Deine Augen

[197] Wie auf hellen wehenden Wiesen

Blumen, mit göttlichen Mienen,

Sind mir deine Augen erschienen,

Welche die Liebe froh priesen.


Leicht von den Blumen beschworen

Sah ich den Schmetterling steigen;

So haben deine Augen im Schweigen

Mir meine Lieder geboren.


Manchen führt Mondschein gefangen,

Nachtwandelnd öffnet er Türen;

Mich konnten deine Augen fortführen,

Bin ihnen blind nachgegangen.


Sie sind wie der Mondschein gekommen;

Sie können die Erde versenken,

Können den Schatten mir lenken,

Machen mich glücklich beklommen.


Deine Augen sind wie die Waldbeeren,

Sie zwingen mich niederzuknien;

Und haben die Sorgen geschrien,

Konnten deine Wimpern sie wehren.
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Wie an den Wassern die Weiden

Über den Spiegeln gern schweben

Froh an entrückendem Leben,

Kann ich deine Augen nicht meiden.


Muß mich deinen Augen ergeben;

Wie die Wolken, rauschend im Blauen,

Auf Unergründliches bauen,

Bau' ich auf zwei Augen mein Leben.


Deine Augen sind himmlische Brücken;

Wie nach dem Regen im Bogen

Sieben Freuden am Himmel einzogen,

So können deine Augen beglücken


Wenn in dem Abend die Birken

Blutend in Scharen sich röten,

Als müßte die Sonne sie töten,

So fühle ich Todeslust wirken.


Wie todeslüstern die Mücken

Heiß um den Abendstrahl minnen.

Möcht' ich deine Augen gewinnen,

Trag' gern all Leid im Entzücken.


Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925, S. 197-198.
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