|
5. Brachmon. 1651.
Wer soltt' es können gläuben,
Daß alle Fertigkeit
Im singen oder schreiben
Mir abliegt manche Zeit?
Mein Geist geht wie in Ketten,
Vnd wüst' ein guter Reim
Das Leben mir zu retten,
So ist er nicht daheim.
Seht, jetzund zürnt jhr wieder
Aus blossem Eigen-wahn,
Ich fleh euch, meine Lieder,
Ihr kehrt euch nicht daran.
Kein Adler gleicht im fliegen
Bisweilen ewrer Fahrt,
Bisweilen bleibt jhr liegen
Vnd habet Schnecken-Art.
Ich mus aus Scham erröhten,
Nun jhr mir wollt entstehn,
Ja thät es nicht von nöhten,
Ich liess' euch immer gehn,
Der ich mich dem befinde
Verstrickt als keinem mehr,
Macht Hochzeit seinem Kinde
Der thewre Herr Wolder.
Wie reichlich ich vor Jahren
Genossen seiner Hand,
Hat, wie jhr wisst, erfahren
Der Elb- vnd Pregel-Strand,
Er ist die Seelen-Pflege
Der gantzen Alten Stad,
Wo Gott sein Wort-Gehege
Vnd lieben Schaffstall hat.
Er treiffelt Milch vnd Oele.
Wenn er die Stimm erhebt,
Stärckt sich die matte Seele,
Das Reich der hellen bebt,
Der Tod mus sich verstecken,
Der dreygeköpffte Hund
Begiebet sich aus Schrecken
Bis auff Cocytus Grund.
Des Bräutgams zu gedencken,
Mus jhm der Jugend fleis
Nicht Rhum vnd Ehre schencken?
Er ist der Aertzte Preiß.
Wär uns sein frommes Leben
Vorhin nicht gnug bekant,
Es köntte dessen geben
Ein Zeugnis Niederland.
Bey solchen schönen Sachen
Entsaget jhr mir gar,
Vnd wollt kein Braut-Lied machen,
Ey, habt ein gutes Jahr!
Was ist an euch gelegen?
Der Hochzeit Licht vnd Schein
Bringt wol in hundert wegen,
Daß jhr gebrechet, ein.
Es hat sich herbegeben
Der Raht vnd das Gericht,
Die Bürgerschafft daneben,
Vnd keine Zunfft gebricht,
Was irgends weis zu dienen,
Lahck, Stein-Tamm allerseit,
Die Hübner sind erschienen
Bey dieser Fröligkeit.
Die Frewde junger Leute,
Der Tantz wird auch gehört,
Der durch so manche Beute
Der Liebe Reich vermehrt.
Die Ceres schencket Leben
Vnd Anstand aller Pein,
Der Safft der edlen Reben
Wil vnverfälschet seyn.
Buchempfehlung
Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro