Abenteuer der dritten Amme

[36] »Herr Heinz, er ist mir teuer«,

Sprach eine andre Amme

»Vom Mond und aus dem Feuer

Holte er meine Dame.


Und wenn ein Mann bezwungen

Des Feuers Übermacht,

Dann sei von ihm gesungen

Wohl eine ganze Nacht.«


Die sieben andern Ammen

Taten ans Herz sich fassen.

Sie rückten eng zusammen

Und stellten fort die Tassen.


»Ein Rätsel«, sprach die Eine

Und wischte sich den Mund,

»War Fanny meine Kleine,

Als sie im Brautstand stund.«


Die Fanny war verlobet

Mit einem Kommandant,

Der stets, wo Feuer tobet,

Auf Feuerleitern stand.


Und dieser selbe nämlich

Saß abends mal beim Wein

Und schenkte sich bequemlich

Vom Affenthaler ein.
[37]

Hat plötzlich da vernommen,

Man rief: »Herr Kommandant!

Sie müssen eiligst kommen,

Nicht weil was angebrannt,


Weil Ihre Braut, die Dame,

Im Hemd steigt auf das Dach.

Der Mond tat's, der Infame,

Er zieht sie schlafend nach.«


Der Kommandant voll Fieber

Trinkt schnell sein Glas noch leer.

Ein Feuer wär' ihm lieber,

Als diese Mondaffär.


Und in der Menschenmenge,

Die sichs Tableau beschaut,

Dem Bräutigam wird's enge –

Zu locker geht die Braut.


Im Hemd geht sie spazieren

Und war auch ohne Hut.

Das muß ihn sehr genieren,

Da man das sonst nicht tut.


Ihr schien nichts aufzufallen,

Sie balanciert am Dach

Vor diesen Menschen allen –

Schon's Hinschaun machte schwach.
[38]

Der Kommandant, nervöse,

Darf nicht befehlen laut.

Das macht ihn mehr noch böse

Als ohne Hut die Braut,


Daß er hier lautlos stehen

Und dieses ansehn muß,

Wie Alle sich ergehen

Und sichtlich mit Genuß.


Nämlich zur Mandoline

Hört man ein Lied, das lockt.

Herr Heinz, mit Schwärmermiene,

Am Nachbardache hockt.


Der will die Dame retten,

Probiert es mit Musik.

Im Volke schließt man Wetten

Und hängt am Augenblick.


Herr Heinz sang eine Ronde

So schön, 's war nicht zu viel,

Daß er der Dam' im Monde

Besonders gut gefiel.


Sie schritt auf ihrer Zinne,

Die Freud' war unten groß –

So wie er sang von Minne,

Ließ sie den Mond gleich los.
[39]

Es wichen die Gespenster,

Es glänzt Fanny's Gesicht.

Sie folgt zum Giebelfenster,

Weil Heinz ihr viel verspricht.


Sie tut mit Heinz verschwinden –

Dem Kommandant macht's Qual.

Im Dachstuhl muß er finden

Die Dame seiner Wahl.


Sie lehnt in einer Ecken

In Heinzens Paletot.

Er braucht sie nicht zu wecken,

Wach war sie so wie so.


Heinz weilte bei der Kranken,

Man konnte nicht viel sehn.

Sie sprach, sie tät ihm danken

Und wüßt' jetzt, was geschehn.


Sie sprach, nichts tät' sie reuen

Es hab der Mond zur Nacht

'nen Freund ihr zum Erfreuen

In dem Herrn Heinz gebracht.


Eh' sie aus'nander gingen,

Bat sie Herrn Heinzen sehr,

Er möcht' ihr öfters singen,

Sie höre gerne mehr.
[40]

Herr Heinz versprach es innig,

Er käme zu Besuch. –

Der Kommandant ward sinnig

Und grübelnd wie ein Buch.


Er wurde aus dem Wesen

Der Fanny nicht mehr klar.

Seit sie beim Mond gewesen,

Verblieb sie sonderbar.


Auch tat ihn fast umbringen

Herrn Heinzens Sängerruhm.

Auch er möcht' sehr schön singen

Und blieb nicht gerne stumm.


