscheiter.«

Im selben Augenblick schlägt die Stubenuhr fünfmal.

»Da, – richt liaber dei Uhr, daß s' net allwei um a Stund z' spat geht!« brummt sie. Und sie ißt hastig zu End.

Aber der Einöder hält ihr seine Sackuhr unter die Nase:[856]

»Du gehst aa z' spat! – Fünfe is's und koan Strich net mehra! – Und jetz will i mein Ruah – sinst wer i grob.«

Worauf er an die Arbeit geht, – die Bäuerin in der Milchkammer werkt, – die Alte aber sich auf den Weg zur Kirche nach Reuth macht. –

Da die Stockuhr der Einöderin auf sieben zeigt, fällt dieser ein, daß um acht Uhr in der Reuther Kirche das Seelenamt für die tote Urzin von Rieden ist.

Die Urzin aber war die Firmgödin der Einöderin.

Also legt sie eilends ihr schwarzes Feiertagsgewand an und schreit hinaus zum Bauern: »Chrischtoff! – He, du! – Muaßt net heunt aufs G'richt?«

Der Einöder wirft giftig das Hackl weg.

»I kimm scho!«

Während er sich anzieht, gibt sie ihm allerhand Ratschläge.

»Also, – verstehst, – zahln tuast gar nix! –

Koan Pfenning zahlst net! – Nachweisn kann er dir ja nix, der Lippe! – Sagst ganz oafach: Du hast eahm sein Zaun net umgfahrn, – du bist zu derer Zeit überhaupts net z' Reuth gwen, sagst! – Du woaßt nixn, sagst! –

Und zahln tuast gar nixn!« – – –

Aber – er hat ihn halt doch zahlen müssen, den Zaun. – Denn wie sie nach Reuth kamen, schlug's neun Uhr. –

Und die Kirche war schon aus – und der Zug schon weg – und man schrieb jetzt eine neue Zeit, die preußische Sommerzeit. –

Also hatte die Großmutter recht, – die Bäuerin Verdruß, – und der Bauer die Kosten – und einen Rausch.

Ein Glück, daß sie bald wieder abgeschafft wurde, die närrische Zeit![857]

Quelle:
Lena Christ: Werke. München 1972, S. 854-858.
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