Ein Mädchen, den leichtverwundeten, allzu weichlichen Bruder neckend

[272] Sense, Sense, böses Eisen,

Tückisches, verrätherisches!

Wehe, weh, wie kannst du gleißen,

Wehe, weh, wie kannst du beißen,

Kannst du grausam ohn' Erbarmen

Eine feine Haut zerreißen!

Ach, wie ward das zarte Hühnchen,

Das geschonte dieses Hauses

Um so viel Geblüt gebracht!

Ach, wie ward das saftgeschwellte,

Laubgeborgne rothe Beerchen

Saftberaubt und blaß gemacht!

Tröste dich jedoch, mein Püppchen,

Stille, stille deine Zährchen!

Kommt der Krämer in das Dörfchen,

Wend' ich ein erspartes Scherfchen,

Wend' ich einen Dreier auf,

Kaufe dir, betrübtes Seelchen,

Reiche dir zum Labetränkchen

Meth in einem Eierschälchen,[273]

Tische dir in einem Nüßchen

Butter auf, in einem halben,

Bringe dir auf einem Blättchen,

Dem gebrochnen eines Baumes,

Schweinefleisch ein ganzes Quentchen.

Wässert dir das Leckermündchen

Nach so seltnem Wonneschmaus?

Wohl dazu im Bette hüt' ich,

Wickele das arme Kindchen,

Das so fährlich angebissen,

Dem so viel Geblüt entrissen,

Sänftiglich in weiche Kissen,

Lass' es aus Gemach und Hause

Lange, lange nicht hinaus.

So gelangt das zarte Hühnchen

Wiederum zu seiner Kraft,

So gelangt das rothe Beerchen

Wiederum zu seinem Saft.

Quelle:
Georg Friedrich Daumer: Hafis. Hamburg 1846, S. 272-274.
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