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[222] Fortsetzung der Reise.
Den Tag nach Beendigung unserer Schiffsarbeiten lichteten wir den Anker, und trieben mit der Ebbe und der Strömung des Flusses durch die Mündung desselben hinaus, wo wir den Anker wieder fallen ließen, weil uns der Wind ungünstig geworden war, und erst nach zwei Tagen konnten wir weiter segeln. Wir nahmen den Lauf Nordost, eben so besorgt, englischen oder holländischen Schiffen zu begegnen, als die Kauffahrteischiffe im mittelländischen Meere sich vor den algierischen oder tunesischen Seeschäumern scheuen. Nach einigen Tagen einer guten Fahrt drehten wir gerade nach Nord, und behielten diese Richtung bis wir über den 22. Grad der Breite hinaus waren, und liefen dann gerade der Insel Formosa zu, um uns daselbst mit frischem Wasser und Lebensmitteln zu versehen, die wir auch in Ueberfluß, wohlfeil und von guter Qualität erhielten. Die Einwohner waren redlich und gesittet, was vielleicht noch von dem Christenthum herrühren mag, das ehemals eine Zeitlang auf dieser Insel blühete.
Als wir selbige verließen, segelten wir wiederum nordwärts und hielten und in gleicher Entfernung[223] von den chinesischen Küsten, und nachdem wir den 32. Grad erreicht hatten, entschlossen wir uns, in dem nächsten Hafen, den wir entdecken würden, einzulaufen. Zu dem Ende näherten wir uns den Küsten, und als wir noch ungefähr zwei Seemeilen davon entfernt waren, kam uns ein Boot entgegen, worin sich ein alter portugiesischer Seemann befand, der uns seine Dienste als Steuermann oder Loots anzubieten kam, was wir mit Vergnügen annahmen. Er stieg sogleich an Bord, und ohne zu fragen, wohin unsere Fahrt gehe, sandte er sein Boot zurück.
Da uns diese Küste unbekannt war, so erkundigten wir uns nach allen Umständen, und bedeuteten ihm, daß wir nach Nanking zu segeln wünschten. Dies schien ihn zu verwundern, und er fragte neugierig, was wir dort wollten? Es wäre besser gewesen, in Macao einzulaufen. Wir bemerkten ihm aber, wir wären nicht bloß Kaufleute, sondern Reisende, die gern Länder und Völker kennen lernen möchten, auch Willens wären, die berühmte kaiserliche Residenz Peking zu besehen. Da meinte der gute Alte, der sehr umständlich und geschwätzig zu seyn schien, es wäre in diesem Fall besser, nach Ningpo, da näher läge, zu gehen, von wo wir dann leicht den großen Kanal erreichen könnten. Seine Widerreden machten mich ungeduldig, und ich sagte ihm: Ob er uns nach Nanking bringen könne oder nicht? Er erwiederte: »daß er das leicht thun könne, indem ihm die ganze Küste wohl bekannt und erst vorigen Tages ein holländisches Schiff den nämlichen Kurs hingefahren sey. Er bemerkte, daß ich auf[224] seine Antwort bestürzt geworden, und setzte hinzu, wir hätten nichts zu befürchten, da, soviel bekannt, England und Holland nicht mit einander Krieg hätten; nur Seeräuber haben sich zu scheuen, von diesen aber hat man seit fünfzehn Jahren in diesen Gewässern nichts gehört, ausser einem einzigen, der sich vor Kurzem in dem Flusse Cambodia gezeigt habe, und beinahe von Britten und Holländern genommen worden wäre, wenn die vordern Schluppen von den andern besser wären unterstützt worden. Man hat aber eine so genaue Beschreibung von diesem Fahrzeuge, daß es seiner wohlverdienten Strafe nicht entgehen wird.« – Wie! rief ich, ohne Untersuchung? – »Die Form Rechtens, meinte er, möchte hier wohl überflüssig seyn; man packt sie, hängt sie, oder schmeißt sie ins Meer, und damit hat der Prozeß ein Ende.«
Dieser derbe Ausspruch mußte mich natürlich empören, und da der Mann uns nicht verrathen konnte, weil er auf unserm Schiff bleiben mußte, so sagte ich ihm unverholen, daß unser Schiff eben das Fahrzeug wäre, von dem so viel gesprochen würde, und daß ich eben darum weder in Macao, noch in irgend einen andern Hafen einlaufen wolle, der von Europäern besucht würde. Ich erzählte ihm hierauf den ganzen Verlauf der Sache, und fragte ihn dann: Ob er an Bord das Geringste bemerke, das einen Seeräuber andeute?
