Hungriges Lied

Drei wack're Burschen saßen

Gar ungemüthlich da

Auf einem kühlen Rasen

Beim cerevisia.


Da schüttelt das Haupt der Eine

Und hub zu singen an

Ein Lied von Heinrich Heine,

Das Jeder singen kann.


"Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,

Daß ich so traurig bin,

Ein Beafsteack aus alten Zeiten,

Das kommt mir nicht aus dem Sinn."


Darauf versetzt der Zweite,

Auch ich weiß ein Gericht,

Auf dieses wär ich heute

Absonderlich erpicht.
[107]

Mich will es schier bedünken

Als thät uns Eines Noth,

Das ist ein roher Schinken

Mit sanftem Butterbrod."


Da trafen sich die Gedanken

Und alle stimmten bei,

Daß Butterbrod ein Ranken

Auch nicht von Leder sei.


Und mit der Zunge schnalzten

Sie Alle Mann für Mann,

Worauf sie sich umhalsten

Und huben zu singen an:


"Schinken, den ich meine,

Der den Hunger stillt,

Komm, mit deinem Scheine

Rosenrothes Bild!"


Darauf begann der Dritte:

Auch ich weiß einen Fraß,

Den ich mir nie verbitte

Zu einem guten Glas:


Ich meine Schweinebraten,

Der sich gewaschen hat,

Ich meine Schweinebraten,

Mit grüßendem Salat."


Da war man gut berathen

Und Alle stimmten bei,

Daß so ein Schweinebraten

Auch nicht von Leder sei.
[108]

Da sprach der Erste wieder

Und hub zu singen an:

"Ihr meine lieben Brüder

Es ist kein leerer Wahn,


Vortrefflich ist und allen

Verhältnissen gemäß

In diesen heiligen Hallen

Ein frischer Schweizerkäs!"


Der Zweite rief: "o hätt' ich

Zu diesem schlechten Bier,

Nur einen edlen Rettig -

Geholfen wäre mir!"


Der Dritte sprach nicht wieder;

Zu helfen aus der Noth,

Schritt er, statt aller Lieder,

Zur That mit Kommisbrod.


Quelle:
Ludwig Eichrodt: Lyrischer Kehraus. Lahr 1869, S. 92-93,107-109.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte aus Lyrischer Kehraus: Fliegendes
Gedichte Aus Lyrischer Kehraus: Fliegendes (Paperback)(German) - Common
Gedichte aus Lyrischer Kehraus: Fliegendes

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die zärtlichen Schwestern. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Die zärtlichen Schwestern. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Die beiden Schwestern Julchen und Lottchen werden umworben, die eine von dem reichen Damis, die andere liebt den armen Siegmund. Eine vorgetäuschte Erbschaft stellt die Beziehungen auf die Probe und zeigt, dass Edelmut und Wahrheit nicht mit Adel und Religion zu tun haben.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon