Verbittert

[211] Der Himmel blau und warmes Wetter!

Im Frühling werden Menschen Götter,

Und tausend Wunden werden heil,

Es bricht das Eis der Erdenleiden

Von der Olympier ewgen Freuden

Wird Sterblichen ein Lenz zu Theil.


O herrlich, Sonnenschein zu trinken,

O selig, wo die Kelche winken

Mit süßem Thau und mildem Duft!

Die Schlaffen und die Trägen eilen,

Wo sie zum lieblichsten Verweilen

Das Glockenspiel der Wälder ruft.
[211]

O herrlich, Strahlenthau zu schlürfen!

Der derben Kost entsagen dürfen,

Wenn wir vom Frühstück auferstehn;

Beim Lerchenwirbel zu marschiren,

Und unter Blumen zu spazieren

– Und zur Verdauung sich ergehn.


Genug ihr Dichter! eine Frage

Schleicht grinsend an dem Maientage

In eure Jubellieder ein:

Und kleidet, sagt mir, auch den Nackten

Der Frühling, golden und smaragden,

Und will der Hunger Sonnenschein?

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 211-212.
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