Der gute Greis war äusserst betroffen über diese Nachricht, und sagte: »da sey nichts anders zu thun, als das Fahrzeug sobald möglich zu verkaufen, und mit[225] einem andern, das wir miethen oder erhandeln könnten, nach Bengalen zurückzukehren, und hierzu böte Nanking hinlängliche Gelegenheit dar.«
Wir richteten nun unsern Lauf gerade nach dieser berühmten Stadt, wo wir am dreizehnten Tage nachher, an der Mündung des Flusses, den Anker fallen zu lassen bereit waren, als wir durch Boote, die Früchte und andere Lebensmittel an Bord brachten, vernahmen, daß am nämlichen Morgen zwei holländische Schiffe vorbeigefahren wären. Wenn wir da blieben, oder weiter nordwärts segelten, so konnten wir ihnen nicht entgehen, und unsere frühern Besorgnisse erneuten und erhöhten sich bis auf den höchsten Grad. Unser Portugiese rieth uns, nach einem kleinen Hafen, den er, wo ich nicht irre, Quinschang nannte, hinzusegeln, der ungefähr vierzig Seemeilen südwärts läge, wo keine andern fremden Schiffe einliefen, als die, welche Missionarien von Macao her dahin brächten, welche von da nach dem Innern von China reiseten, um das Christenthum zu predigen, und wo wir völlig sicher wären. Dort könnten wir dann überlegen, was weiter zu thun seyn möchte. Es wäre freilich kein Handelsort, ausser zwei oder drei Mal jährlich, wo eine Art Jahrmesse statt fände, und japanische Fahrzeuge anlangten, allerhand chinesische Produkte einzuhandeln, oder gegen die ihrigen zu vertauschen.
Schon des folgenden Tages segelten wir dahin ab, nachdem wir erst vielerlei Lebensbedürfnisse und frisches Wasser eingenommen hatten. Wegen widrigem Winde konnten wir diesen Ort nicht früher erreichen, als am[226] fünften Tage, so sehr wir uns auch darnach sehnten, und wie froh waren wir, als der Anker gefallen war. Noch am nämlichen Abend verließ ich nebst Herrn Wilson, dem andern Gefährten, den Bedienten und den alten Portugiesen, der uns wegen seiner Kenntniß der Sprache und der Sitten des Volkes von großem Nutzen war. Wie erfreut war ich, als ich mich in meiner Wohnung am Lande befand, und ich that laut und feierlich das Gelübde, jenes Unglücksschiff nicht wieder zu besteigen, und mein Mitgenosse stimmte herzlich ein.
Der portugiesische Greis, der eine ganz besondere Zuneigung zu uns gefaßt hatte, kam am andern Morgen, nachdem er schon einige Gänge durch das Städtchen gemacht hatte, zurück, und sagte: daß er uns eine bessere Wohnung und ein Magazin gefunden hätte, und nachdem wir solches besehen, mietheten und bezogen wir es sogleich. Es bestand bloß in einer Hütte, und in einem anstoßenden, weitläufigen Gebäude von Bambu, und war mit einer soliden Umzäunung vom nämlichen Holze umgeben, was uns Sicherheit gegen Diebe und Bequemlichkeit gewährte. Da wir nicht mehr unser Schiff besteigen wollten, so liessen wir unsere Möbeln aus der Kajüte in unsere Wohnung bringen, und richteten uns auf's Beste ein. In wenigen Tagen waren auch unsere sämmtlichen Waaren in unserm Magazin eingeordnet, so daß uns nichts weiter mangelte, als sie, nebst dem Schiffe, sobald möglich zu verkaufen. Bis dahin bewilligte uns der Stadtmagistrat eine Schildwache, die wir mit einer Ration Reis und[227] einer kleinen Münze bezahlten, was uns täglich nicht mehr als drei englische Pfennige kostete.
Als wir hier anlangten, war die letzte Jahrmesse schon seit einigen Wochen vorüber, doch fanden sich auf dem Flusse noch vier oder fünf chinesische Junken und zwei japanische Fahrzeuge. Unser alter Portugiese war eben so thätig als gesprächig, und brachte uns sowohl mit den Chinesen als den Japanern, denen diese Schiffe gehörten, in Bekanntschaft, wie auch mit drei Missio narien, davon der Eine ein Portugiese, der Andere ein Italiener und der Dritte ein Franzose war. Dieser, Pater Simon genannt, war eben so aufgeweckt und artig, als jene ein düsteres strenges Ansehen affektirten. Die Gesellschaft dieser Geistlichen und Seeleute machte unsern Aufenthalt weit angenehmer, als er sonst an einem so unbedeutenden Ort gewesen seyn würde.
