Zweiter Abschnitt.

[47] Sklaverei und Flucht.


Alle meine Gefährten wurden in das Innere des Landes an den Hof des Kaisers gebracht; mich aber,[47] der jung und flink war, behielt der Räuberkapitän, als seine eigene Beute, als Sklave zurück. Mein Zustand war nicht so schrecklich, als ich anfangs gefürchtet hatte; demungeachtet drückte mich die unglücklichere Veränderung meiner Lage von einem Kaufmann zum Sklaven ganz zu Boden. Jetzt schien mir die prophetische Rede meines Vaters: daß ich elend seyn und keinen Retter haben würde, so ganz erfüllt zu seyn, daß es nicht schlimmer werden könne, und ich ohne Rettung verloren sey. Das war aber nur ein Vorschmack des noch bevorstehenden Elends.

Da mich mein neuer Gebieter mit sich nach Hause genommen hatte, so hoffte ich, daß er mich auch wieder mit zur See nehmen werde, wo es sich denn wohl ereignen könnte, daß er von einem spanischen oder portugiesischen Schiffe genommen und ich meine Freiheit erlangen würde. Allein diese Hoffnung verschwand bald, denn wenn er zur See gieng, so ließ er mich am Lande zurück, seinen Garten zu bauen, und andere häusliche Sklavenarbeit zu thun; und kam er von seinem Kreuzen zurück, so mußte ich des Nachts in der Kajüte liegen, und das Schiff bewachen.

Mein einziger Gedanke war Flucht und die Art und Mittel sie zu bewerkstelligen, aber ohne den geringsten Erfolg; denn ich war ganz allein, hatte keinen Engländer, Schottländer oder Irländer zum Mitsklaven, dem ich meinen Anschlag mittheilen, und mit ihm ausführen konnte. So harrte ich zwei Jahre, ohne sie möglich machen zu können, so sehr sich meine Gedanken damit, als dem Lieblingsgeschöpfe meiner[48] Einbildung, beschäftigten. Aber nach diesem Zeitraum schien ein neuer Umstand den Versuch, mich zu befreien, begünstigen zu wollen.

Mein Patron lag länger als gewöhnlich zu Hause – weil, wie ich hörte, der Geldmangel ihn an der Ausrüstung seines Schiffes hinderte. Während dieser Zeit fuhr er wöchentlich mehrere Male im kleinen Schiffsboote auf die Rhede, um zu fischen. Ich und ein kleiner Maurenjunge, Namens Xury, mußten rudern. Wir machten ihm oft viele Lust, und ich zeigte mich im Fischen so geschickt, daß er mich oft mit einem seiner Unverwandten und dem Maurenjungen hinausschickte, ihm ein Gericht Fische zu fangen.

Einst, als wir an einem stillen Morgen zum Fischen hinaus fuhren, erhob sich ein so dicker Nebel, daß wir die kaum eine halbe Meile entfernte Küste ganz aus dem Gesichte verloren; wir ruderten immer zu, ohne zu wissen wohin, den ganzen Tag und die folgende Nacht, und als der Morgen anbrach, so fand sich's, daß wir uns, anstatt der Küste zu nähern, wenigstens zwei Meilen davon entfernt hatten, und da der Wind frisch vom Lande zu wehen anfieng, kamen wir nicht ohne Mühe und Gefahr, aber doch glücklich und hungrig, zurück.

Unser Patron, durch diesen Unfall gewarnt, beschloß, sich einem ähnlichen nicht wieder auszusetzen, und nie ohne Kompaß und Lebensmittel auf's Fischen auszufahren. Er ließ auf der Schaluppe von unserm englischen Schiffe, die neben dem seinigen lag, durch seinen Schiffszimmermann ein kleines Zimmer mit einem Feuerheerde zurechte machen, hinter welcher einer das [49] Steuerruder und die Schoten handhaben, vorn aber zwei die Segel hissen und wenden könnten. Dieses Boot hatte ein Gieksegel; der Baum lag gerade über die Kajüte, welche so schmal und niedrig war, daß nur ein Tisch darin stehen und 3 Menschen darin sitzen konnten; doch waren einige Fächer angebracht, um Flaschen mit Getränke, Brod, Reis und Kaffe darin aufzubewahren.

