Jung Sigurd

[279] Jung Sigurd war ein Wikinger stolz,

Der fuhr in den Sturm mit Lachen,

Und schwang er die Lanze von Eschenholz,

Da mußten die Schilde zerkrachen:

Die Traube von Chios, das Gold von Byzanz,

Begehrte sein Herz und sein Hammer gewann's.


Doch priesen die Freunde den blühenden Leib

Der Römerin, die sie gefangen,

Und lobt ihm ein andrer sein ehelich Weib,

Das daheim sein harre mit Bangen,

Und sprach ihm von Lieb' und von Liebesglut, –

Laut lachte jung Sigurd wie brandende Flut.


– »Mein schwellendes Segel hat weißere Brust

Als euere Buhlen, ihr Schelme,

Mir ist kein Weiberauge bewußt

So licht wie der Stein hier am Helme,

Und lüstet nach lieblicher Süße mein Mund,

So schlürf' ich den feurigen Wein von Burgund.


Ja, stieg', umflossen von Asgardhs Licht,

Mir Freya selber hernieder, –

Fürwahr, ich höbe die Wimper nicht,

Zu schau'n die unsterblichen Glieder:

Wenn je mir ein Sehnen die Schönheit weckt,

So werde mit Nacht dies Auge bedeckt.« –


Und sie landen am öden Felsengestad

Im Strahl mittäglicher Sonnen: –

Jung Sigurd schweift auf verlassenem Pfad,

Da lockt ihn der rieselnde Bronnen

Und als er schreitet zum Quellenrand,

Da steht ein Mädchen im Bettlergewand;
[280]

Wohl birgt sie der Schleier, wohl deckt sie der Rock,

Doch es schimmern so schneeig die Füße,

Und es glänzt durch die Hülle wie golden Gelock

Und die Stimme, wie klingt sie so süße!

Und als sie zum Trunke den Krug ihm bot, –

Da wurden die Wangen ihm bleich und rot:


Und es wallte sein Blut und sein Herz schlug laut

Und er rief: »O lege geschwinde,

Auf daß mein verlangend Auge dich schaut,

Vom Haupte die hüllende Binde:

Aus Mantel und Schleier wie strahlt es licht,

Wie hold muß strahlen dein Angesicht!«


Und er greift nach den Falten und bittet und fleht: –

Da ruft sie: »Dir werde dein Wille!«

Und der Mantel fällt und der Schleier verweht: –

Da wurde jung Sigurd stille,

Denn hehr, von unsterblichem Glanz umwallt,

Erkannt' er der Liebesgöttin Gestalt.


Licht floß von den Schläfen das goldene Haar,

Alabastern glänzten die Wangen,

Aus den Augen, den siegenden, schimmert' es klar,

Als käme die Sonne gegangen:

Und den Nacken umschloß das goldne Geschmeid,

Das der Anmut bannenden Zauber leiht.


Jung Sigurd schwieg: ihm versagte der Laut,

Da sprach sie mit zürnendem Munde:

»Des Himmels Königin hast du geschaut,

Und die Sehnsucht kennst du zur Stunde:

So werde vollendet dein trotzig Wort, –

Und Nacht bedecke dein Aug' hinfort.«
[281]

Und es ließ der Blinde von Schwert und Schild

Und begann, die Harfe zu schlagen:

Doch es schuf ihm das Eine, das göttliche Bild

Sein Dunkel zu leuchtenden Tagen:

Kein Sänger vermocht' ihn im Kampf zu bestehn,

Denn er hatte die Göttin der Schönheit gesehn.

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 279-282.
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