König Alfreds Gesang

[381] Schlachtflüchtig sucht' ich den tiefsten Tann,

Wo die Dornen zusammen wachsen:

Ein müder, wunder, verzweifelter Mann

Und – der König der Angelsachsen! –


Fest hielt ich den Grund vor dem Überdrang,

Bis unter der Streitaxt Streichen

Mir der Helm und der Schild und das Schwert zersprang: –

Da sank ich für tot auf die Leichen. –


Und über den Strand blies Morgenwind:

Der weckte mich scharf und schaurig: –

Da wich ich zu Walde, von Stirnblut blind,

Und zum Sterben matt und traurig. –


O, wie sie nun über mein Volk, mein Land,

Hinwüten mit Feuer und Speeren: –

Weh, Glockengeheul und Dörferbrand –

Und ich kann es nicht wenden noch wehren!


Alditha, mein Weib, mit den Augen klar,

Mit den süßen, den lallenden Kinden,

Mit dem goldenen Herzen und goldenen Haar: – –

Wann werd' ich dich wieder finden?
[381]

Ja, ich hab' es im Brausen der Wipfel erlauscht,

Wann bitter mich brannte die Wunde,

Wann die Tannen gesaust und die Brandung gerauscht, –

Aufreiß' ich mein Volk vom Grunde!


Bei Aldithens Jammer gelob' ich's und schwör's: –

Bei der Schande der dänischen Ketten: –

Ich muß obsiegen – du Himmel, hör's! –

Und mein Volk, ich muß es erretten!


Noch haus' ich wund in dem tiefsten Tann,

Wo die Dornen zusammen wachsen: –

Bald zieh ich gen London sieghaft hinan,

Ich, der König der Angelsachsen!

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 381-382.
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