Heimtück' und Reue

[58] (Wahre, schändliche, doch nicht so ganz ruchlose Ballad.)


Daß mit Liebe Grausamkeit verbunden

Oftmals durch des Schicksals Toben ist,

Hat bekanntlich Romeo empfunden

Sammt der Julia, die ihn geküßt.

Aber schauderbar

Die Geschichte war,

Die erlebte jüngst ein Decopist.


Michel Heidt der Zwanzigste, ein Bauer

In der Landgemeinde Muckenwies,

War um seine Ehefrau in Trauer,

Während seine Tochter Eva hieß.

Und vom Landgericht

Mehrmals monatlich

Kam der Wilhelm Straub, das ist gewiß.


Jener Vater eines Mädchens hatte

Diesen kühnen Jüngling auf dem Strich,

Auch die Tochter hatt' er auf der Latte

Weil sie seiner Aufsicht hold entwich,

Und er hielt die Zwei

Nicht sowohl für treu,

Sondern aber fast für lüderlich.
[58]

Darum konnte man's ihm nicht verdenken,

Daß das Paar melankatholisch ward,

Daß sich Er herumtrieb in den Schenken,

Und daß sie verdächtig auf ihn harrt;

Denn des Abends spat

In der Kemmenat

Uebertäubten sie die Gegenwart.


Doch der Vater, vor der Zukunft bange,

Durch Vergangenheit gewitzigt schier,

Nährt im Busen bösen Heimtucks Schlange,

Rasselt schrecklich plötzlich an der Thür;

Und vor seines Grimm's

Eile, durchs Gesims

Schwingt der Jüngling sich in's Luftrevier.


Aber, wie der sorgenvolle Vater

Arglist schnaubend es vorhergesehn,

Oeffnet landwirthschaftlich sich ein Krater

Unten, wo des Hofes Kater stehn.

In der Grube groß

Schnöde Gülle floß

Uebers Haupt, ach, dem Verwegenen!


Aus dem Himmel in den Pfuhl der Hölle,

Glaubt der Aermste, jählings sich gestürzt,

In des schaurigen Kozytus Welle

Seines Lebens Faden schon gekürzt,

Doch er taucht empor,

Und in's frohe Ohr

Braust die Welt ihm wieder, stark durchwürzt.


Weh! Da stand er in dem Morgengrauen

Als ein nächtlich dunkler Ehrenmann,

Noch vermocht er nicht das Licht zu schauen,[59]

Doch zu dämmern es ihm sonst begann.

Süßen Trost vernahm

Er in Schreck und Scham,

Als sich oben Prügelei entspann.


Denn er höret der Geliebten Stimme,

Ob sie auch der Vater, wild entsatzt,

Gleichend einem Wüstenungethüme

Unbarmherzig, lächelnd, durchkarbatscht,

Ob es gleich ihm ahnt,

Was da allerhand

Würde allwärts bald herumgeklatscht.


Und mit einem wüthigen Entschlusse

Rettungslos ergreifet er die Flucht,

Träumend von des Abschieds heißem Kusse

Und des Farrenschweifes kalter Wucht;

Athmet wieder frei

Erst im nächsten Mai,

In Australiens ferner Hafenbucht.


Ja, die treue Liebe wird belohnet

In dem herrlichen Australia,

Staunet nun, wie der Entwich'ne wohnet,

Einer lieblicheren Grube nah:

In des Goldes Staub

Wälzt sich Wilhelm Straub,

Stehet glänzend als ein Phönix da.


Und er lebet wie ein reicher Nabob,

Sparsam nur der Liebe huldigend,

Denn ein Brief vom Muckenwieser Jakob

Meldet, daß die alte Flamme brennt;

Daß der alte Heidt

Sei voll Traurigkeit,

Und daß Alles nicht so übel ständ'.
[60]

Also in Europas Hain zergrämte

Sich der Vater um der Tochter Glück,

Ja, man sah ihm an, daß er sich schämte

Ueber seiner Tücke Meisterstück.

Nachbars Neckerei

Macht den Gaul ihm scheu,

Und er zog sich vor sich selbst zurück.


Ja, es währt nicht lang, so sind dieselben

Nach Australien gleichfalls durchgebrannt,

Und der William mit dem feuergelben

Glaçé reicht den Reisenden die Hand.

Stumme Zähre rinnt,

Und sogleich beginnt

Hochzeit, Tauf' und heil'ger Ehestand.


Quelle:
Ludwig Eichrodt: Lyrischer Kehraus. Lahr 1869, S. 58-61.
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