An den Herrn Professor Haller/ Uber das Absterben seiner ersten Frau Eheliebsten

[113] Lebt Haller denn noch stets im Kummer?

Will seiner Gattin Todtenschlummer

Ihn auch in Gruft und Bahre ziehn?

O Freünd, lern einst dein Leid ertragen!

Ein Weyser soll nicht ewig klagen.

Wirf deinen Unmuht endlich hin!


Zwar sind Dir Tausend seltne Gaben

Mit der Erblaßten jetzt begraben.

Ihr Wert erscheint aus deiner Wahl.

Dein Herze war nicht leicht zu binden.

Die, die es einig konnt entzünden,

Erweckt ihm sterbend Weh und Qual.
[114]

Doch kennst Du ja das Haubtgesätze,

Das stets der Erden gröste Schätze

Mit der Vergänglichkeit gesellt.

Ein Staübchen unterbricht das Leben;

Dies kan sich jede Stund ergeben:

Wie daß es uns denn fremde fällt?


Wie mancher stirbt schon in der Wiege!

Du kennst des Körpers Kunstgefüge;

Sein schwacher Bau kan nicht bestehn.

Du weist, daß, was man dran erblicke,

Ein Ausbund gröster Meisterstücke,

Doch so gebrechlich sey, als schön.


Der Tod verschohnet nicht der Kronen.

Er spielt in Hütten und auf Trohnen

Ein immer gleiches Trauerspiel.

Monarchen müssen selbst von hinnen.

Das Beyspiel gröster Königinnen,

Der Britten Carolina, fiel.


O danke vielmehr deinem Glücke,

Das Marianens holde Blicke

Dir noch so lange Zeit gegönnt!

Das Schicksal, reich an Lust und Schmerzen,

Hat oft ein Paar der schönsten Herzen

Zugleich verknüpfet und zertrennt.
[115]

Wem solch ein Schatz, wie Dir, beschehret,

Wie kurz auch das Besitzen währet,

Dem gab der Himmel schon genug.

Er ist uns doch zu nichts verbunden.

Drum, kürzt er unsre Glückesstunden,

Wolan! Er hat es Macht und Fug.


Nun heißt er dich beständig hoffen.

Sein härtster Streich hat Dich getroffen;

Die gröste Furcht ist nun vorbey.

Und hat er früh auf dich geschlagen,

So denke, daß es, ihn zu tragen,

Der Jugend Kraft am leichtsten sey!


Und mußtest Du von deiner Schönen

Dich nicht auch lebend schon entwöhnen?

Die Stunden sind Dir noch bekannt,

Da die Begihr, in Büsch- und Hecken

Der Schöpfung Wunder zu entdecken,

Dir öfters ihren Blick entwandt.


Du reistest auf der Berge Wipfel,

Da mancher Alpe steiler Gipfel

Des Himmels nahen Einfluß fühlt,

Und die Natur aus ihren Klüften,

Gereizet von den reinsten Lüften,

Mit Tausend seltnen Pflanzen spielt.
[116]

Drum lern auch jetzt die Selge missen!

Sie ist Dir doch nicht gar entrissen;

Die Trennung wird nicht stets bestehn.

Fiel ihres Körpers Bau zu Stücken,

Die Seele konnt er nicht ersticken.

Sie lebt und lebt erst recht und schön.


Sie war der Vorwurf deiner Liebe.

Du liebtest Sie mit reinem Triebe,

Nicht deine Lust an Ihr, allein.

So gönn Ihr nun auch ihre Freüden;

Und bilde Dir beym frühen Scheiden

Ihr frühes Heil auch kräftig ein!


Gesellt sich nicht mit unsern Tagen

Ein steter Anwachs neüer Plagen?

Wie glücklich ist, wer zeitlich fällt!

Wie manchem wird durch Pest und Seüchen,

Der Haüser Brand, der Kinder Leichen,

Die allzu lange Frist vergällt!


O möcht ein Sterblicher erlernen,

Was in der Zukunft dunkeln Fernen

Das Schicksal oft für Ruhten flicht!

Er spräch: O selig, die entschlafen!

So mancher Tag, so manche Strafen:

Ein greises Alter reizt mich nicht.
[117]

Drum hemm einmal dein ängstlich Sehnen!

Auch selbst der Ursprung deiner Trähnen

Verlangt kein ungemeßnes Leid.

Und Eürer Liebe zarte Zeügen,

Ob Schule, Stand und Freünde schweigen,

Erfordern deine Munterkeit.


Laß deinen Geist mit neüen Trieben

Sich auf dem grossen Schauplatz üben,

Den uns die Allmacht vorgestellt!

Schau, die Natur will Dich erquicken,

Und öffnet ihres Freündes Blicken,

Was ihre Werckstatt in sich hält!


Hier lockt sie Dich, die wilden Höhen

Des stolzen Harzes zu besehen,

Den sie mit Wundern angefüllt,

Wo unter einem rauhen Kleide

Sein silberreiches Eingewaide

Von königlichen Schätzen schwillt.


Es wird dein trauriges Empfinden

Villeicht in einer Gegend schwinden,

Die so manch seltner Vorwurf ziert:

Gebaüde von sich selbst entsprossen,

Gewachsne Saülen, Schreckcolossen,

Die keines Künstlers Stahl berührt.
[118]

Schau, wie nun dort, dein Weh zu lindern

Ein Heer von holden Frühlingskindern

Auf Wies- und Feldern lieblich lacht!

Und sihst Du ihre Pracht verfliegen,

So denke: Das ist Gottes Fügen;

Drum schwand auch Marianens Pracht.


O möcht ich doch von deinen Töhnen

Die feüerreiche Kraft entlehnen,

Die uns durch Herz und Sinnen bricht!

Von deiner Gattinn Wert zu singen.

Umsonst! Du must es selbst vollbringen;

Mein schwaches Lied vermag es nicht.

Quelle:
Carl Friedrich Drollinger: Gedichte. Stuttgart 1972, S. 113-119.
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