Abenteuer der vierten Amme

[45] »Ja«, sprach 'ne andre Amme,

»Die Liebe Räusche bringt,

Das Herz gleicht einem Schwamme,

Den Durst zum Trinken zwingt.


Herr Heinz schlich mal im Dunkeln

Bis an ein Ehebett.

Denn Martha's Herz konnt funkeln,

Weshalb er's holen tät.«


Die sieben andern Ammen

Mußten an's Herz sich fassen,

Sie rückten eng zusammen

Und stellten fort die Tassen.


»Frau Martha war 'ne feine

Müllerin, blond und glatt.

Niedlicher gab's gar keine

Zehn Meilen um die Stadt.


In ihrer weißen Mühle

War's blank wie Mondenschein,

Und stand die Mühle stille,

War Martha nicht allein.


Herr Heinz trieb sich vernarrt da

Schon einen Tag herum.

Am Fenster steht Frau Martha

Und fühlt: ein Herz geht um.
[46]

Herr Heinz, er schnappt nach Fliegen

Und tat besonders faul

Bei Dotterblumen liegen,

Und Fliegen schnappt sein Gaul.


Was will Herr Heinz nur tuen

Mit seinem Messerlein?

Es läßt ihn nicht mehr ruhen,

Und er sticht sich's wo ein.


Es dauert auch nicht lange,

Ach, seht, sein Blut tropft warm!«

»Es stach mich eine Schlange!«

Spricht Heinz und zeigt den Arm.


Er zeigt ihn in der Mühle

Der schönen Müllerin,

Sie bleibt dabei nicht kühle

Und muß ihn näher ziehn.


Er simulierte Fieber

Und bleibt acht Tage da.

Und es ging erst vorüber,

Nachdem noch mehr geschah.


Am Neunten muß er weiter,

Der Müller drängen tat.

Heinz sprang in seine Kleider

Und sollt' hinein zur Stadt.
[47]

Die Müllerin, die sagte:

»Der Abschied hart mir fällt,

Denn, was ich niemals wagte,

Das hast Du angestellt.


Wirst jetzt wie beide Arme

An meinem Leib vermißt.

Die Welt im Liebesharme

Für mich ganz krüpplig ist.


Für Zuchtvieh und für Hühner

Man Ausstellung bald hat,

Dann werde ich auch kühner,

Der Müller fährt zur Stadt.


Dann sehe ich Dich wieder

Mit Deinem Schlangenbiß.

Der Abschied drückt wie's Mieder.

Ach, gäb's kein Hindernis!«


Der Müller an der Türe,

Er ruft Frau Martha laut,

Dieweil er gern erführe,

Was sie Herrn Heinz vertraut.


Herr Heinzen, unverhohlen,

Nahm sich noch einen Kuß,

Und ruft: »Ich hab gestohlen,

Weil man hier stehlen muß.
[48]

Herr Müller, müßt es leiden,

Ich hab 'nen losen Mund,

Tat stets auf Wiesen reiten,

Auch wenn ›verboten‹ stund.«


Er macht sich aus dem Staube,

Der Müller flucht und droht.

Frau Martha in der Laube,

Sie wird im Traum noch rot.


Ja, ach! die Sehnsucht findet,

Die Stunde ist ein Jahr.

Und wenn das Herz sich windet,

Scheint's Leben in Gefahr.


So eilte auch Frau Martha

Zum Schützenfest zur Stadt,

Weil's bis zur Viehausstellung

Zu lang gedauert hat.


Heinz mietet voll Erwartung

Ein kleines Gartenhaus.

Macht Schulden voll Entartung,

Doch reißt sich immer raus.


Im Garten bei Rabatten

Deckt er den schönsten Tisch.

Frau Martha selbst tut braten

In Sekt den besten Fisch.
[49]

Des Nachts möcht' sie spazieren

Zum Schützenfest hinaus,

Ihr Kleid tut sie genieren,

Sie zieht es darum aus.


Vom Heinz nimmt sie 'ne Hose,

Die war vom Militär,

Sie sitzt ihr nicht zu lose

Und wirkt auch nicht zu leer.


Des Uniformrocks Watte

Drückt etwas um die Brust.

Doch gut sitzt die Kravatte,

Und man spaziert mit Lust.


Die Menschen im Gedränge,

Die weichen selten aus,

Und oft geht aus der Enge

Ein Mensch getrennt heraus.