Die Bekehrungsweise der guten Patres war sonderbar genug, und ihre Proseliten eben so sonderbare Christen. Ihre ganze Bekehrung bestand darin, daß sie den Namen Jesus Christ aussprechen, an ihn und die heil. Jungfrau einige Gebete in einer ihnen ganz unverständlichen Sprache herplappern und das Zeichen des Kreuzes machen konnten. In allem Uebrigen blieben sie in der krassesten Unwissenheit, und dennoch bildeten sich diese Missionarien gar viel darauf ein, diese Seelen, wie sie sagten, gerettet zu haben. Pater Simon sollte nicht, wie die beiden Andern, in dieser Gegend bleiben, sondern nach Peking abgehen, sobald ein Gefährte, den er von Macao erwartete, angekommen[228] seyn würde. Jedesmal, wenn ich ihn sah, sprach er voll Dünkel von dieser Mission in der Kaiserstadt, die nach seinem Ausdruck so groß war, als Paris und London zusammengenommen, und er drang in mich, dahin mitzugehen. Obwohl ich eben nicht abgeneigt war, so konnte ich mich doch nicht dazu entschliessen, ehe unsere Geschäfte, der Verkauf des Schiffes und der Waaren abgethan waren, was an einem so kleinen Orte nicht so leicht und schnell geschehen konnte, als wir wünschten. Indeß gelang es doch früher, als wir hoffen durften.
Unser guter Alter, dessen thätige Dienstfertigkeit wir nie genug zu rühmen vermögen, bemühete sich unablässig, uns alle denkbaren Vortheile zu befördern. Eines Tages brachte er uns einen der japanesischen Schiffer, der unsere Waaren zu sehen wünschte. Nach deren Besichtigung nahm er vorerst unsern ganzen, sehr beträchtlichen Vorrath von Opium ab, und bezahlte ihn sehr wohl mit Gold und Silberbarren. Da mir aber noch weit mehr daran gelegen war, des Schiffes los zu werden, – denn die Waaren konnten wir allenfalls auf kleinen Flußschiffen nach Nanking bringen lassen, und daselbst leicht absetzen – so sagte ich dem Alten, er solle darüber mit dem Japaner sprechen. Dieser schüttelte zwar Anfangs den Kopf, kam aber doch nach einigen Tagen mit Pater Simon, der ihm als Dollmetscher diente, wieder zu uns, und that folgenden Vorschlag: da er uns eine bedeutende Menge von Waaren abgekauft und baar bezahlt, ehe er daran gedacht habe, unser Schiff zu erhandeln, so sey seine[229] Kasse jetzt zu erschöpft, um es zu kaufen; wenn wir aber die Mannschaft und einen Theil der Waaren darauf lassen wollten, so sey er geneigt es zu miethen, damit nach Japan zu segeln, dort die Ladung zu verkaufen, mit andern Waaren zu beladen und nach Manilla zu senden, und nach dessen Zurückkunft nach Japan würde er's dann für sich kaufen und baar bezahlen. Ich war sehr geneigt den Vorschlag anzunehmen, aber es zeigten sich mehrere Schwierigkeiten zu beseitigen. Der Charakter der Japaner – obwohl weit besser als der der Chinesen, – dann der gänzliche Mangel einer Bürgschaft, machte uns sehr unentschlossen. Dann kam es auch vorzüglich darauf an, ob unser Kapitän und die Schiffsmannschaft geneigt wäre, diese Reise zu machen. Um Zeit zu gewinnen, antworteten wir, daß vorerst die Mannschaft befragt werden müsse, ohne welcher Einwilligung wir nichts beschließen könnten. Er begnügte sich mit dieser Antwort, und versprach nach drei Tagen wieder zu kommen.
Wir ließen am folgenden Tage dem Kapitän unsers Schiffes entbieten, zu uns zu kommen, stellten ihm dann den Vorschlag und unsere Bedenklichkeiten vor, und ersuchten ihn, die Sache wohl zu überlegen, sie dann der Mannschaft vorzutragen und uns seine und ihre Entschließung des andern Tages mitzutheilen.
Der junge Mensch, der mit mir von meines Neffen Schiffe gekommen, und mir als Schreiber behülflich war, verlangte aber noch am nämlichen Abend mit mir zu sprechen. Er stellte mir vor, daß der Vorschlag des Japaners große Vortheile verspräche, und rieth[230] mir, ihn nicht abzulehnen. Wenn ich aber nicht dazu geneigt wäre, so möchte ich ihn als Supercargo auf dem Schiffe anstellen und ihm diejenigen Waaren anvertrauen, die wir darauf lassen wollten, und daß er mir nach unserer Zurückkunft nach England darüber Rechnung tragen wollte, wo ich ihm dann denjenigen Antheil geben könnte, den ich und Herr Wilson gut fänden.
