Manfred

[253] Als ich ein Gebet noch hatte,

Wenn ich Abends schlafen ging,

Und der Sinn, der schlummermatte,

Noch Gewissensgrillen fing,

Als bei jedem Schritt und Tritte

Ich mein Herz belauscht und frug,

Heißen Dank und heißre Bitte.

In die Sternenwelten trug,


Glaubet nicht, daß mir das Leben

Damals sanfter, leichter floß,

Weil ich still und gottergeben

Jedem Stolz die Brust verschloß,

Weil ich nie sich frei entfalten

Ließ Gefühl und Sinnes Kraft,

Sich gestalten, siegreich walten

Nimmermehr die Leidenschaft.


Heiter streu ich in die Stürme

Heute des Verstandes Licht,

Daß mich eine Kette schirme,

Trüg ich heute wahrlich nicht!

Heiter in der Lebenswellen

Wilden Aufruhr gieß ich heut

Oel der Weisheit, sanftes Quellen

Ewiger Vernünftigkeit!

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 253-254.
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