Leda auf den langen Stühlen

Leben ist so eingerichtet:

G'scheit ist Jedermann im stillen,

Doch wer noch so klug es sichtet,

Handelt dumm meist widerwillen.


Hast Du Dir auch vorgenommen,

Dunkle Kräfte nicht zu leiden,

Fühlst sie mit verstopften Ohren.

Denn Gefühl läßt sich nicht meiden.


Leda war bei der Gesandtin

Zu Besuch, mit Gönnermiene.

Sah sie Einen und erfand ihn

Lieb, genoß sie's mit Routine.


Immer lag auf langen Stühlen

Sie in den Salons herum

Und ließ ihre Wimpern fühlen,

Wie ein Impfer sein Serum.


Lange Stühle wie Altäre

Trugen festlich Ledas Glut.

Wenn der Stuhl mal kürzer wäre,

Machte es sich nicht so gut.


Ledas indische Muss'line

Hüllten gutgepflegte Reize,

Und verkappt lebten die Sinne,

Wie die Falken bei der Beize.
[117]

Hatte sie mal klar bekommen,

Wen sie wünschte sich als Sieger,

Hat sie Rücksicht nie genommen,

Machte Jünglinge zu Tiger.


Nun bei der Gesandtin sollte

Heut' man eine Hochzeit geben.

Ihre Tochter trauen wollte

Einem Grafen man fürs Leben.


Sorglos kam man vom Altare,

Spät erhob man sich vom Mahle.

Leda dann wie Liebesware

Auf dem längsten Stuhl im Saale


Sich hinlegt; tut mit den Wimpern

Durch die festerhitzte Menge

Nach dem Bräutigame klimpern –

Diesen zieht es aus der Enge,


Fühlt gleich seinen Absatz wanken,

Hört laut seine Lackschuh knarren,

Sieht, daß sie ganz in Gedanken

Mit ihm fortgegangen waren.


Leda hat mit schwüler Wange

Kaum ihr Auge aufgehoben,

Und die Hochzeitsnacht ward lange,

Wenn nicht ewig, dann verschoben.
[118]

Weil sich Ledas Augen dehnen,

Fühlt er seines Blutes Schwächen,

Sieht am langen Stuhl sich lehnen,

Möcht' den langen Stuhl zerbrechen.


»Heute Nacht laß mich nicht warten,«

Läßt sich Ledas Stimm' vernehmen,

»Rechts der Pavillon im Garten«, –

Nochmals tat ihr Aug' ihn lähmen.


Dann erhob sie sich vom langen

Stuhl, er durft' sie nicht berühren,

Ist vom Bräutigam gegangen;

Der konnt' kaum die Braut noch spüren.


Wackelnder als ging's auf Eier,

Schlug sein Herz, das Neugetraute,

Daß ihm vor der Hochzeitsfeier

Hinterm Hochzeitsfracke graute.


Abends nach dem Feuerwerke,

Als sich alles retirierte,

Fühlt der Bräutigam die Stärke,

Daß er Leda gern düpierte.


Schleunig schrieb er ein Paar Zeilen,

Schlich dann völlig ungesehen

Hin, wo sich die Wege teilen

Und zum Pavillone gehen.
[119]

Will die Absag' auf der Stelle

Durch die Ritz' der Türe schieben,

Aber einmal vor der Schwelle,

Ist es nicht dabei geblieben.


Selbst durchs Brett der weißen Türe

Sieht er brenzelig ein Funkeln,

Als ob's aus der Hölle führe –

Ledas Augen sind's im Dunkeln.


Und sein Blut schlägt Narrenflammen,

Drückt die Hand auf die Türklinken;

Hinter ihm stürzt was zusammen, –

Ach, sein Brautstand tat versinken.


Schnell steht er im Handumdrehen

In dem Pavillon, dem großen,

Muß im Dunkeln weitergehen,

Einen langen Stuhl umstoßen.


Er greift zu mit beiden Händen,

Leda tut vor Wonnestöhnen –

Es war nicht mehr abzuwenden,

Er muß ihrer Liebe fröhnen.


Wenn er nur Gedanken hätte –

Aber Liebe kann nicht denken,

Denkt nicht an die Braut, die nette.

Widerwillen muß er kränken.
[120]

Nie mehr hat er heimgefunden,

Floh mit Leda vor dem Morgen,

Widerwillig schlug er Wunden

Und macht' andern Leuten Sorgen. –


So kann's Leben an Dir handeln,

Ganz wider Dein Grundbenehmen.

Tut es so mit Dir anbandeln –

Sollte sich das Leben schämen.


Quelle:
Max Dauthendey: Die Ammenballade. Leipzig 1913, S. 113-121.
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