Die alte Hetäre Anastasia

Achtzig Jahr sind ihre Beine,

Wackeln im Laternenscheine.

Nachts, wo stinkend Kästen stehn,

Muß von Tür zu Tür sie gehn.


Lumpen sammelt sie auf Gassen,

So viel ihre Säcke fassen,

Schleicht gebückt die ganze Nacht,

Weil der Hunger Beine macht.


Mit Aristokratenhänden

Tut sie jeden Lumpen wenden,

Taxiert ihn auf Goldgehalt,

Denn kein Lumpen wird zu alt.


Unter Asche, Staubpapieren

Kann sich Manches hinverirren,

Was die Welt verachten tat,

Und was trotzdem Taxe hat.


Anastasia, die Großmutter,

Mühsam sucht sie Lumpenfutter.

Freudvoll flucht der alte Mund

Über jeden Lumpenfund.


Nimmt sie Lumpen in die Hände,

Singen sie ihr ganze Bände.

Lumpen sehn sich düster an,

Dunkle Zeiten hängen dran.
[103]

Zeiten, die sich nie vergessen,

Sind auf Lumpen wie versessen.

Anastasia weiß das gut,

Mancher Lumpen klebt wie Blut.


Manchen wirft man fort mit Schimpfen,

Doch der Blick muß sich einimpfen,

Als wär' dir der Lump verwandt,

Kommt er stets dir in die Hand.


Solcher Lump will dich nicht lassen,

Findst ihn in den fernsten Gassen,

Findst ihn jeden zweiten Tag,

Diesen Lumpen, der dich mag.


Heut' in dunkeln Morgenstunden

Hat sich wieder was gefunden.

Jemand sie beim Namen rief,

Daß ihr's kalt im Rücken lief.


Unterm Mond, blauangelaufen,

Stand da Eine, konnt' kaum schnaufen,

Eine Alte, kahl am Hirn,

Einen Schatten um die Stirn.


Fuchtelt mit dem Lumpenhaken,

Lacht mit ausgedorrten Backen,

Reißt Großmutter fast entzwei,

Kreischt laut, daß sie Fatma sei.
[104]

Anastasia tut die alten

Dohlenaugen grinsend falten:

Verdammt, als ob's gestern sei,

Kennt man Fatma am Geschrei.


Fünfzig Jahre sind's und drüber,

Stehn sich wieder gegenüber:

Wird nie ausgetanzt der Ball

Auf der Erde Bettelstall?


Sah sie oft schon nachts hier streichen,

Wollt' gern ihrem Rock ausweichen.

Manche Lumpenzeit nie stirbt,

Gleich wie manch' Lump nie verdirbt.


»Fatma ist nicht auszurotten«,

Tat die Alte kichernd spotten.

»Nur die Zeit, die geht herum,

Und die Flasche bringt sie um.«


Fatma zieht aus tiefster Tasche

Eine abgenützte Flasche,

Ladet Anastasia ein:

»Heute soll ein Festchen sein!


Laß die Lumpensäcke laufen!

Wollen alten Kümmel kaufen.

Lad' dich in mein Kellerloch,

Käserinden hab' ich noch.
[105]

Wollen uns mal bene tuen,

Ganz wie einst in Atlasschuhen,

Wenn wir uns gut prall geschnürt,

Blank geschminkt, laut aufgeführt.


Heute sind wir Klappersteine.

Einmal schwammen wir im Weine,

Und die Welt war Tag und Nacht

Damals nur für uns gemacht.


Öfters zahltest Du die Zechen,

Dafür will heut' ich mal blechen.

Manches schiebt sich lange auf,

Einmal aber kommt man drauf.«


Anastasia, ohne Tücke,

Fühlt der Freundschaft Scherbenstücke,

Mehr noch als der Kümmel lockt,

Das was rings um Fatma hockt.


Jene drallen Jugendzeiten,

Wo sie um die Venus freiten,

Wo sie wie der Mond zur Nacht

Sich geputzt und fein gemacht.


Die Kulisse ist verschoben!

Ach der Mond, der hängt noch oben,

Sieht sie mit dem Hintern an,

Weil er nur noch spotten kann.
[106]

Und die beiden Alten wandern,

Eine an dem Arm der andern,

Kaufen Doppelkümmel, rein,

Schließen sich bei Fatma ein.


In der Fatma Kellerkammer

Finstert's wüst wie Altersjammer.

Für das Wiedersehensfest

Brennt man einen Unschlittrest.


Fahl schaun beide Klapperköpfe,

Sind wie vielgeflickte Töpfe.

Eine stiert die Andre an:

Daß man so sich ändern kann!


Sie, die flottesten Hetären,

Heute zwei Schindangermähren!

Strotzend war einmal ihr Ruhm, –

Nur noch Lumpen gehen um.


Einen Zeitungsknäul sie finden

Und drin alte Käserinden,

Beide kauen ohne Zahn,

Und der Kümmel gibt Elan.


Kümmel schmatzend tun sie schwätzen,

Und der Schnaps und's Unschlitt setzen

Hitzige Gesichter hin,

Und ein Wetter will aufziehn.
[107]

Fatma kreischt: »War ich nicht immer

Ein geschultes Frauenzimmer?

Wog mich auf für schweres Gold, –

Durch die Finger ist's gerollt!


Meine schönen Schulterbogen

Haben Opern überwogen,

Wenn ich in der Matinee

Halbnackt in der Log' mich seh'.


Keinen konnt' die Oper rühren,

Nur mein Fleisch mußt' Jeder spüren,

Und der Blick von jedem Gauch

Hing wie Zangen mir am Bauch.


Weißt du, wenn's mir eingefallen,

Konnt' ich glühen wie Korallen.

Hatte es mir mal beliebt,

Fragte Keiner, was er gibt.


Mancher lebte so geschwinder,

Warf für mich fort Weib und Kinder;

Sah mich einer zärtlich an, –

Ruinierte ich den Mann.«


Anastasia mit Vergnügen

Spricht: »Verdammt tust Du doch lügen!

Doch auch Dich belog die Welt,

Weil sie heut' nicht zu Dir hält.«
[108]

Fatmas Zung' geht wie 'ne Spule,

In ihr schwillt die alte Buhle,

Prahlt vom Schlittennachmittag,

Wo der Schnee mal künstlich lag.


Einer hatte ihr zu Füßen

Tausend Fässer Salz streun müssen;

Von dem Schloß am Waldesrand

Eine Meile in das Land ....


Anastasia unterdessen

Hat sich schweigend heißgesessen,

Etwas reißt sie wie die Gicht,

Und wie Pfeffer brennt's Gesicht.


Schmählich ist's ihr eingefallen:

Diesem Einen unter allen

War es, dem sie sich verschwor –

Fatma doch kam ihr zuvor!


Fatma ist mit ihm verschwunden.

Schwieriger als Todesstunden

War ihr dieser Schicksalsschlag.

Heute noch wurmt sie der Tag.


Schnaps nach Schnaps muß sie schnell trinken,

Weil die alten Wunden stinken.

Überall im Kellerloch

Schleicht jetzt dieser Eine noch.
[109]

Damals dorrten ihr die Brüste.

Keiner mit Verstand so küßte,

Keiner mehr so stark verstund

Einzubrennen seinen Mund.


Hitzig war er wie die Heiden!

Sie ließ ihn mit Wollust leiden,

Wollt ihm darum wiederstehn,

Um sein Herz seufzen zu sehn.


Und im Grund mußt' man sich schämen,

Tadellos war sein Benehmen.

Dralle Schweine waren wir,

Und er immer Kavalier.


Fatma, mit den Heuchelbrüsten,

Konnt' mir diesen Mann verwüsten!

Sah, wie ich für ihn geschwärmt,

Hat ihn sich mit Kunst erwärmt.


Heut' noch läg' er mir zu Füßen –

Scheusal Fatma, sollst mir's büßen!

Mache sie zu kaltem Aas,

Weil sie sich an mir vergaß.


Und die Alte muß ausspucken:

Diese Fatma will ich ducken!

Dieses soll mein Festlein sein,

Heute ist die Rache mein.
[110]

Anastasias Augen stechen,

Ihre Hände wollen rächen ....

Schnell fliegt's Schnapsglas an die Wand,

Als ob sich ein Gift drin fand.


Und nach langen fünfzig Jahren

Tut ein Feuer in sie fahren.

Keiner wußte wie's geschah –

Mundoffen schweigt Fatma da.


Aufrichtet sich stier die Alte,

Blut brennt ihr in jeder Falte,

Und zum Schlag holt aus der Blick –

Fatma fröstelt's im Genick.


Aus dem Kiefer, aus dem hohlen,

Fällt das kleine Wort »gestohlen«:

»Ja, gestohlen hast du ihn!«

Anastasia schleudert's hin.


Ihre Fäuste, ihre steifen,

Nach dem Lumpenhaken greifen.

Ehe Fatma noch konnt' schrein,

Schlug das Eisen wütend ein.


Dann hört man's nur einmal klatschen,

Als tät eine Tür zupatschen.

Fatma fiel zur Diele tot,

Und die Bretter wurden rot.
[111]

Anastasia, nicht zufrieden,

Läßt ringsum die Rach' aussieden.

Stühle, alles was sie fand,

Links und rechts fliegt's an die Wand.


Sprühendheiß sind ihre Glieder;

Bei der Leiche hockt sie nieder,

Und sie pufft sie dann und wann,

Zählt ihr auf, was sie getan:


»Glaubst du, Liebe läßt sich narren?

Alle sollten Gold dir karren!

Stahlst mir frech das Allerbest!

Finster ist mein Lebensrest.


Tatst mir seine Lippen schmatzen,

Schielend nur nach seinen Batzen!

Dieser Eine, er war mein, –

Stecktest dir ihn auch noch ein!


Konnt' dir kein Gewissen klopfen?

Gabst ihm geile Liebestropfen.

Hast an Liebe nie geglaubt,

Nur wie Elstern Gold geraubt.


Denk' ich heut' noch meiner Qualen,

Kann's dein Leben nicht bezahlen.

Dafür ist dein Tod zu klein,

Solltest tausend Mal tot sein.
[112]

Mein Herz ward zur Schinderkammer.

Widerlich lag drin mein Jammer.

Lange hebt man so was auf,

Einmal aber stößt man drauf.


Lebt ein Mensch auch unter Lumpen,

Keiner soll sein Ich verschlumpen.

Auch beim kleinsten Lebensstrund

Schmeckt die Rache stets gesund.«


Anastasia muß sich schneutzen,

Schatten an den Wänden kreuzen,

Paffend geht das Unschlitt aus,

Als ging Mordlust aus dem Haus.


Eine Weil' tut's Licht noch fackeln,

Und die Kammer scheint zu wackeln;

Anastasia starrt hinein,

Nickt erschöpft beim Leichnam ein.


Weiß nicht mehr, nach wieviel Stunden

Hat sie endlich heim gefunden;

Reulos ging sie von dem Ort.

Ungerächt blieb dieser Mord.


Wär' es auch herausgekommen,

Feig' hätt' sie sich nicht benommen.

Töter macht nicht das Schaffott,

Ist man schon im Grunde tot.

Quelle:
Max Dauthendey: Die Ammenballade. Leipzig 1913, S. 103-113.
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