Die siebente Reise[151] 1

Mutter! wen suchet dein Aug' in Norden, wenn Tag

Jetzo die Fernen erhellt?

Mutter! wem lauschet dein Ohr in Norden, wenn Nacht

Jetzo den Erdenkreis deckt?

Wolken des Staubes die wehn aus Norden. Doch sie

Wölkte sein Wagen nicht auf.

Nächtliches Rollen erschallt aus Norden. Doch sind

Räder von Joseph es nicht.

Aber dir pochet dein Herz, dein mütterlich Herz

Seinem Geliebtesten nach;

Sieht ihn in Wachen des Tag's, in Träumen der Nacht;

Ahnet Gefahren und pocht.

Denn er ist ferne, dein Sohn. Manch reißender Strom

Scheidet ihn, manches Gebirg'.

Manchen unwirthlichen Hain, manch' ödes Gefild',

Mutter! bewandelt sein Fuß.
[152]

Allein gewaltig ist das geflügelte

Geleit' von oben, das ihm Allvater gab.

Und gab er ihm's denn erst nach Norden?

Las er nicht lange schon, als der Wand'rer,


Der grosse Wand'rer jetzo das erstemal

Wien's Freuden aufgab, hoher Entschlüsse voll

Zu seh'n, zu dulden und zu lernen,

Itzo die Reise nach Süden antrat,


Von seinem Botenheere die mächtigsten,

Dem Throne nächsten, trautesten Schwingen aus?

»In Joseph hab' ich mir gefallen.

Decket, umschattet auf jedem Pfade


Theresien's Erstgebohrnen, mein Lieblingsbild!«

Sie, froh des Auftrags, decken, umschatten ihn

In Süden, Osten, Westen, Norden.

Jegliches Unheil verweh't ihr Fittig.


Dann athme Trost, o Mutter! Erreichet hat,

Erreichet er die große Gebieterinn,

(Noch größer, trügest du nicht, Mutter!

Mit Katharina zugleich die Krone,)
[153]

Erreichet sie, die weise, bewunderte,

Geliebte Völkermutter, und Bilderin

Von zahl- und namenlosen Stämmen,

Sie, die gepriesene Künstefreundin,


Im düst'ren Norden Schimmerverbreiterinn,

Der Mondenträger Schrecken auf Land und See,

Und – Barde! dieses tön' in vollem

Stolze der Harfe – von deutscher Abkunft!


Nach ihr begehrte lange schon Joseph's Geist,

Der Schätzer großer Geister. Schon lange war

In Joseph's Geiste sich zu spiegeln

Wunsch der Gebieterinn – itzt erfüllet!


O wer den Aufschluß dieser erhabenen

Sich itzt zum erstenmale begegnenden

Gebieterherzen, wer der ersten

Fürstenumarmungen Innbrunst sänge!


Den Inhalt ihrer Göttergespräche, ganz

Dem Wohl der Menschheit heilig, o Mutter! kann

Nur Joseph (wer erzählt, wie Joseph?),

Wenn er dich wieder umarmt, erzählen.
[154]

Und wird's. Die Bothen die ihm Allvater gab,

Die wenden schon den Flügel, geleiten ihn

Nicht ohne Sehnsucht der Verlaß'nen

Von Katharina zu dir zurücke.


Dem großen Wand'rer folgen auf jeglichem

Der Pfade tausend Segen für ihn und dich;

Denn nicht geboren nur, (die Völker

Wissen es) hast du ihn, auch gebildet.


So sang ich in der Sommernacht. Und horch'!

Ein Rollen kam vom fernen Norden her.

Die Räder Joseph's! Itzt beschien der Tag

Den wonnevollen Schwung, mit welchem er,

Dem Barden unausdrücklich, an das Herz

Der liebenden erfreuten Mutter flog,

Noch größer, als er je gekehret war.

Fußnoten

1 Nach Rußland 1780.


Quelle:
Michael Denis: Auserlesene Gedichte, Passau 1824, S. 151-155.
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