Ich theilte dies meinem Mitgenossen mit, der sogleich sich geneigt zeigte, weil er diesen jungen Mann schätzte, und an ihm gewissermaßen einen Gewährsmann in dieser Angelegenheit fand. Er willigte daher ein, ihm selber das Schiff als Eigenthum, und überdies diejenigen Waaren, die wir in China nicht absetzen konnten, zu seiner Verfügung zu überlassen, wofür er uns bei unserer Rückkehr nach England die Hälfte des Erworbenen herausgeben, die andere für sich behalten solle. Ich war weit entfernt, weniger freigebig seyn zu wollen als mein Mitgenosse, und da es sich fand, daß die Mannschaft geneigt war, die vorgeschlagene Reise zu machen, so ward am folgenden Tage der Vertrag zwischen uns auf vorbesagte Bedingnisse aufgesetzt, dreifach ausgefertigt und unterschrieben. Um nicht weiter hierauf zurückkommen zu müssen, füge ich gleich hier bei, daß der junge Mann mit dem Japaner den uns von ihm gemachten Vorschlag eingieng und ausführte, wobei Letzterer sich als ein wackerer Mann zeigte, und seinem jungen Gefährten Veranlassung und Unterstützung gewährte, so daß er nach acht Jahren mit einem großen Vermögen nach England zurückkehrte,[231] und mich und Herrn Wilson mit der lobenswerthesten Redlichkeit befriedigte.
Während der Zeit, daß unser Schiff zu seiner Reise ausgerüstet und befrachtet wurde, machten wir es uns zur Pflicht, die beiden Männer, die uns den gegen uns gemachten Anschlag entdeckt hatten, zu belohnen. Freilich hatten sie sich gegen ihre Befehlshaber verrätherisch betragen, und uns mehr aus Eigennutz als aus Freundschaft bedient; dies konnte aber hier nicht in Betracht kommen, denn der Dienst, den sie uns leisteten, war für uns von der höchsten Wichtigkeit, da wir ihnen Leben, Ehre und Eigenthum zu verdanken hatten. Wir bezahlten ihnen daher vorerst ihre rückständigen Besoldungen, und überdies jedem zehn Pfund Sterling, und da sie tüchtige Seeleute waren, so ernannten wir sie zu Deckoffizieren, womit sie sehr zufrieden waren.
Wir sahen unser Schiff nicht ohne Rührung absegeln, und fühlten uns so sehr verlassen, in einem von England unermeßlich entfernten Lande, wo eine andere Sprache, andere Religion, andere Sitten, andere Kleidung, eine andere Pflanzenwelt, andere Geschöpfe, ein anderes Klima, eine andere Natur, jeden Augenblick mich erinnerte, wie lange Zeit es bedurfte, ehe ich je mein Vaterland wieder sehen konnte.
Was uns einigermaßen tröstete, war der Umstand, daß wenige Monate nach der Abreise des Schiffes, das uns alle Bekannten entführt hatte, eine der Jahrmessen statt fand, die uns nicht allein Zerstreuung, sondern[232] wahrscheinlich auch Gelegenheit versprach, unsere noch übrigen Waaren abzusetzen, und dadurch der Mühe zu entheben, sie weiter zu schleppen, zumal wir geneigt waren, sie wohlfeil loszuschlagen, indem uns die bis bisherigen Spekulationen überflüssig begünstigt hatten. Ausserdem ließ es sich auch vermuthen, daß wir Schiffe finden würden, um entweder nach Macao oder Bengalen und von da dann leicht nach Europa zurückzukehren, eine Aussicht, die schon allein genügte, uns aufzuheitern. Wir erhoben uns aus unserer bisherigen düstern Lebensweise, machten mehrere Reisen in das Innere des Landes; besonders war die nach Nanking, die gegen sechs Wochen dauerte, sehr interessant. Diese Stadt ist sehr groß, die Straßen sind schnurgerade und schneiden sich in rechten Winkeln, aber die bunten Häuschen an beiden Seiten, ihre zeltartige Bauart, die Stangen mit Wimpeln und Fahnen, nebst dem unaufhörlichen Geklingel der Glöckchen, die an allen Haus- und Dachecken aufgehängt sind, geben ein kindisches, widriges Schauspiel. Die Stadt soll eine Million Einwohner enthalten, was mir aber unglaublich vorkommt. Ueberhaupt ist alles was von diesem Wunderlande in die Welt hinaus geschrieben wird, höchst übertrieben, und nur die ganz besondere Eigenthümlichkeit dieses Volkes erregte unser Erstaunen.1 Freilich ist die Kriegsmacht dieses Reiches ungeheuer, aber nur[233] in der Anzahl, 840,000 Mann, worunter 240,000 Reiter, betragen soll2, denn sie würde sich gegen eine wohlangeführte und durch ein Flotte unterstützte europäische Armee von 100,000 Mann nicht halten können, wenn nämlich diese nicht eingeschlossen, und durch Mangel an Kriegs- und Lebensbedürfnissen aufgerieben werden könnte.
