Meister Gerhard von Köln

[241] Ein Notturno


Wenn in den linden Vollmondnächten

Die Nebel lagern überm Rhein,

Und graue Silberfäden flechten

Ein Florgewand dem Heil'genschrein:

Es träumt die Waldung, duftumsäumt,

Es träumt die dunkle Flutenschlange,

Wie eine Robbe liegt am Hange

Der Schürg' und träumt.


Tief zieht die Nacht den feuchten Odem,

Des Walles Gräser zucken matt,

Und ein zerhauchter Grabesbrodem

Liegt über der entschlafnen Stadt:

Sie hört das Schlummerlied der Welln,

Das leise murmelnde Geschäume,

Und tiefer, tiefer sinkt in Träume

Das alte Köln.
[241]

Dort wo die graue Kathedrale,

Ein riesenhafter Zeitentraum,

Entsteigt dem düstern Trümmermale

Der Macht, die auch zerrann wie Schaum –

Dort, in der Scheibe Purpurrund

Hat taumelnd sich der Strahl gegossen

Und sinkt, und sinkt, in Traum zerflossen,

Bis auf den Grund.


Wie ist es schauerlich im weiten

Versteinten öden Palmenwald,

Wo die Gedanken niedergleiten

Wie Anakonden schwer und kalt;

Und blutig sich der Schatten hebt

Am blut'gen Märtyrer der Scheibe,

Wie neben dem gebannten Leibe

Die Seele schwebt.1


Der Ampel Schein verlosch, im Schiffe

Schläft halbgeschlossen Blum' und Kraut;

Wie nackt gespülte Uferriffe

Die Streben lehnen, tief ergraut;

Anschwellend zum Altare dort,

Dann aufwärts dehnend, lang gezogen,

Schlingen die Häupter sie zu Bogen,

Und schlummern fort.


Und immer schwerer will es rinnen

Von Quader, Säulenknauf und Schaft,

Und in dem Strahle will's gewinnen

Ein dunstig Leben, geisterhaft:

Da horch! es dröhnt im Turme – ha!

Die Glocke summt – da leise säuselt

Der Dunst, er zucket, wimmelt, kräuselt, –

Nun steht es da! –
[242]

Ein Nebelmäntlein umgeschlagen,

Ein graues Käppchen, grau Gewand,

Am grauen Halse grauer Kragen,

Das Richtmaß in der Aschenhand.

Durch seine Glieder zitternd geht

Der Strahl wie in verhaltner Trauer,

Doch an dem Estrich, an der Mauer

Kein Schatten steht.


Es wiegt das Haupt nach allen Seiten,

Unhörbar schwebt es durch den Raum,

Nun sieh es um die Säulen gleiten,

Nun fährt es an der Orgel Saum;

Und allerorten legt es an

Sein Richtmaß, webert auf und nieder,

Und leise zuckt das Spiel der Glieder,

Wie Rauch im Tann. –


War das der Nacht gewalt'ger Odem? –

Ein weit zerfloßner Seufzerhall,

Ein Zitterlaut, ein Grabesbrodem

Durchquillt die öden Räume all:

Und an der Pforte, himmelan

Das Männlein ringt die Hand, die fahle,

Dann gleitet's aufwärts am Portale –

Es steht am Kran.


Und über die entschlafnen Wellen

Die Hand es mit dem Richtmaß streckt;

Ihr Schlangenleib beginnt zu schwellen,

Sie brodeln auf, wie halb geweckt;

Als drüber nun die Stimme dröhnt,

Ein dumpf, verhallend, fern Getose,

Wie träumend sich im Wolkenschoße

Der Donner dehnt.


»Ich habe diesen Bau gestellt,

Ich bin der Geist vergangner Jahre![243]

Weh! dieses dumpfe Schlummerfeld

Ist schlimmer viel als Totenbahre!

O wann, wann steigt die Stunde auf,

Wo ich soll lang Begrabnes schauen?

Mein starker Strom, ihr meine Gauen

Wann wacht ihr auf? –


Ich bin der Wächter an dem Turm,

Mein Ruf sind Felsenhieroglyphen,

Mein Hornesstoß der Zeitensturm,

Allein sie schliefen, schliefen, schliefen!

Und schlafen fort, ich höre nicht

Den Meißel klingen am Gesteine,

Wo tausend Hände sind wie eine,

Ich hör' es nicht! –


Und kann nicht ruhn, ich sehe dann

Zuvor den alten Kran sich regen,

Daß ich mein treues Richtmaß kann

In eine treue Rechte legen!

Wenn durch das Land ein Handschlag schallt,

Wie einer alle Pulse klopfen,

Ein Strom die Millionen Tropfen –«

Da silbern wallt


Im Osten auf des Morgens Fahne,

Und, ein zerfloßner Nebelstreif,

Der Meister fährt empor am Krane. –

Mit Räderknarren und Gepfeif,

Ein rauchend Ungeheuer, schäumt

Das Dampfboot durch den Rhein, den blauen –

O deutsche Männer! deutsche Frauen!

Hab' ich geträumt? –[244]

1

Nach der Zaubersage.

Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 241-245.
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