[65] Anna rechts vorn. Die Königin der Erdgeister in der Mitte. Chor der Erdgeister zurückstehend. Dann Konrad außerhalb.
Königin tritt von ihrer Erhöhung herab und schreitet auf Anna zu.
Chor der Erdgeister versammelt sich, lichtvoll gruppiert, um seine Königin.
KÖNIGIN.
Hör' auf mein Wort, bethörtes Menschenkind!
Chor der Erdgeister erhebt drohend die rechte Hand gegen Anna.
[65]
KÖNIGIN.
Ich bin gekommen, dich zu warnen.
Das Unheil droht dich zu umgarnen,
Und ins Verderben stürzest du dich blind.
ANNA sehr bewegt.
O hohe Frau, was hab ich denn begangen?
CHOR DER ERDGEISTER.
Menschenkind, gieb dich gefangen!
ANNA.
Was könnt ihr doch von mir verlangen?
CHOR DER ERDGEISTER.
Menschenkind, gieb dich gefangen?
Gleich erfülle ihr Verlangen!
KÖNIGIN.
Meinen Sohn, meinen Sohn gieb mir zurück!
(Imponierend.) Laß ihn frei –
CHOR DER ERDGEISTER.
Laß ihn frei!
KÖNIGIN.
Aus dem Netz der Liebeszauberei!
Denn auf Erden blühet ihm kein Glück!
CHOR DER ERDGEISTER mit drohender Bewegung.
Wehe dir, gehorchst du nicht!
ANNA.
Wehe mir!
CHOR DER ERDGEISTER.
Wehe dir, gehorchst du nicht!
Wehe dir, gehorchst du nicht!
ANNA.
Wehe mir! Ich versteh' euch nicht!
KÖNIGIN.
Wisse denn!
CHOR DER ERDGEISTER.
Wisse denn!
KÖNIGIN.
Dein Bräutigam
Ist Geisterfürst der Berge!
CHOR DER ERDGEISTER.
Geisterfürst der Berge!
KÖNIGIN.
Er gehört dem Stamm der Gnomen,
Dem Stamm der Gnomen und der Zwerge.
CHOR DER ERDGEISTER.
Er gehört dem Stamm der Gnomen,
Der Gnomen und der Zwerge!
ANNA sinkt vernichtet nieder.
Allmächt'ger Gott!
KÖNIGIN.
Öffne dein Ohr für die warnende Stimme,
Gieb ihn mir wieder, den einzigen Sohn,[66]
Gieb ihn zurück dem verlassenen Thron!
CHOR DER ERDGEISTER.
Gieb ihn zurück dem verlassenen Thron!
KÖNIGIN.
Sonst bist du verfallen dem rächenden Grimme.
Dem rächenden Grimme der mächtigen Geister,
Sie fordern den Meister,
Sie sinnen
Und spinnen
Graun und Entsetzen!
Sie schrecken und hetzen
Bei Tag und bei Nacht,
Sie schrecken und hetzen dich mit endloser Pein!
CHOR DER ERDGEISTER.
Wehe dir! Wehe dir!
KÖNIGIN.
Gieb ihn mir wieder, den einzigen Sohn,
Gieb ihn zurück dem verlassenen Thron!
Sonst bist du verfallen dem rächenden Grimme,
Der mächtigen Geister,
Sie fordern den Meister,
Sie sinnen
Und spinnen
Graun und Entsetzen!
Sie schrecken und hetzen
Bei Tag und bei Nacht,
Sie schrecken und hetzen dich mit endloser Pein!
Sie schrecken und hetzen bei Tag und bei Nacht,
Bei Tag und bei Nacht dich mit endloser Pein!
Sie besteigt mit ihren weiblichen Erdgeistern und Gnomen wieder die Erhöhung auf der Versenkung und versinkt.
CHOR DER ERDGEISTER verschwindend.
Wehe dir! Wehe dir! Wehe dir!
Wirst du nicht gehorsam sein!
Wehe dir, wirst du nicht gehorsam sein!
Wehe dir! Wehe dir!
Alle versinken und verschwinden woher sie gekommen, und machen dabei mit der rechten Hand
eine drohende Bewegung.
[67] Der letzte Accord im Orchester muß so lange anhalten, bis alle verschwunden sind.
ANNA richtet sich langsam auf, spricht. Ihr Heiligen! Was hab ich hören müssen! Hinweg! Hinweg! Sie hat sich aufgerafft, wankt einige Schritte, sinkt rechts vorn nieder. Weh mir, ich kann nicht mehr!
Die gesperrten Worte werden vom ganzen Chor, durch energische Bewegungen unterstützt, so stark wie möglich gesungen.
Nr. 10. Scene.
Man hört Hörnerschall links außerhalb.
KONRAD links außerhalb.
Wohl durch den grünen Wald
Mein Jägerhorn erschallt.
Er kommt von links hinten und will über den Platz gehen.
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