Johann Michel und Catharina Wolder

5. Brachmon. 1651.


Wer soltt' es können gläuben,

Daß alle Fertigkeit

Im singen oder schreiben

Mir abliegt manche Zeit?

Mein Geist geht wie in Ketten,

Vnd wüst' ein guter Reim

Das Leben mir zu retten,

So ist er nicht daheim.


Seht, jetzund zürnt jhr wieder

Aus blossem Eigen-wahn,

Ich fleh euch, meine Lieder,

Ihr kehrt euch nicht daran.

Kein Adler gleicht im fliegen

Bisweilen ewrer Fahrt,

Bisweilen bleibt jhr liegen

Vnd habet Schnecken-Art.


Ich mus aus Scham erröhten,

Nun jhr mir wollt entstehn,

Ja thät es nicht von nöhten,

Ich liess' euch immer gehn,

Der ich mich dem befinde

Verstrickt als keinem mehr,

Macht Hochzeit seinem Kinde

Der thewre Herr Wolder.


Wie reichlich ich vor Jahren

Genossen seiner Hand,

Hat, wie jhr wisst, erfahren

Der Elb- vnd Pregel-Strand,

Er ist die Seelen-Pflege

Der gantzen Alten Stad,

Wo Gott sein Wort-Gehege

Vnd lieben Schaffstall hat.


Er treiffelt Milch vnd Oele.

Wenn er die Stimm erhebt,

Stärckt sich die matte Seele,

Das Reich der hellen bebt,

Der Tod mus sich verstecken,

Der dreygeköpffte Hund

Begiebet sich aus Schrecken

Bis auff Cocytus Grund.


Des Bräutgams zu gedencken,

Mus jhm der Jugend fleis

Nicht Rhum vnd Ehre schencken?

Er ist der Aertzte Preiß.

Wär uns sein frommes Leben

Vorhin nicht gnug bekant,

Es köntte dessen geben

Ein Zeugnis Niederland.


Bey solchen schönen Sachen

Entsaget jhr mir gar,

Vnd wollt kein Braut-Lied machen,

Ey, habt ein gutes Jahr!

Was ist an euch gelegen?

Der Hochzeit Licht vnd Schein

Bringt wol in hundert wegen,

Daß jhr gebrechet, ein.


Es hat sich herbegeben

Der Raht vnd das Gericht,

Die Bürgerschafft daneben,

Vnd keine Zunfft gebricht,

Was irgends weis zu dienen,

Lahck, Stein-Tamm allerseit,

Die Hübner sind erschienen

Bey dieser Fröligkeit.


Die Frewde junger Leute,

Der Tantz wird auch gehört,

Der durch so manche Beute

Der Liebe Reich vermehrt.

Die Ceres schencket Leben

Vnd Anstand aller Pein,

Der Safft der edlen Reben

Wil vnverfälschet seyn.

Quelle:
Simon Dach: Gedichte, Band 1, Halle a.d.S. 1936, S. 267-268,271.
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