Dagegen verdienen einige ihrer Nationalwerke alles Lob. Dazu gehören denn vorzüglich der große Kanal und die große Mauer, von welcher ich weiter unten sprechen werde.
Der sogenannte Kaiserkanal hat seine Richtung von Nord nach Süd, und durchschneidet die Hauptströme von China, beinahe unter rechten Winkeln, da diese meist von West nach Ost fließen und den Kanal entweder mit dem nöthigen Wasser versehen, oder das überflüssige aufnehmen und in's Meer ergießen. Es muß nicht leicht gewesen seyn, die allgemeine Verebnung zu Stande zu bringen, da man auf die Höhe der Flüsse hauptsächlich Rücksicht zu nehmen genöthigt war. Da wo der Kanal mit dem übrigen Boden gleiche Höhe hat, sind Gräben gezogen, um das überflüssige Wasser abzuleiten. War der Boden höher, so hat man Vertiefungen gemacht, die 60, oft 70 Fuß betragen. An andern Orten, wo der Boden niedrig, morastig oder selbst mit Seen bedeckt war, sah man sich genöthigt, hohe Dämme aufzuführen, welche dem[234] Kanal zur Unterlage dienen. Solche riesenmäßige Dämme sind zuweilen mehrere englische Meilen lang, und das Wasser des Kanals fließt in bedeutender Höhe über die Seen weg. Der Wasserstand des Kanals ist nicht überall gleich, daher ist man oft genöthigt, die Fahrzeuge von Menschen ziehen zu lassen, oder sie vermittelst starker Balken in die Höhe zu bringen, indem starke Rollen und Taue zum Aufwinden dienen. Wieder hat an andern Stellen das Wasser einen so starken Fall, daß die Fahrzeuge in einer Stunde mehr als Dreiviertel deutsche Meilen fortschießen; an vielen Stellen, wo der Kanal 30 Fuß breit ist, sind Schleußen, die aber nur aus starken Bohlen bestehen, welche in die Fugen eines eigenen Mauerwerks genau einpassen. Der Kanal läuft 600 Wegstunden weit, durchschneidet das ganze Reich, und wird zu jeder Jahreszeit mit großen Frachten häufig durchfahren; er ist das erhabenste Menschenwerk, das sich durch Riesengröße und Nützlichkeit auszeichnet.
Als wir von Nanking nach Quinschang zurückkamen, war in der Zwischenzeit der Gefährte des Paters Simon daselbst angelangt, und ihre Abreise nach Peking war bereits festgesetzt; Pater Simon drang nun stärker in mich, mitzureisen, und ich selbst hatte durch meinen letzten Ausflug noch mehr Lust bekommen, die große Kaiserstadt zu sehen. Es bot sich eine gute Gelegenheit dar, um diese Reise mit mehr Sicherheit und Bequemlichkeit zu machen. Ein Mandarin, der mit einem großen Gefolge nach der Hauptstadt reisete, nahm uns in selbiges auf, eine Gunst,[235] die wir sehr leicht erhielten, da sie ihm baaren Vortheil eintrug, denn wir mußten ihm die Lebensmittel und Fourage, die das Volk ihm umsonst liefern mußte, bezahlen; sein Intendant kam täglich mit großer Pünktlichkeit, uns den Betrag abzufordern. Indeß erhielten wir dafür unsere Ration richtig und reichlich. Wir waren unser Dreißig oder Vierzig, die ihm diesen Tribut entrichteten, was ihm ein Bedeutendes eintrug. Ueberhaupt ist nichts der Unterdrückung, der Plünderung und der Tyrannei der Mandarinen zu vergleichen, als ihr Stolz und ihre Unwissenheit. Sie sind die Vizekönige und Gouverneurs der Provinzen, und erhalten ihre Stellen durch Bestechung und Kriecherei. Keiner er hält ein solches Amt unter 60,000 Thalern, damit aber zugleich die stillschweigende Erlaubniß, ungestraft Weiber, Güter, Ehre und Freiheit ihrer Untergebenen zu rauben; nach einem oder wenigen Jahren ziehen sie mit einer zusammengeraubten Million ab, um einem ähnlichen Blutsauger Platz zu machen. Als wir den großen Kanal erreicht hatten, wurden Fahrzeuge zusammengebracht, um den Mandarin mit seinem ganzen Gefolge, zu dem wir nun auch gezählt wurden, fortzubringen. Auch die zum Fortziehen dieser Fahrzeuge nöthigen Leute wurden wie Vieh zusammengetrieben; man zwang bejahrte Männer und Familienväter, ihre eigenen Arbeiten zu verlassen, und das schwere Schiffziehen umsonst zu verrichten, und wenn sie aus Schwachheit und Alter zu langsam giengen, oder nicht mehr fort konnten, so ließ sie der Mandarin auf die unbarmherzigste Weise[236] prügeln. Kamen wir bei einer Stadt an, so ward die Ankunft und Gegenwart desselben mit großem Pomp angekündigt. Vor ihm her giengen Soldaten, Henker, Kopfabhauer, Kettenträger, und Männer mit Prügeln, und die sklavische Menge fiel bei seinem Aufzuge auf die Knie. Dies sey genug von einem Volke, das über alle andere Nationen lobgepriesen wurde.