Mit diesem Boote fuhr er nun oft auf den Fischfang aus, doch nie, ohne mich, wegen meiner Geschicklichkeit, mitzunehmen. Einst hatte er sich vorgenommen, mit zwei oder drei Mauren von Stande in diesem Boot auszufahren, und mir Befehl gegeben, einen großen Vorrath von Lebensmitteln nebst drei Flinten mit Pulfer und Schroot auf das Boot zu bringen, um sich sowohl mit Vogelschiessen als mit Fischen zu belustigen. Ich befolgte seinen Befehl, und wartete des Morgens auf ihn im Boote, das ich rein gewaschen und mit Flagge und Wimpeln geschmückt hatte, so daß es an nichts fehlte, seine Gäste wohl zu empfangen.

Allein mein Patron kam ganz allein, und sagte, seine Gäste hätten die Lustfahrt wegen Geschäften abgesagt; ich sollte daher nur mit dem Mauren und mit Xury auf's Fischen hinausfahren, denn seine Freunde würden bei ihm zu Hause speisen; sobald ich etwas gefangen, sollte ich's dahin bringen.

Das alles nahm ich mir nun vor zu thun; allein im selbigen Augenblick kamen mir auch meine Gedanken an die Flucht in den Sinn; denn ich sah, daß ich mich des jetzt mit Lebensmitteln versehenen[50] Boots bemächtigen könnte. Kaum hatte mein Herr sich entfernt, so machte ich alle Anstalten, nicht bloß zum Fischen, sondern zu einer Reise, obschon ich noch nicht wußte, wohin ich steuern wollte, mich auch nicht darum bekümmerte, denn jeder Weg war mir recht, der mich von diesem Ort entfernte.

Mein erster Gedanke war, den Mauren unter einem schicklichen Vorwand dahin zu bringen, mir noch mehr Unterhalt zu verschaffen. Ich sagte ihm daher: »Er möchte hingehen, und uns Speise besorgen, denn unsers Herrn Vorräthe dürften wir nicht berühren. Ja wohl,« sagte er und gieng, brachte dann einen großen Korb voll Rusk – eine Art Zwieback – und zwei Flaschen frisches Wasser in's Boot. Während seiner Abwesenheit nahm ich aus dem mir bekanntten Flaschenfutter unsers Patrons, das nichts andere als englische Beute war, die Flaschen, und brachte sie in's Boot, als wenn sie schon für unsern Herrn da gewesen wären. Auch nahm ich einen großen Klumpen Wachs, einen großen Knaul Bindfaden, einen Kochkessel, ein Beil, eine Säge und einen Hammer, welches alles mir in der Folge vortrefflich zu statten kam; aus dem Wachs und Bindfaden machte ich mir Kerzen.

Der Maure ließ sich noch einmal zum Besten halten. »Müley, sagte ich zu ihm, – er hieß Ismael, das sie kurz Müley aussprechen, – unsers Patrons Flinten sind alle im Boot, könntest du nicht etwas Pulfer und Schroot verschaffen? vielleicht könnten wir einige Aleamies – eine Art Seevögel – für uns schiessen; ich weiß, daß[51] unser Patron immer Munition im Vorrath im Schiffe hat.« »O ja, antwortete er, ich will gleich was holen«; brachte dann einen großen ledernen Beutel, der ungefähr anderhalb Pfund Pulfer enthielt, und noch einen andern Beutel mit fünf bis sechs Pfund Schroot und einigen Kugeln, und legte das alles in's Boot. Zu gleicher Zeit hatte ich in der Kajüte noch etwas Pulfer gefunden, und damit eine leere Flasche angefüllt; und so mit allem Nothwendigen versehen, segelten wir hinaus zum Fischen. Die Wache des Kastells am Eingang des Hafens kannte uns schon, und ließ uns ungehindert vorbeifahren. Eine Meile vom Hafen geyeten wir die Segel und setzten uns zum Fischen, ich zog aber keinen Fisch heraus, damit ihn der Maure nicht sähe. Nach einiger Zeit sagte ich: »Das geht nicht, so kriegt unser Herr keine Fische; wir müssen weiter hinaus.« Er, der daraus kein Arg hatte, war es gleich zufrieden, und da er vorn im Boote stand, hitzte er gleich die Giek auf, ich aber stand am Steuerruder und drehte erst bei, als wir eine Meile weiter gesegelt waren, als ob ich hier wieder fischen wollte, gab dann dem Xury das Steuerruder und gieng zum Mauren, der sich über das Vordertheil hinausbückte und bereits fischte, faßte ihn unversehens zwischen den Schenkeln und warf ihn über Bord. Er kam Augenblicks in die Höhe, denn er schwamm wie ein Kork, rief mir bittend zu, ihn einzunehmen und betheuerte, mir überall hin folgen zu wollen; allein ich legte meine Flinte auf ihn an und sagte: »Ich will dir kein Leid thun, du schwimmst gut und die See ist[52] still, mache also, daß du fort und an's Land kömmst; näherst du dich aber, so schieß ich dich vor den Kopf, denn ich bin entschlossen, meine Freiheit zu haben.« Er wandte sogleich um, und schwamm dem Ufer zu, das er auch ohne Zweifel erreicht haben wird. Ich hätte ihn wohl auch mitnehmen können, aber ich traute ihm nicht, und mochte auch nicht unser Drei ernähren. Als er fortschwamm, sagte ich zu dem Jungen: »Xury, wenn du mir treu seyn willst, so will ich dich wohl halten; aber du mußt dich in's Gesicht schlagen, und mir bei Mahomed und deines Vaters Bart Treue schwören, sonst muß ich dich auch in die See werfen.« – Xury lächelte mich in seiner Unschuld an, so daß ich unmöglich Mißtrauen in ihn setzen konnte, und schwor mir, getreu zu seyn, und mit mir bis an der Welt Ende zu gehen.

So lange mich der fortschwimmende Maure noch sehen konnte, steuerte ich so dicht bei dem Winde als möglich, damit man denken möchte, ich segle nach Europa. Der Wind war Nord-Nordost und mir gar nicht günstig; wär er südlich gewesen, so würde ich die Küste von Spanien gewiß erreicht haben; allein er mochte wehen, aus welcher Ecke er wollte, mein Entschluß war fest, der Sklaverei zu entziehen. Sobald aber der Abend dämmerte so machte ich eine Wendung, sammelte Süd, und lenkte meinen Lauf etwas östlich, damit ich näher an der Küste in stillerm Wasser bliebe, und bei dem frischen Winde gieng die Fahrt so schnell daß ich den folgenden Nachmittag um drei Uhr, als[53] wir landwärts steuerten, wenigstens hundert und fünfzig Meilen südlich von Salee, weit über das Gebiet des Kaisers von Marokko oder irgend eines maurischen Königs hinaus seyn mußten, denn wir sahen keine Menschen. Wer hätte auch vermuthen sollen, daß ich südwärts, so recht gegen die barbarische Küste, segeln würde, wo wir nicht einmal das Land betreten konnten, ohne uns der Gefahr auszusetzen, von Negern umringt und getödtet, oder von wilden Thieren gefressen zu werden? aber die Furcht, wieder in die Hände der Mauren zu fallen, schreckte mich so sehr, daß ich den guten Wind benutzte und, ohne stille zu halten und zu ankern oder an's Land zu steigen, fünf Tage in einem fort segelte.

Nun aber wandte sich der Wind nach Süd um, und da wagte ich es erst, gegen die Küste zu steuern. Wenn dir auch, dachte ich, eines ihrer Schiffe nachsetzt, so werden sie's nun wohl aufgeben. Ich ließ eines Abends den Anker in der Mündung eines kleinen Flusses fallen, ohne zu wissen, in welcher Gegend, unter welcher Breite, bei welcher Nation; ich sah keinen Menschen, und wünschte auch keinen zu sehen; mein einziger Wunsch war frisches Wasser. Wir hatten uns vorgenommen, an's Land zu schwimmen, wenn es finster seyn würde; als es aber Nacht war, hörten wir ein so schreckliches Bellen, Brüllen und Heulen wilder Thiere, daß der arme Xury sich beinahe zu Tode ängstigte, und mich inständig bat, ja nicht vor Anbruch des Tages an's Ufer zu gehen. »Gut, sagte ich, wenn wir aber nun am Tage Menschen sehen, [54] die für uns eben so gefährlich sind als diese Bestien?« – »O dann, antwortete er lachend, nehmen wir die Flinte und machen sie alle davon laufen.« Xury's Rath war gut, ich befolgte ihn, und es war mir lieb, den Jungen so muthig zu sehen; um ihm noch mehr Herz zu machen, gab ich ihm ein Schlückchen aus dem Flaschenfutter des Patrons. So blieben wir die Nacht über vor Anker liegen, aber an Schlafen war nicht zu denken, denn nach einigen Stunden sahen wir ungeheure Thiere von unbekannter Art an den Strand kommen, sich im Wasser herumwälzen und abkühlen, wobei sie ein solches Geheule machten, daß ich nie etwas so Entsetzliches gehört habe.

