Elisabeth

[104] Du bist nicht schön ... Ich könnte auch nicht sagen,

Daß ich dich liebte ... Denn oft Stunden, Tage,

Oft ganze Monde denk' ich deiner kaum,[104]

Wenn meine Seele heißere Reize sucht,

Nach Glut und Leidenschaft, nach Schönheit dürstet –

Im Taumel schrankenloser Hingebung

Sich ganz verzehren möchte ...


Du bist nicht kalt, Elisabeth – nein! nein!

Doch meine Seele liebt das Bacchanal,

Da die Gefühle durcheinanderschäumen,

Gen Himmel schießen, in verzückter Brunst

Sich lodernd um die Frucht des Staubes klammern ...


Ich weiß: in diesem Sinne geh' ich unter –

Das ist Bestimmung, tiefste Herzenssatzung ...

Und, wenn mich einer retten könnte: du –

Nur du wohl wärest dann mein guter Engel ...


Doch siehe: Sehnsucht nur –

Geheimnisvolle Sehnsucht, die mir manchmal

Nach deiner edlen Herbheit in die Seele,

Die überreizte, tritt: sie kann allein doch

Uns nicht für immer aneinanderschmieden ...

Mitunter wohl wär' ich es ganz zufrieden –

Ich geb' es zu! – wenn die Penaten grade,

Des Herdes würd'ge Götter, mir voll Gnade ...


Doch dann kommt's über mich – reißt mich der faustsche Drang

Unwiderstehlich in die Gärten, da

Das Leben seine goldnen Stunden feiert –[105]

Es rauscht Musik – in der Mazurka Weisen

Jauchzt Chopins glutgeborstnes Herz sich aus –

Die Brunnen tönen – durch das Dunkel bebt

Geflüster, und die Sternenfeuer leuchten –

Des Frühlings warmer Atem tastet brünstig

Um der brunsttrunkenen Erde üpp'ge Glieder:

Dann müßt' ich von dir gehen, meinem Sterne

Nachziehen unstet, und mein Herz gehörte,

Elisabeth, nicht dir und deinem Herde!

Die Enge würde mich zerlasten, würde

Sich auf mich wälzen wie voll erzner Bürde ...

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –


Laß mich in deinen Kreis nur manchmal treten,

Wenn ich ermüdet heimatwärts mich sehne –

Dann trocknest du vielleicht mir eine Träne –

Und tröstest mich mit einigen Pasteten ...


Und unter Weinen, Lachen, Witzereißen

Lern' ich's, mein Elend gründlich zu verbeißen –

Lern' ich's, mich wieder auf mich zu besinnen

Und meine Freiheit – lieber zu gewinnen ...

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Quelle:
Hermann Conradi: Gesammelte Schriften, Band 1: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen, München und Leipzig 1911, S. 104-106.
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