Unsere Reise – theils zu Lande, theils zu Wasser – dauerte beinahe einen ganzen Monat. Das Land war stark bevölkert und ziemlich gut angebaut, und die Landstraßen waren vortrefflich, aber es zeigte sich unter der Menge ein allgemeines Elend und große Dürftigkeit; auch vernahm ich, daß oft schreckliche Hungersnoth herrscht. Gegen diese Armuth sticht nichts so widrig ab, als der Prunk und Stolz, womit diejenigen, die auch nur etwas Weniges besitzen, sich brüsten, besonders gegen Fremde, denn sie verachten alle übrigen Völker der Erde. Ich belachte und bespottete diese Eitelkeit in unsern Gesprächen mit Herrn Wilson und mit Pater Simon. Wir begegneten einst einem solchen sich vornehm dünkenden Landjunker, und hatten die Ehre, ihn eine halbe Stunde weit bis zu seinem Landsitze, der in der Richtung unsers Weges lag, zu begleiten. Da wir keinen Dollmetscher bei uns hatten, so war freilich an kein Gespräch zu denken, es ist aber wahrscheinlich, daß er zu stolz gewesen wäre, mit uns zu sprechen, wenn er es auch gekonnt hätte, denn er wußte kaum, wie er sich drehen und halten sollte, um uns seine vermeinte Ueberlegenheit fühlen zu lassen, obschon er ein kleines, doch aber dickbeleibtes[237] Männchen war, das mit der dürren Magerkeit seines langbeinigten Gauls gar zu sehr abstach; alles Uebrige schickte sich aber gar vortrefflich zusammen. Seine Kleidung bestand aus einem abgenutzten, von schwarzem Seidenzeug reichlich mit gefalteten Streifen vom nämlichen Stoffe bordirten, weiten Gewande, mit langen, weiten Aermeln; dieses Prunkgewand bedeckt ein Unterkleid von großblumigtem Kattun. Sein Haupt war mit einem breiten, von Stroh geflochtenen Hut beschirmt, und dieser sowohl als alle andern Kleidungsstücke waren so eckelhaft unreinlich, daß man kaum die Grundfarbe derselben zu errathen vermochte. In der Hand hielt er eine Peitsche, womit er tüchtig auf seinen Gaul los arbeitete, doch würde dies zu seinem Fortkommen wenig gefruchtet haben, wenn nicht zwei Bedienten oder Sklaven, die zu Fuße folgten, und ebenfalls mit Peitschen bewaffnet waren, das Knochengerippe in Bewegung erhalten hätten. Ausser diesen Beiden folgten noch ein Dutzend andere Sklaven, deren Aufputz sich, nach dem was von der Kleidung ihres Herrn gesagt worden, leicht beurtheilen läßt. So war der Prachtzug dieses stolz auf seine Umgebungen herabblickenden Chinesen beschaffen, der von der nächsten Stadt kam, um seinen Landsitz mit seiner Gegenwart zu beehren. Da wir ein Halbstündchen in einem an der Straße liegenden Dorfe verweilten, er aber seinen Weg fortsetzte, so sahen wir ihn nachher im Hofe am offenen Thore seines Hauses seine Mahlzeit halten, wo er von allen Vorbeigehenden gesehen werden konnte, und eben darum schien er diesen Platz gewählt zu[238] haben, um sich bewundern zu lassen. Er saß unter einem Palmbaume, und obgleich dieser Schatten genug verbreitete, so hatte er doch noch einen großen Sonnenschirm über sein Haupt ausbreiten lassen, ohne Zweifel, um einen Thronhimmel vorzustellen. Zwei Sklavinnen brachten die Schüsseln mit Speisen, eine Dritte steckte ihm die Bissen in den Mund, und eine Vierte las von seinem Gewande die Brocken auf, die beim Kauen herabfielen. Pater Simon untersuchte die Speisen genauer, und versicherte mich, sie wären so schlecht, daß in Frankreich ein Hund sie verschmähet hätte; dennoch schien der Dickwanst zu glauben, wir bewunderten ihn. So kann Stolz und Eigendünkel trügen und zu Thorheiten verleiten!