Xury war in Todesangst und, die Wahrheit zu gestehen, ich nicht weniger, und sie stieg noch mehr, als wir eine dieser Bestien gegen unser Boot heranschwimmen hörten, denn sehen konnten wir sie nicht, aber nach ihrem Geschnaube zu urtheilen, mußte sie ungeheuer sehn. Xury versicherte, es sey ein Löwe, er hatte wahrscheinlich recht, und rief mir zu, den Anker zu lichten und fortzurudern. – »Nein, erwiederte ich, wir können ja das Ankertau länger ausschlüpfen lassen, und so das Boot weiter seewärts legen, weit kann sie uns doch nicht nachfolgen«; aber kaum hatte ich Zeit dies zu sagen, als ich das Thier nicht weiter als einige Ruderlängen von uns merkte, und nicht wenig erschrack. Ich holte gleich meine Flinte aus der Kajüte, und gab Feuer, worauf das Thier auch sogleich umkehrte, und[55] dem Ufer zuschwamm. Unmöglich läßt sich das schreckliche tausendstimmige Getöse beschreiben, das auf diesen Schuß – der erste, der hier je gehört worden seyn mochte – sowohl am Strande als weiter gegen das Innere des Landes entstand. Dies überzeugte mich vollends, daß gar nicht daran zu denken sey, bei Nacht an's Ufer zu gehen; ob wir uns sogar am Tage hinwagen dürften, war eine andere Frage; denn in die Hände der Wilden zu fallen, war eben so sehr zu fürchten als die Beute der Löwen und Tiger zu werden. Dennoch mußten wir durchaus Wasser holen, dessen wir keine Kanne mehr vorräthig hatten.

Endlich, als es heller Tag war, entschied Xury diese Frage, indem er sich anbot, »Wasser zu suchen und mir zu bringen, wenn ich ihm einen Krug mitgeben wollte.« Ich fragte, »warum denn gerade er hingehen wollte, und ich im Boot bleiben sollte?« Der gutherzige Junge antwortete mir mit so vieler Liebe, daß ich ihm von der Zeit an herzlich gut seyn mußte: »Wenn die wilden Leute kommen, so fressen sie mich, und du kannst fortgehen.« Ich fiel ihm um den Hals, und sagte: »O, sie sollen keinen von uns essen; wir wollen beide gehen, und wenn die wilden Leute kommen, so schiessen wir sie todt.« Hierauf aßen wir ein Stück Brod, nahmen einen Schluck aus dem bekannten Flaschenfutter, ruderten dann so nahe an das Ufer als es rathsam schien, und wadeten, jeder mit einem Gewehr und einem Kruge, an das Ufer. Aus Furcht vor den Wilden[56] ließ ich das Boot nicht aus den Augen; aber Xury eilte gegen eine Niederung, die er etwa eine Meile landeinwärts entdeckt hatte, kam aber gar bald wieder in vollem Laufe zurück. Ich glaubte, er würde von einem Wilden verfolgt oder von einem Thiere erschreckt, und lief ihm entgegen, um ihm zu Hülfe zu kommen; als ich ihm aber näher kam, sah ich etwas über seine Schultern herabhängen; es war ein Thier, das er geschossen hatte, und einem Hasen ähnlich sah, doch längere Beine hatte. Wir waren recht froh darüber; aber noch größer war meine Freude, daß er gutes frisches Wasser gefunden, aber keine Wilden gesehen hätte. Wir füllten also unsere Krüge, bereiteten dann den Hasen, liessen uns ihn vortrefflich schmecken, und setzten hierauf unsere Fahrt weiter fort.

Die Gegend, wo ich mich nun befand, lag zwischen dem Gebiete des Kaisers von Marokko und dem der Neger, und war nur von wilden Thieren bewohnt, weil die Neger ihn aus Furcht vor den Mauren verlassen und sich südwärts gezogen haben; diese aber verliessen ihn wegen seiner Unfruchtbarkeit, und kommen nur, zwei- bis dreitausend Mann stark, wie eine kleine Armee, dahin auf die Jagd der Löwen, Tiger, Leoparden und anderer grimmigen Thiere.

