Die Braut

[99] So sitz ich am Morgen,

Bei Tag und Nacht,

Und geb auf die flüchtigen

Wellen Acht.


Die Wellen, sie kommen,

Sie bleiben, sie gehn,

Doch keine läßt wieder

Den Freund mich sehn.


Und bin ich zu Hause,

So treibts immer mehr

Zum Platze, dem grausigen,

Aermste mich her.


Die Wellen, sie wandern,

Sie kommen und nahn,

Es bringet mir keine

Den Freund heran.
[99]

O bin ich so einsam,

Verlassen allein!

Mein Liebster muß ewig

Verloren sein.


Es brüllte der Donner,

Es tobte der Bach,

Die Brück ist geborsten,

Er stürzte so jach.


So ist er versunken

Ins nasse Grab,

Doch muß er noch kommen

Zu mir herab.


Nun schau ich ins Wasser,

Sitz hin und harr,

Wann kommt sie die Leiche

So bleich und starr?


O schäumet ihr Wasser,

Nimm auf mich du Bach,

Und treibt mich dem Freunde,

Dem liebenden nach!

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 99-100.
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