Wir langten wohlbehalten in der Kaiserstadt an, ohne daß uns etwas Besonderes zugestoßen wäre, ausser, daß ich einst bei'm Uebergang durch einen Fluß in's Wasser fiel, und mich tüchtig durchnäßte. Die einzige Folge dieses unangenehmen Bades war, daß das Heft, worin ich meine Reisebemerkungen aufzeichnete, so verdarb, daß nichts mehr daraus zu enträthseln möglich war, daher mir denn auch die Namen der Orte, wo wir durchpassirten, ihre Entfernungen und anderes, was Land und Leute betrifft, entfallen ist.
Peking, bei den Chinesen Beid-sin genannt, liegt in einer von aller Waldung entblößten, trockenen Ebene, die westlich an eine hohe Bergkette gränzt, aus welcher einige kleine Flüsse herab und durch die Ebene fließen, wovon der eine ganz Peking umströmt. Der ganze Umfang beträgt mehr als vier deutsche Meilen,[239] und bildet ein längliches Viereck. Die Stadtmauern bestehen aus Backsteinen, und sind so breit, daß man oben darauf bequem reiten kann. Auch die Häuser sind von Backsteinen erbaut, und nur ein Stockwerk hoch, von denen man nur das Dach erblickte, indem sie in einem Hofe stehen, der durch eine Mauer von der Gasse getrennt ist. Die Straßen sind groß, breit und gerade, aber ungepflastert. Doch ich kehre zu meinen eigenen Abentheuern zurück.
Ich hatte nur den Bedienten, den vormaligen Matrosen, den ich von meines Neffen Schiff mitgenommen hatte. Her Wilson hatte ebenfalls nur einen englischen Bedienten. Ueberdies begleitete uns noch der alte Portugiese, welcher hoffte, in Peking bessere Gelegenheit zu seinem Fortkommen zu finden. Er war uns hier eben so ergeben, und so thätig als vorher. Mir waren kaum eine Woche in Peking, als er mich berichtete, er hätte eine sehr gute Nachricht für mich, die aber desto schlechter für ihn selbst wäre. Da ich hier allen Menschen eben so unbekannt war, als sie mir, so konnte ich natürlicherweise weder gute noch böse Nachrichten erwarten. Er meldete mir, es befinde sich eine zahlreiche Karavane russischer und polnischer Kaufleute in der Stadt, welche Willens wären, in fünf oder sechs Wochen nach Rußland abzureisen, und er wüßte für mich keine bessere Gelegenheit, um wieder nach Europa zu kommen, als diese, und wirklich war ich ganz entzückt, so daß ich ihm vor Freude kaum zu antworten vermochte, und ihn erst nach einigen Minuten endlich frug, ob dies denn auch ganz gewiß sey?[240] »O ganz zuverlässig, erwiderte er, ich habe einen Armenier, einen meiner alten Bekannten hier angetroffen, der von Astrachan kömmt, und von hier nach Tunking reisen wollte, wo wir uns das letzte Mal gesehen haben. Jetzt hatte er seinen Reiseplan verändert, wozu eben jene Karavane beitrug, denn er ist mit ihren Anführern bereits übereingekommen, mit ihr nach Moskwa abzugehen, und wenn er da seine Geschäfte beendigt hat, wieder nach Astrachan und von da erst künftiges Jahr nach Tunking zurückzukehren.«
Auf meine Frage: Was denn für ihn Nachtheiliges bei dieser Sache wäre? versetzte er: »Sie sind bisher so gütig für mich gewesen, haben mich auf der ganzen Reise frei gehalten, und nun reisen Sie nach Nord, und lassen mich hier ohne Pferd, ohne Schiff, ohne Geld dahin zurückzukehren, wo ich mit Ihnen hergekommen bin.« – Wenn Ihr nicht ganz dringende Beweggründe dazu habt, erwiederte ich, so sehe ich die Nothwendigkeit euerer Rückkehr nicht ein, Ihr könnt mit uns nach England kommen, wo Ihr leicht und beinahe wöchentlich Gelegenheit findet, nach Portugal zu reisen, und ich zweifle keinen Augenblick, Herr Wilson wird einwilligen, Euch solche Bedingnisse zu machen, daß Ihr zufrieden seyn werdet. Ich will sogleich mit ihm darüber sprechen. Dies schien ihn sehr zu freuen.