Von meiner erstern Reise her wußte ich zwar wohl, daß die kanarischen Inseln und die vom grünen Vorgebirge nicht weit von diesen Küsten entfernt seyn konnten; da es mir aber an Instrumenten fehlte, um die Höhe aufzunehmen, und ich mich auch nicht mehr eigentlich erinnern konnte, unter welcher Breite[57] die einen und andern lagen, so wußte ich nicht, wo ich mich nach ihnen umsehen und auf sie lossteuern sollte, sonst hätte ich sie vielleicht auffinden können. Meine Hoffnung war, daß wenn ich mich an der Küste hielte, ich in die Gegend käme, wohin die Engländer handeln, und vielleicht eines ihrer Schiefe antreffen würde, das mir beistehen und uns aufnehmen könnte.

Einige Male glaubte ich den Piko oder den hohen Berg auf der kanarischen Insel Teneriffa zu erblicken, und hatte nicht wenig Lust, mich in die offene See hinaus zu wagen, in Hoffnung sie zu erreichen. Zwei Versuche schlugen fehl, indem widrige Winde mich zurück trieben; auch fand ich, daß die See für mein kleines Fahrzeug zu hoch gieng, daher hielt ich mich, wie vorher, an den Küsten, und landete verschiedene Male, um frisches Wasser einzunehmen; wir fanden, daß wir uns deßwegen nicht soviel Mühe wie das erste Mal geben durften, denn nach halb abgelaufener Ebbe fanden wir nicht weit über der Mündung süßes Wasser in den Flüssen.

Eines Morgens früh legten wir an einer hohen, aber nicht langen Landspitze vor Anker still, um, wenn die Fluth stärker anströmte, mit ihr weiter hinauf zu treiben. Allein Xury, der, wie es scheint, ein schärferes Gesicht als ich hatte, sagte leise zu mir: »Wir würden wohl am besten thun, uns weiter vom Ufer zu entfernen, denn siehst du dort das schreckliche Ungeheuer, das an dem Abhange des Hügels schläft?« Ich blickte hin, und sah wirklich einen fürchterlich großen Löwen, der im[58] Schatten des überhängenden Hügels ruhete. – »Ei, Xury, laufe geschwind hin, sagte ich, und tödte mir das Thier.« Der gute Xury erschrack gewaltig, und rief: »Ich ihn umbringen! er macht nur einen Bissen aus mir.« – Dann bedeutete ich ihm, nur stille zu seyn, nahm unsere größte Flinte, die fast eine Musketenkugel schoß, lud sie stark mit Pulver und ein paar Stücken Eisen, und legte sie vor mich hin; lud dann die zweite Flinte mit zwei Kugeln und die dritte mit fünf Kügelchen; zielte hierauf mit der ersten Flinte, so gut ich nur konnte, dem Löwen nach dem Kopfe; allein da er die Pfote über die Schnauze hielt, traf ihn der Schuß über dem Knie, und zerschmetterte ihm den Knochen. Brummend fuhr er auf, fiel aber bald wieder nieder, erhob sich von neuem auf drei Füßen, weil er den vierten zerbrochen fühlte, und fieng das entsetzlichste Gebrülle an, das ich je gehört habe. Ich war ein wenig bestürzt, ihn nicht auf den Kopf getroffen zu haben, feuerte sogleich die zweite Flinte ab, und traf ihn gerade auf den Kopf, obgleich er anfieng fortzuhinken, so daß er zusammenstürzte und, ohne laut zu werden, mit dem Tode rang. Jetzt bekam Xury Herz und wünschte an's Ufer zu gehen, sprang, als ich ihm es erlaubte, sofort in's Wasser, schwamm mit der einen Hand an's Ufer, und hielt mit der andern die Flinte über Wasser; als er ganz nahe an dem Thiere war, setzte er ihm die Flinte in's Ohr, schoß ihm durch den Kopf und gab ihm den Rest.

Dies war nun wohl eine Jagd, aber keine Speise, und ich bereute die drei unnütz verschwendeten Schüsse;[59] allein Xury wollte doch etwas davon haben und ihm den Kopf abhacken. Allein das mußte er bleiben lassen, und sich bloß mit einer Pfote begnügen, die er mir voller Freuden brachte, und deren Größe mich in Erstaunen setzte. Mir fiel ein, ihm die Haut abzustreifen. Wir machten uns also gleich darüber her, aber Xury verstand besser damit umzugehen, als ich, der sehr ungeschickt dazu that. Wir brachten den ganzen Tag damit zu, und brachten das Fell endlich herunter, das wir dann über der Kajüte ausbreiteten, wo es die Sonne in wenigen Tagen austrocknete; es diente mir dann zu einem guten Lager.