Der Kommandant bedachte

Sich kopflos eine Nacht,

Bis er's zum Wahnsinn brachte

Und Brandstiftung gemacht.


Von jetzt ab war im Städtchen

Fast jede Nacht ein Brand,

Und stets rettet die Mädchen

Vom Dach der Kommandant.


Man ging schon nicht mehr schlafen,

Die halbe Stadt blieb wach,

Und manche Mädchen trafen

Bekannte auf dem Dach.
[41]

Der Kommandant ging breiter,

Breit baute ihn sein Ruhm.

Und sang er auch nicht, leider,

So blieb er auch nicht stumm.


Täglich tat Bränd' er legen,

Es ließ ihn nicht mehr ruhn.

Mädchen und sich zum Segen

Macht' er sich viel zu tun.


Doch immer ward das Wesen

Der Fanny ihm nicht klar.

Seit sie im Mond gewesen,

Verblieb sie sonderbar.


Er dacht': sie muß ins Feuer!

Verbrennt ihr altes Haus,

Wirk' ich auf sie dann neuer

Und zieh sie glühend 'raus.


Doch stets tut anders kommen,

Was man bedenkt voraus,

Und was man vorgenommen,

Führ man nicht immer aus.


Das Feuer hat gewütet,

Die ganze Stadt es sah.

Die Fanny war vergütet,

Die Fanny war nicht da.
[42]

Bei Heinzen saß die Fanny.

Heinz sang für sie sein Lied,

Der Heinz sang schön wie gar nie,

So schön, daß man nichts sieht.


Wohl hörten sie vom Brennen,

Doch war's nicht wunderbar.

Man ließ die Leute rennen

Und blieb, wo's heißer war.


Der Kommandant vergeblich

Sucht Fanny auf dem Dach,

Verbrennt sich sehr erheblich

Und denkt ganz furchtbar nach.


Sein Wahnsinn, wie noch gar nie,

Brennt heller als das Haus.

Er schreit verzweifelt: »Fanny!«

Doch sie sieht nirgends 'raus.


Er steht auf höchster Leiter,

Vor Schrecken wird er schmal,

Vorher war er viel breiter;

Er krümmt sich wie ein Aal.


Er schrie: »'ne ganze Anzahl

Der Bränd' hab' ich gelegt!

Bestraft hat mich das Schicksal,

Wie's so zu gehen pflegt.
[43]

Verbrannt ist meine Fanny,

Und ist der Brand jetzt aus,

So seh ich sie wohl gar nie –

Bringt mich ins Irrenhaus


Man ruft: »Sie ist gerettet!

Seht, Fanny kommt und lacht.«

Und wieder wird gewettet:

Herr Heinz hat das vollbracht.


Man sieht sie tanzend gehen,

Sie kommt von Heinzens Haus,

Und da 's doch Alle sehen,

Macht sie sich nichts daraus.


Wohl ist es schon bald Morgen,

Doch Heinz führt sie entzückt.

Sie kommen ohne Sorgen,

Wie Zwei, die sich beglückt.


Fanny blieb lachend stehen,

Sie spricht zu ihrem Heinz:

»Wenn Häuser auch vergehen,

Man findet wieder eins.


Durch Dich bin ich entkommen

Dem Mond und Feuerherd.

Längst wär' ich schon verglommen

Und würde ausgekehrt.«
[44]

Sie spricht: »Ich muß was müssen!«

Und herzt ihn um und um,

Und rief: »Freiheit im Küssen

Auch vor dem Publikum!«


Herr Heinz blieb der Geehrte

Vor Frauen und vor Welt,

Auch wenn es Manchen störte,

Daß er so gut gefällt.


Und heute sitzt Frau Fanny

Am Sarge hier im Haus,

Und weint sich, wie noch gar nie,

Die schönen Augen aus.


Man kann den schwer vergessen,

Den öffentlich man küßt.

Erst dann hast Du besessen,

Wenn man Dir neidisch ist.


»Auch ich«, sprach jetzt die Amme

»Will mal Kaffee einschenken.

Wahr ist's: kein Mensch verdamme!

Das Leben gibt zu denken.« –


Quelle:
Max Dauthendey: Die Ammenballade. Leipzig 1913, S. 36-45.
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