Totensang

[122] Der Nachtwind heult dir den Totensang –

Nun schlaf, mein Bruder, nun schlaf!

Und ob deine Seele auch Flammen trank,

Der Hieb des Todes, er traf!

Und ob deine Seele auch Welten barg

Und jauchzend zum Lichte sich rang:

Nun liegst du im Grunde, in faulendem Sarg –

Der Kelch deiner Seele zersprang!


Mit leuchtender Stirn, mit flammender Brust,

Zogst du: ein junger Achill!

Und warfest die Hallen, da feiler Wust

Die heiligen Bilder befiel –

Da lauernder Schlangen giftspeiender Zahn

Zerrissen, was edel und groß:

Du warfest sie nieder auf siegender Bahn

Mit heldenhaft markigem Stoß!


Wir jauchzten dir zu in brünstiger Glut

Und packten das blitzende Schwert!

Der verkauften Seelen Würmerbrut,

Von eklem Staube genährt:

Wir trieben sie aus! Mit gellendem Schrei

Entstob das verhurte Gesind'! ...

Doch weiter, nur weiter! Durch Nebel und Mai,

Durch Regen und Sonne und Wind:


So flogen wir hin auf dampfendem Roß,

Wir Kämpfen für Freiheit und Licht! ...[123]

Da fiel der hirnversengende Stoß,

Der's Herz mir stückweis bricht –

Es schlich der nackte, der fahle Tod

Zu deinem Herzen sich hin –

Da lagst du im fahlen Morgenrot –

Zerbrochen das Schwert und die Brünn'. –


Zerbrochen die lichte, die jauchzende Brust:

Fahr wohl, mein Bruder, fahr wohl!

Versprüht die lodernde Kampfeslust –

Zertrümmert das hehre Idol! ...

Wir saßen und sannen in stummer Qual

Und starrten auf deinen Leib –

Dann gaben wir ihn, das Antlitz fahl,

Den Würmern zum Zeitvertreib ...


Sie mögen ihn schmausen in köstlichem Mahl –

Leb wohl, mein Bruder, leb wohl!

Wir streiten, die Faust im blitzenden Stahl,

Für der Freiheit leuchtend Symbol!

Und sticht auch der Wahnsinn in unser Hirn –

Nur weiter durch Nebel und Nacht!

Dort frißt der Staub die begnadete Stirn –

Wir rasen dämonenumlacht!


Noch strömt in unsern Adern die Glut,

Die alles Hohle zerschlägt –

Noch packt uns wilder Titanenmut,

Der auf zum Himmel uns trägt!

Noch türmen wir jauchzend mit markiger Faust[124]

Die Berge zum Götterpalast:

Und ob uns der Blitze Gesindel umsaust –

Die Nacht der Wolken uns faßt:


Wir schwuren an deines Grabes Rand

Den Kampf für Freiheit und Licht!

Wir stürzen mit unbarmherziger Hand,

Die nimmer segnet, nur bricht,

Die Tempel, die Hallen, da Spöttergezücht

Auf goldenen Thronen regiert –

Da wirbelt der Staub! Da verzerrt das Gesicht

Der Schächer, wenn er krepiert!


Wir holen auch dich von prunkender Höh',

Verfaultes Götzengeschlecht!

In unserer Brust, da flutet die See

Des Hasses! Da thront nur das Recht!

Und dieser Haß zertrümmert auch euch

Und fegt euch nieder zu Tal –

Die Rache baut sich ein furchtbar Reich

Aus eurem Sündensaal! ...


Der Nachtwind heult dir den Totensang:

Nun schlaf, mein Bruder, nun schlaf!

Und ob deine Seele auch Flammen trank:

Der Hieb des Todes – er traf!

Und ob du auch faulst in nächtigem Schacht:

Deine Kraft durchquillt unser Herz. –

So ziehen wir weiter durch Nebel und Nacht –

Durch Dunkel morgenwärts!

Quelle:
Hermann Conradi: Gesammelte Schriften, Band 1: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen, München und Leipzig 1911, S. 122-125.
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