Nach diesem Aufenthalt segelten wir ungefähr zehn Tage nach einander südwärts, lebten sehr sparsam von unserm Mundvorrath, der stark auf die Neige gieng, und landeten nur, um frisches Wasser einzunehmen. Meine Absicht war, den Fluß Gambia oder Senegal oder irgend einen Ort in der Gegend um das grüne Vorgebirge zu erreichen, wo ich ein europäisches Schiff zu finden hoffte, denn ich wußte, daß alle Schiffe, die nach der Küste von Guinea, nach Brasilien und Ostindien segeln, an diesem Vorgebirge oder an den nach ihm benannten Inseln zu landen pflegten. Und wäre das auch nicht gewesen, so hätte ich dennoch keinen andern Lauf als gegen diese Inseln zu nehmen gewußt; auf diesem Punkte beruhte meine Rettung; ich mußte ihn erreichen, oder ein Schiff finden, oder umkommen.

Als wir nun, wie gesagt, zehn Tage lang unsere Reise fortgesetzt hatten, so bemerkten wir, daß das[60] Land bewohnt zu werden anfing, denn wir erblickten im Vorbeifahren Menschen, die längs dem Strande hinliefen, uns nachsahen, und ganz nackt und schwarz waren. Ich wollte gleich zu ihnen an's Land gehen, aber Xury widerrieth es mir. Ich bemerkte, daß sie unbewaffnet waren; nur Einer hatte einen langen Stab in der Hand, und das wäre, meinte Xury, eine Lanze, die sie sehr weit und gewiß werfen könnten; doch näherte ich mich so weit, daß ich vom Boot aus mit ihnen sprechen konnte. Ich suchte mich, so gut ich konnte, durch Zeichen verständlich zu machen, daß ich Lebensmittel zu bekommen wünschte, worauf sie mir winkten, mit dem Boot stille zu halten; ich gey ete also mein Segel auf, und legte bei, während dem einige dieser Neger landeinwärts liefen, und nach kaum einer halben Stunde zwei Stücke getrocknetes Fleisch und etwas Korn mitbrachten. Nur war jetzt die Frage, wie wir es habhaft werden könnten, denn wir trauten ihnen nicht, und sie fürchteten sich vor uns. Endlich fielen sie auf ein Mittel, das für uns Alle gleich sicher war, denn sie legten die Nahrungsmittel auf dem Strande nieder, und zogen sich dann eine ziemliche Strecke zurück, bis wir Alles an Bord gebracht hatten, worauf sie sich wieder näherten. Wir gaben ihnen durch Zeichen unsern Dank zu verstehen, das Einzige, was wir ihnen zu geben hatten. Doch bald zeigte sich eine Gelegenheit, ihnen einen großen Dienst zu erweisen; denn als wir noch stille lagen, rannten zwei ungeheuer große Raubthiere in der größten Wuth vom Gebirge gegen die See herab: ob es das Männchen war, welches das[61] Weibchen verfolgte, ob es aus Lust oder aus Raubgier geschah, ob es etwas Gewöhnliches oder Ausserordentliches war, ließ sich nicht bestimmen; doch schien letzteres wahrscheinlicher, denn diese Thiere lassen sich sonst selten als nur bei Nacht sehen, und das Volk, besonders die Weiber, liefen im größten Schrecken davon; nur der Mann mit der Lanze blieb stehen. Die beiden Bestien schienen die Neger gar nicht anfallen zu wollen, sondern stürzten sich in's Wasser, und schwammen, wie es schien bloß zur Lust, da herum. Ich hatte gleich eine Flinte geladen, und auch die andern beiden durch Xury laden lassen, und da mir diese Thiere zu nahe kamen, schoß ich das eine gerade durch den Kopf, daß es sogleich sank; es kam aber bald wieder herauf, tauchte bald auf, bald unter, rang mit dem Tode, und suchte das Ufer zu erreichen, krepirte aber, ehe es noch dahin kommen konnte, theils an der Wunde, theils an dem eingeschluckten Seewasser. Die andere Bestie, von dem Blitze und Knall erschreckt, schwamm an den Strand, und lief dem Gebirge zu, ohne daß ich in der großen Entfernung erkennen konnte, was es eigentlich für ein Thier war.