Ich sagte Herrn Wilson alles, was ich so eben erfahren, und er war auch sogleich bereit, die Reise mit der Karavane zu machen, als auch seinen Antheil zu der Belohnung des treuen Portugiesen beizutragen, der uns so große Dienste geleistet hatte. Wir liessen ihn[241] daher rufen. Er hatte während der Zeit die Sache auch näher überlegt, und bemerkte: »Die Reise wäre ausserordentlich lang und kostbar; nun vermuthe er zwar, daß wir ihn noch ferner frei halten, ja selbst ihm Reisegeld geben würden, um aus England nach Portugal zu gelangen, das er vor mehr als vierzig Jahren verlassen, und seitdem nicht wieder gesehen habe, sich also daselbst eben so fremd als hier in Peking, und was das Schlimmste, ohne alle Mittel befinden würde, um sein Leben zu fristen; an der chinesischen Küste hingegen könne er, da sie ihm sowohl bekannt sey, sein hinlängliches Auskommen verdienen, u.s.w.« Man sieht hieraus, wie richtig diese Menschen ihre Vortheile berechnen. Freilich wird Mancher einwenden, diese Art zu berechnen, sey gar beschränkt u. dgl.; sie steht aber mit ihrer Lage im Verhältniß, schweift nicht nach augenblicklichem Genusse, oder nach unerreichbaren Hirngespinsten, die die nachfolgende Wirklichkeit verkümmern, und hält sich an das Solide.
Wir beantworteten seine Aeusserungen durch das Anerbieten: ihn bis nach Portugal in Allem frei zu halten, und ihm über das bei seiner Abreise aus England eine Summe von 200 Pfund Sterling zu seinem fernern Fortkommen zu schenken, womit er, wenn es ihm in seinem Vaterlande nicht gefiele, leicht wieder nach Bengalen oder China zurückreisen könne. Dies Anerbieten war für den guten Alten eine unerwartete Fortun, die er weit über seine uns geleisteten Dienste schätzte; er überfloß in Danksagungen, und verpflichtete sich, uns fernerhin so dienstfertig, treu[242] und ergeben zu seyn, als seine geringen Kräfte erlaubten, und er hielt Wort.
Nachdem diese Angelegenheit zu unser Aller Zufriedenheit berichtigt war, machten wir eifrigst unsere Vorbereitungen zu unserer Abreise, die uns aber mehr Zeit kosteten als wir vermutheten. Zum Glück gieng es den Uebrigen nicht besser, und anstatt in sechs Wochen abzureisen, dauerte es wohl vier Monate, ehe die Karavane im Stand war, die Reise anzutreten. Diese Zwischenzeit liessen wir nicht unbenutzt verstreichen. Herr Wilson gieng mit den Portugiesen nach Quinschang, um einige dort gelassene Waaren theils zu verkaufen, theils nach Peking bringen zu lassen. Ich hingegen gieng mit einem Kaufmann, den ich in Nanking hatte kennen lernen, dahin, um für mich besonders Waaren einzuhandeln; sie bestanden in neunzig Stücken Damast, zweihundert Stücken von andern Seidenstoffen, davon ein Theil mit Goldstreifen durchzogen war, und ausserdem eine bedeutende Menge roher Seide, Thee und andern diesem Lande eigenthümlichen Waaren. Obschon ich kein eigentlicher Kaufmann war, so wollte ich doch nicht in diesem Lande gewesen seyn, ohne die vortrefflichsten Erzeugnisse desselben aus der ersten Hand anzukaufen. Der Ankaufspreis betrug gegen 3000 Pfund Sterling, und ich war bereits mit allem in Peking angelangt, als Herr Wilson daselbst eintraf.
1 Robinson beurtheilte schon damals China ganz richtig. Man sehe die neuern Reisen von Macartney, Barrow und Andern.
2 Nach Barrow wäre sie sogar 1 Million 500,000 Mann stark.
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Robinson Crusoe
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