Herr Heinz, er tat verlieren

Die Martha; angst und bang

Sucht er auf allen Vieren

Und sucht sie stundenlang.


Verfolgte die Soldaten

Und untersucht ihr Haar.

Doch meist sie kurzes hatten

Und Martha's länger war.
[50]

Die kommt spät heim zur Mühle

Als Korporal abnorm.

Dem Müller 's nicht gefiele,

Säh er die Uniform.


Doch fühlt sie kein Erschöpfen,

Der Ausflug tat so gut.

Sie tut den Rock aufknöpfen

Und fühlt Soldatenmut.


Sittsam schleicht sie zur Kammer,

Legt an die Weibertracht.

Ruft ohne Katzenjammer:

»Herr Müller, gute Nacht!«


Der ließ sich gar nicht stören!

Früh denkt er nur: was hat –

Das ist doch zum Empören –

Die Frau für 'ne Kravatt?


Die Martha, ach, sie hatte

Noch immer um den Hals

Die Militärkravatte.

Gut stand's ihr jedenfalls.


Doch tat sie sich schnell fassen.

Als sie der Müller weckt,

Sprach sie zu ihm gelassen:

Sie halte nichts versteckt.
[51]

Kravatten sei'n erfunden,

Galvanisch für die Zähn',

Und düstre Fistelstunden,

Die würden auch vergehn.


Der Müller mußt' es glauben,

Wollt er es oder nicht,

Wenn ihm auch Zipfelhauben

Samt Kopf daran zerbricht.


Und als es sich so machte,

Daß er mal Zahnweh hat,

Frau Martha heimlich lachte,

Sprach: »Kauf Dir 'ne Kravatt!«


Doch ach, bei der Geflügel-

Ausstellung in der Stadt,

Da hält er ihr die Zügel,

Martha nicht Freiheit hat.


Der Müller die Frau Martha

Mit keinem Worte schont

Und spricht: »Du bist vernarrt, da

Herr Heinz die Stadt bewohnt.«


Der Müller will nur sprechen

Von Viechern, und er höhnt:

»Du sollst nicht Ehe brechen,

Heut' werd' ich preisgekrönt.«
[52]

Dann bei der Hahnparade

Kriegt ein Diplom der Mann,

Gewinnt bei dem Glücksrade

'nen Bramaputrahahn.


Macht dann im Glück 'ne Pause,

Daß er sich Wein bestell',

Den Hahn bringt zum Gasthause

Er spät im Korbgestell.


Stellt sorgsam ihn ins Zimmer,

Und dunkel war's zur Nacht.

Gut schläft er dann wie immer,

Hat nicht an Heinz gedacht.


Doch Martha möcht' kopfstehen

Vor Liebe und vor Wut,

Und nur der kann's verstehen,

Der Andere lieben tut.


Da kam ans Bett geschlichen

Der Heinz, ruft: »Martha, komm!«

Fast wäre sie verblichen.

Denn es spricht vom Diplom


Im Schlaf der feiste Müller,

Und Martha wartet heiß.

Erst als er wieder stiller,

Verläßt sie ihn ganz leis.
[53]

Sie fühlt des Heinzen Lippen,

Das hat so wohl getan.

Doch plötzlich hört man kippen

Das Korbgestell vom Hahn.


Der Müller könnt' erwachen –

Heinz zieht die Martha schnell –

Als sie die Tür aufmachen,

Scheint Mond aufs Korbgestell.


Den Hahn tut Mondschein wecken,

Er glaubt, 's ruft Tagespflicht,

Da er im Korb muß stecken,

Verwechselt er das Licht.


Es kreischt der Bramaputra

Sein höchstes Kikeri.

Der Müller dreht sich um da

Und brummt: »das Hahnenvieh!«


So hat Herr Heinz entführet

Ein Weib vom Ehebett.

Wer liebt, für den gebühret,

Daß er es besser hätt'.


Und heut fühlt sie Herzschwäche,

Ein Mühlrad könnt man drehn.

Die Tränen wie Sturzbäche

An Heinzens Sarg hingehn.
[54]

»Und jetzt«, schloß hier die Amme

»Will ich Kaffee einschenken.

Wahr ist's: kein Herz verdamme!

Tut's auch die Ehe kränken.« –


Quelle:
Max Dauthendey: Die Ammenballade. Leipzig 1913, S. 45-55.
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