Auch die Neger entsetzten sich über alle Beschreibung über das Feuer und den Knall meiner Flinte; einige fielen vor Schrecken zur Erde, und schienen vor Furcht zu sterben. Als sie aber sahen, daß ich ihnen winkte an das Gestade zu kommen, und daß das Thier todt auf dem Wasser schwamm, faßten sie Herz, waren aber sehr verwundert und neugierig, wie ich es in solcher Entfernung mochte getödtet haben.[62]

Ich merkte bald, daß die Neger nach dem Fleische lüstern waren, und wünschten, ich möchte ihnen die Beute überlassen; ich war auch gleich zu dieser Gefälligkeit bereit, schlang dem Thiere ein Tau um eine Pfote, und warf ihnen das andere Ende zu; sie schleppten es so an das Ufer, wo wir dann fanden, daß es ein zierlich gesteckter Leopard war; sie machten sich gleich darüber her, und obgleich sie keine Messer hatten, so streiften sie mit einem scharfen Holze das Fell so fertig, ja noch fertiger als wir mit Messern, ab. Sie bezeugten mir ihren Dank dadurch, daß sie mir von dem Fleische anboten, statt dessen ich aber die Haut verlangte, die sie mir nicht nur sehr gerne gaben, sondern auch noch mehr von ihren andern Lebensmitteln brachten, die ich mit Dank annahm, obgleich ich sie nicht kannte. Ich gab ihnen auch durch Zeichen zu verstehen, daß ich Wasser nöthig habe, indem ich einen Krug in der Hand umkehrte, um ihnen zu zeigen, daß er leer sey. Hierauf riefen sie einigen Weibern zu, welche so nackt als die Männer waren, von denen zwei ein großes irdenes, wie es schien in der Sonne gebranntes Gefäß brachten, und es für mich hinsetzten, wie sie es mit den Lebensmitteln gemacht hatten. Ich schickte Xury mit unsern drei Krügen an das Ufer, und erhielt sie alle gefüllt.

Ich war nun mit Wurzeln und Korn, wie es das Land hervorbrachte, mit Fleisch und mit Wasser auf lange Zeit versehen, nahm dann von diesen gutherzigen Negern Abschied, und segelte, ohne zu landen, eilf Tage fort, bis ich sah, daß die Küste, in einer Entfernung[63] von vier bis fünf Meilen, sich weit hinaus in die See erstreckte. Da die See stille war, so steuerte ich in die offenbare See hinaus, und umsegelte diese Landspitze in einer Entfernung von ungefähr zwei Meilen. Als ich vorüber war, sah ich auf der andern Seite seewärts ganz deutlich Land, welches ich für die Inseln des grünen Vorgebirges, die Landspitze für das Vorgebirge selbst hielt, und so war es auch wirklich. Jene lagen aber noch sehr entfernt von mir, und ich war unentschlossen, wohin ich steuern sollte; denn verstärkte sich der Wind, so konnte ich beide verfehlen. In dieser Ungewißheit saß ich ganz tiefsinnig in der Kajüte, als Xury, den ich am Steuerruder gelassen hatte, plötzlich schrie: » Herr, Herr! ein segelndes Schiff!« Er war vor Schrecken ganz ausser sich, weil er so einfältig war zu glauben, es könne kein anderes Fahrzeug als das unsers Patrons seyn, der uns nachsetzte, obgleich wir viel zu entfernt waren, als daß er uns hätte einholen können. Ich sprang hurtig aus der Kajüte, erblickte das Schiff und erkannte es sogleich für ein portugiesisches, das, wie ich vermuthete, nach Guinea wollte, um Neger zu holen; als ich aber seinen Lauf näher beobachtete, ward ich bald überzeugt, daß es einen ganz andern Weg nahm, und daß es sich der Küste nicht nähern würde. Ich segelte und ruderte nun zugleich aus allen Kräften ihm nach, fand aber bald, daß es unmöglich sey, es einzuholen. Obgleich ich beinahe alle Hoffnung dazu aufgegeben hatte, steuerte ich doch mit vollem Segel darauf los, und sie mußten durch ihre Ferngläser[64] mein Boot entdeckt und für ein europäisches erkannt haben, das zu einem verunglückten Schiffe gehöre, denn sie verminderten ihre Segel, um mich zu erwarten. Dadurch aufgemuntert, band ich die Flagge unsers Patrons in Schau, und feuerte zugleich eine Flinte los; sie sahen sowohl das Nothzeichen, als den Rauch obgleich sie den Knall, wie sie mir nachher sagten, nicht gehört hatten. Nun waren sie so menschenfreundlich, alle Segel einzuziehen, beizudrehen und mich zu erwarten, so daß ich nach Verlauf von drei Stunden an der Seite des Schiffes lag. Sie fragten mich auf portugiesisch, spanisch und französisch, wer ich sey? allein ich verstand keine von diesen Sprachen. Endlich fand sich ein schottischer Matrose an Bord, dem ich sagte, daß ich ein Engländer und aus der Sklaverei der Mauren von Salee geflüchtet wäre. Hierauf ließ man mich an Bord kommen, und nahm mich mit meinem Xury sehr gütig auf.

