Zweiundzwanzigster Gesang

[92] Aufbrechen sah ich Ritter manches Mal

Zum Sturme, oder ihre Kunst zu proben,

Zu Zeiten auch, um sich durch Flucht zu retten.

Landsknechte sah ich eu'r Gebiet durchstreifen,

O Aretiner, und viel Reitertruppe,

Wettkämpfe sah ich auch und sah Turniere.

Drommeten gaben bald, bald gaben Glocken,

Bald Trommeln den Befehl, bald von den Burgen

Signale, heimischer und fremder Weise;

Doch Reiter sah ich nie, sah niemals Fußvolk,

Nicht Schiffe, welche Stern und Leuchtturm leitet,

Dem Ruf so seltsamer Schalmei gehorchen.

So zogen wir dahin mit den zehn Teufeln:

Ein gräuliches Geleit; doch in der Kirche

Mit Heiligen, mit Säufern in der Schenke![92]

Stets nach dem Peche war mein Blick gewandt,

Um die Beschaffenheit der fünften Bolgia

Und der darin Gesottenen zu gewahren.

Wie die Delphine mit des Rückens Bogen

Den Schiffern oft ein Warnungszeichen geben,

Daß vor des Sturms Beginn ihr Schiff sie bergen,

So zeigte, um die Qualen sich zu mindern,

Bald hier bald dort ein Sünder seinen Rücken

Und barg ihn schneller als ein Blitz vergeht.

Und wie am Rand von eines Grabens Wasser

Die Schnauze nur heraus die Frösche stecken

Und unsichtbar so Leib als Füße bleiben,

So saßen hier die Sünder allerwege.

Doch wenn sie Barbariccia kommen sahn,

Verschwanden schnell sie unterm schwarzen Sude.

Da sah ich, und noch bebt mein Herz davon,

Der Schatten einen seine Flucht verzögern,

Wie ein Frosch wohl verweilt, wenn andre tauchen.

Und Graffiacane, der zunächst ihm war,

Schlang um den Haken die durchpichten Haare

Und hob ihn hoch; da glich er der Fischotter.

Von allen Zehn kannt' ich bereits die Namen,

Denn aufgemerkt hatt' ich, als Malacoda

Sie wählt' und dann wenn sie einander nannten.

Schnell, Rubicante, schlage deine Krallen

Ihm derb ins Fleisch, daß du das Fell ihm abziehst, –

So schrien einstimmig all die Maledeiten.

Ich sagte: Meister, wenn du kannst, so sorge,

Daß ich, wer der Unsel'ge ist, vernehme,

Der seinen Widersachern in die Hand fiel. –

Da trat mein Führer zu ihm hin und frug

Nach seiner Heimat ihn; der aber sagte:

Navarra's Königreich war mein Geburtsland.

In Herrendienst verdrang mich meine Mutter,

Weil sie mit einem Schelmen mich erzeuget,

Der seiner Hab' und sich ein Ende machte.[93]

Dann ward mein Herr der gute König Thibault,

Und feil war ich in meines Dienstes Pflichten,

Wofür in dieser Glut ich Rechnung lege. –

Ciriatto, dessen Maul zu jeder Seite,

Gleich dem des Ebers, einen Hauzahn vorwies,

Ließ ihn nun fühlen, wie der eine aufschlitzt.

Gar schlimmen Katzen war die Maus verfallen;

Doch Barbariccia faßt' ihn in die Arme

Und sagte: Fort! so lang' als ich ihn halte. –

Dann wandt' er das Gesicht zu meinem Meister

Und sagte: Willst du mehr noch von ihm wissen,

So frag ihn jetzt, bevor er abgetan wird. –

Bericht' uns, sprach Virgil, von den Genossen.

Kennst unter denen, die im Pech sich bergen,

Du nicht Lateiner? – Jener drauf: Soeben

Verließ ich wen, der dort herum zu Hause

Wär' unterm Peche ich, gleich ihm, verborgen,

So wollt' ich Krallen nicht, noch Haken fürchten. –

Doch Libicocco: Allzulange hatten

Geduld wir – und mit seinem Haken packt' er

Den Arm und riß ihm eine Muskel aus.

Auch Draghignazzo wollt' ihn an den Beinen

Erfassen; doch ihr Hauptmann wandte drob

Sich rings umher mit zürnender Gebärde.

Als sie dann etwas sich beruhigt hatten,

Frug ohne Aufenthalt mein Führer jenen,

Der traurig noch auf seine Wunde blickte,

Wer war es denn, den, wie du sagst, zum Unheil

Du ließest, um ans Ufer hier zu kommen? –

Er sagte drauf: Das war Frate Gomita,

Der aus Gallura, Rüstzeug jeden Truges,

Der seines Herren Feind' in Händen hatte,

Und ihnen tat, daß alle drum ihn loben.

Er nahm das Geld und ließ sie sich »verkrümeln«,

Wie er es nennt, und auch in andren Pflichten

War immer ohne Scheu er jedem käuflich.[94]

Mit ihm verkehrt zumeist Don Michel Zanche

Aus Logodoro, und vom Land Sardinien

Ermüden ihre Zungen nie zu reden.

Doch seht nur, seht die Zähne den da fletschen!

Wohl sagt ich mehr, besorgt' ich nicht, er habe

Im Sinne, übel mir den Grind zu kratzen. –

Da sagt' ihr Führer rasch zu Farfarello,

Der schlagfertig schon den Blick verdrehte,

Halt ein und tritt zur Seite, schlimmer Vogel! –

Liegt euch daran, Toscaner und Lombarden,

Begann beruhigter darauf der Sünder,

Zu hören und zu sehn, kann ich sie schaffen;

Nur müssen dann die üblen Krall'n sich etwas

Entfernen, damit jene sich nicht fürchten.

Ich aber will, an dieser Stelle sitzend,

Indem ich pfeife, so wie unser Brauch ist,

Wenn wer von uns aus diesem Peche auftaucht,

Für einen der ich bin, euch sieben schaffen. –

Die Schnauz' erhob bei solchem Wort Cagnazzo

Und schüttelte den Kopf: Seht nur die Bosheit,

Sagt' er, die der entsann, uns zu entspringen! –

Doch jener, der der Listen Fülle hatte,

Erwiderte: Nur allzu boshaft bin ich,

Wenn größres Unheil ich den Meinen schaffe. –

Nicht länger hielt sich Alichino; trotz

Der andren rief er: Willst du uns entwischen,

So lauf ich im Galoppe dir nicht nach,

Nein, überm Pech hin, schlag' ich meine Flügel.

Verlassen wir den Damm, das Ufer berg' uns.

Ob mehr du kannst als wir wird dann sich zeigen. –

Ein neues Spiel wirst, Leser, du nun hören:

Nach jenseits wandten alle das Gesicht

Und der zuerst, der lautest widersprochen.

Der Navarrese paßte wohl die Zeit ab,

Schloß rasch die Beine, und mit einem Sprunge

Entging er allem, was im Sinn sie hatten.[95]

Da warf sich jeder das Geschehene vor,

Und der am meisten, der den Fehl verschuldet.

Schnell flog er auf und schrie: Da halt' ich dich! –

Doch wenig fruchtet's ihm, denn nicht vermochten

Des andern Furcht die Flügel einzuholen;

Als jener tauchte flog er wieder aufwärts,

Nicht anders wie, wenn niederstößt der Falke,

Die Ente plötzlich untertaucht, er aber

Erboßt und müde wiederum emporfliegt.

Im Zorn, verhöhnt zu sein, flog Calcabrina

Ihm nach und war, um Grund zum Streit zu haben,

Daß jener sich gerettet, wohl zufrieden.

Sobald der Navarres' im Pech verschwand,

Kehrt' er die Krallen wider den Gefährten

Und faßte überm Graben sich mit ihm;

Der andre aber war ein guter Stößer

Und packt' ihn mit den Krallen, so daß beide

Hinfielen in des heißen Pfuhles Mitte.

Wohl brachte schnell die Glut sie auseinander;

Doch mit dem Fliegen war es drum noch nichts,

So klebten ihnen von dem Pech die Flügel.

Gleich allen ärgerlich, ließ Barbariccia

Von seinen Leuten vier an's andre Ufer

Mit ihren Haken fliegen, und behende

Stieg dies- und jenseits gleiche Zahl zum Strande.

Die Haken streckten sie nach den Verklebten,

Die sich verbrannt bis tief in's Innre hatten;

So waren sie verstrickt, als wir sie ließen.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 92-96.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
Inferno: Die göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon