Enttäuschung

[20] Die junge Rose war erwacht

In sehnsuchtschwüler Mondennacht.

»Bist du die Sonne! Du blaues Licht?« –

Sie preßt voll Wonne ihr Blütengesicht,

Bebend in wogenden Qualen,

In die traumblassen, leblosen Strahlen.

»Bist du die Sonne?« – – –
[20]

Der Tag hat ihr die Sonne gebracht.

Der Tag war zerronnen. Duftweiße Nacht.

»Das also Sonne? Empfindloses Gold?!

Und mein Traum, Weichheit so schmiegsam und hold –

Küßt, küsset mich blaue Strahlen,

Löschet die zehrenden Qualen,

Seid Sonne, Sonne!!« –


Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925, S. 20-21.
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