Romanze des Gefangenen

[382] Hoch ob meinen Gitterstäben

Seh' ich rasche Vögel schweben,

Meergewohnte Möwenbrut:

Und sie scharen sich im Kreise

Und sie rüsten sich zur Reise

Nach des Nordmeers ferner Flut.


Ach! wie oft sah ich sie horsten

In Altenglands dunkeln Frosten,

An des Humber grünem Strand,

Wann ich ritt zu froher Beute,

Laut umtost von Roß und Meute

Und den Sperber auf der Hand.


In den Wald entflog der Sperber

Und die Mähne hängt der Berber

Und die treue Rüde klagt:[382]

Doch es jubeln die Barone:

Nach des Langverschollnen Krone

Wird manch' kühner Griff gewagt.


Rasche Vögel, auf, von dannen!

Wo in dunkelgrünen Tannen

Ruht ein stilles Königshaus, –

Dort an eine Frau vielsüße

Richtet tausend, tausend Grüße

Vom gefangnen König aus.


Hört ihr dann zum Trost der Schönen

Eine helle Stimme tönen,

Ruft dem Troubadour: »Halt ein!

Blondel, laß die holden Weisen:

König Richard liegt in Eisen,

König Richard harret dein!«

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 382-383.
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