König Richard und Sir Hugh

[383] 1.

»Nun zieh' ich ins gelobte Land, der heil'ge Christ hat Not,

Jetzt helf' ich ihm mit meiner Hand, der mir oft Hilfe bot.

Und dir, Sir Hugh, empfehl' ich all' mein Volk und was es hat,

Schloß Dover, meines Reiches Wall, und London, meine Stadt.


Ich kenne dich von edlem Mut: ich weiß, treu wahrest du

Noch treuer als dein höchstes Gut mein Königsrecht, Sir Hugh.

Mein Vetter Frankreich ist ein Schelm, mein Bruder John dazu:

Sei du Altenglands Schild und Helm an meiner Statt, Sir Hugh.«
[383]

Der König Richard sprach's und stieg an Bord mit seinem Heer:

In seinen Fahnen flog der Sieg und Schreck zog vor ihm her;

Vorauf dem Kreuzheer stritt der Held und hell erklang wie Erz

Durch Christenland und Heidenwelt der Name: Löwenherz.


2.

Sir Hugh indes des Rechtes pflag und hielt das Reich in acht:

Dem Staat gehört' der laute Tag, der Lieb' die stille Nacht.

Denn einst, als er zu angeln ging am Severn blau und breit,

Sir Hugh als süße Beute fing die allerschönste Maid.


Das war das junge Fischerkind, nicht sechzehn Winter alt,

Ihr golden Haar so seidenlind, so wonnig die Gestalt;

In grüner Einsamkeit erblüht, gleichwie die Wasserros',

Die an dem Rand des Severn glüht, von Schilf versteckt und Moos.


Manch' goldnen Abend fuhren sie, wann süß der Hänfling sang,

Wohl Mund an Mund und Knie an Knie den stillen Strom entlang.

O waldumfriedet Glostershire, du erlengrünes Land,

Welch' stille Freuden schautet ihr, ihr Buchten an dem Strand!


Das Ruder ruht, – sie treiben leis, – vorauf der wilde Schwan –

Und Blüten streuet rot und weiß der Maiwind in den Kahn.


3.

Seit Monden ruht der flinke Kahn, umsonst der Vogel schlägt,

Kein Liebespaar auf blauer Bahn der stille Severn trägt:

Sir Hugh zog aus mit Mann und Roß für König Richards Thron,

Denn Frankreich griff nach Dover-Schloß, nach London griff Prinz John.
[384]

Und manchen Tag stand er im Feld, es wuchs und wuchs der Feind,

Schon vor dem Tor von London hält er seine Macht vereint.

Und morgen will in blut'ger Schlacht Sir Hugh die Stadt befrein,

Da stürzt ins Zelt bei tiefer Nacht sein treuster Knapp' herein:


»Du bist betrogen! folge mir nach Haus, Sir Hugh, nach Haus!

Du kämpfst für König Richard hier, vieltreuer Mann, den Strauß:

Und König Richard ist zurück, und stiehlt dir wie ein Dieb

Im Wald von Glostershire dein Glück und herzt und kos't dein Lieb.


Sie sitzt auf seinem Schoß in Ruh', – oft küßt er ihren Mund,

Ich hab's gesehen – ich schwör' dir's zu – zur Rache fort, zur Stund'!«

Wohl ward des Ritters Wange bleich: doch griff er zum Panier:

»Wohlauf! zur Schlacht für Kron' und Reich! und dann – nach Glostershire!«


4.

Am Severn vor dem Grafenschloß saß König Löwenherz,

Von seinen bärt'gen Lippen floß manch' frohgemuter Scherz.

Im Rosenbusche saß das Paar, Wein perlet im Pokal,

Er spielt mit ihrem weichen Haar, mit ihren Fingern schmal.


Da stürmt Sir Hugh herein zum Hag: – die Maid ward rot und fahl,

Verbunden seine Linke lag, die Rechte schwang den Stahl.

Und vor dem König erst mit Zucht ins Knie sinkt der Baron:

»Das Heer von Frankreich nahm die Flucht, geschlagen ist Prinz John.
[385]

Frei Dover, deines Reiches Wall, frei London, deine Stadt,

Und deines Rechtes überall wahrt' ich an deiner Statt,

Ich war Altenglands Schild und Helm« – da sprang er auf im Schmerz –

»Doch du, Herr König, bist ein Schelm und nicht ein Löwenherz!


Und schlug der Feind mich blutig wund für dich und für dein Recht,

Mein Zorn ist heil, mein Grimm gesund, auf, König zum Gefecht!

Und bist du gleich der Heiden Schreck und Englands Majestät:

Nicht lebend kömmst du mir vom Fleck – Richard Plantagenet!«


Der König Richard sah ihn an und sprach in hellem Ton:

»Gott segne dich, du tapfrer Mann, Gott segne dich, mein Sohn.

Wohl kannt' ich dich, du herrlich Blut: Gott weiß, treu wahrtest du

Und höher als dein höchstes Gut mein Königsrecht, Sir Hugh.


Sir Hugh, ich bin kein falscher Dieb, liebkos' ich diese Maid,

Denn meine Tochter ist dein Lieb, die Frucht vielsüßer Zeit.

Auch ich fing einst am Severnfluß ein holdes Fischerkind: –

Dein Aug' war hell, und süß dein Kuß, du arme Rosalind!


Ob lang das Moos dein Grab umgrünt, heut schauest du in Huld,

Wie endlich reich dein Richard sühnt die alte Liebesschuld:

Das Beste, was ich geben kann, soll unsres Kindes sein:

Ich geb' ihr den getreusten Mann, der in ganz England mein!«

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 383-386.
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