Lied der Walküre

[253] Froh sah' ich dich aufblühn,

Du freudiger Held,

Lang folg' ich dir schwebend

Und schweigend gesellt.
[253]

Oft küßt' ich des Schlummernden

Schläfe gelind

Und leise die Locken,

Die dir wehen im Wind.


Hoch flog ich zu Häupten,

– Du kanntest mich kaum –

Durch die Wipfel der Wälder,

Dein Trost und dein Traum.


Ich brach vor dem Bugspriet

Durch Brandung dir Bahn,

Vor dem Schiffe dir schwamm ich,

Weißschwingig, ein Schwan.


Ich zog dir zum Ziele

Den zischenden Pfeil,

Aufriß ich das Roß dir,

Das gestrauchelt am Steil.


Oft fing ich des Feindes

Geschwungenes Schwert,

Lang hab' ich die Lanzen

Vom Leib dir gewehrt.


Und nun, da die Norne

Den Tod dir verhängt,

Hab' ich dir den schnellsten,

Den schönsten geschenkt.


»Sieg!« riefest du selig,

»Sieg, Sieg allerwärts!«

Da lenkt' ich die Lanze

Dir ins herrliche Herz.
[254]

Du lächeltest lieblich, –

Ich umfing dich im Fall –

Ich küsse die Wunde –

Und nun auf: – nach Walhall!

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 253-255.
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