Das Entzücken über meine Rettung war über allen Ausdruck, und aus Dankbarkeit bot ich dem Kapitän meine ganze Habe dafür an. Allein er erwiederte sehr großmüthig: »Ich werde nichts annehmen; würde ich mir das Ihrige zueignen, so müßten Sie, so weit von Ihrem Vaterlande entfernt, Hungers sterben, und ich würde also Ihr Leben nicht gerettet haben. Ich habr Sie so aufgenommen, wie ich in ähnlichen Umständen selbst aufgenommen zu werden wünsche. Nein, Sennor Inglese, ich will Sie aus christlicher Liebe nach Brasilien[65] bringen, und was Sie besitzen, soll Ihnen dort alles wieder zugestellt werden, es wird Ihnen zum Unterhalt und zur Rückreise sehr dienlich seyn.«

So edelmüthig sein Versprechen war, so pünktlich ward es auch erfüllt. Er verbot Jedermann, etwas von meiner Habe zu berühren, gab mir dann ein so genaues Verzeichniß von Allem, daß auch sogar die drei irdenen Krüge nicht vergessen waren, damit ich Alles zurück bekommen möchte, und nahm Alles in gute Verwahrung. Er sah, daß mein Boot sehr gut war, und frug mich, ob und wie theuer ich es ihm verkaufen wollte? Da er sich aber so gütig gegen mich bewies, so wünschte ich es ihm umsonst zu überlassen; das wollte er aber durchaus nicht, und gab mir eine Handschrift auf achtzig Stücke von Achten, zahlbar bei unserer Ankunft in Brasilien. Er bot mir auch sechszig Stücke für meinen Jungen Xury. Ich sagte ihm aber geradezu, daß ich dies Anerbieten sehr ungern annehme, nicht weil ich ihm denselben nicht gern überliesse, sondern weil es mich schmerzte, die Freiheit des guten Jungen zu verkaufen, der mir so treulich beistand, meine eigene zu erlangen. Er billigte meine Gründe; doch fand er einen Ausweg, der uns alle drei befriedigte: Er gab dem Jungen eine Verschreibung, ihn in zehn Jahren frei zu lassen, wenn er ein Christ würde. Xury nahm sie mit Freuden an, und ich überließ ihn unbedenklich an unsern Retter.

Unsere Reise war sehr glücklich, schnell und ohne Zufälle, und am zweiundzwanzigsten Tage ankerten wir[66] schon in der Bai Todos los Santos oder Allerheiligen-Bai. Die gütige Begegnung des edlen Kapitäns kann ich nie genug rühmen. Für die Reise wollte er nichts annehmen; er gab mir zwanzig Dukaten für das Fell des Leopards und vierzig für das des Löwen; auch verkaufte ich ihm zwei meiner Flinten, das Flaschenfutter und den Rest des Wachsklumpens, von dem ich einen Theil zu Lichtern verbraucht hatte; so löste ich zweihundert und dreißig Stücke von Achten1, und mit diesem Kapital trat ich in Brasilien an's Land, und hatte nun zu überlegen, was ich unternehmen wollte.

Fußnoten

1 Ein harter Piaster oder Persoduro, auch schlechtweg Duro und Escudo de Plato genannt, enthält 8 Silberrealen, heißt daher auch ein Stück von Achten, und beträgt 1 Rthlr. 9 Gr. 6 Pf. bis 1 Rthlr. 10 Gr. 9 Pf.


Quelle:
[Defoe, Daniel]: Der vollständige Robinson Crusoe. Constanz 1829, Band 1, S. 47-67.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Robinson Crusoe
Robinson Crusoe: Der Bücherbär: Klassiker für Erstleser
Robinson Crusoe: Erster und zweiter Band
Robinson Crusoe (insel taschenbuch)
Robinson Crusoe
Robinson Crusoe: Roman (Schöne Klassiker)

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Meine Erinnerungen an Grillparzer

Meine Erinnerungen an Grillparzer

Autobiografisches aus dem besonderen Verhältnis der Autorin zu Franz Grillparzer, der sie vor ihrem großen Erfolg immerwieder zum weiteren Schreiben ermutigt hatte.

40 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon