O' Tehura

[75] Hier sitz ich in dem engen windetreppenhohen

Steinstadt-Zimmer.

Ich möchte raus aus diesem rohen

Straßenleben, diesem Grünzeugmarkt-Gewimmer –

Fort von diesen Tanten, diesem Schwäher –

Ich, der lärm- und werkdurchfurchte Europäer,

O' Tehura –


O' Tehura, weit zu deinem Südseeriffe,

Wo noch Krater in die Wolken brüllen,

Wo die Menschen nur in Sonnedunst sich hüllen,

Gleiten, gleiten meine weichen Sehnsucht-Schiffe –

O' Tehura –


Wenn ich bei dir säße, sagte: sing!

Und du zupftest die Zweisaitenlaute:

Kling-zum, kling-zum, ping – –

Wenn mich vor den bösen Urwelt-Göttern graute,

Vor den flammendgroßen Keulentaten,

Vor den Sternfall-Feuersaaten,

Die du monoton mir singst –

Kling-zum, kling-zum, pings –

O' Tehura –


Zuckendsummend rollen Wogen zu mir auf –

Sind das nicht die blütenblauen Glitzerwellen?[76]

Zuckendsummend brandet Lärm-Gerauf,

Schwere, trübe Tönemasse

Aus der dunklen Gasse. – –

O' Tehura –


Es brodelt schon der Menschen Arbeits-Sorgen:

Es dröhnt und schüttert durch die Straßentiefen,

Gierig warten meine Europäersorgen,

Die nur nächtlich kurz verschliefen – –

O' Tehura –


Manchmal wieder wenn die Stille singt,

Wenn der Abend von den Kirchentürmen klingt,

Denk ich irgendwo nach Pete, Honga-Sura –

Denke ich an dich Korallenketten-Kind,

Bronzebraunes Südsee-Kind,

Tehura.


Quelle:
Gerrit Engelke: Rhythmus des neuen Europa, Jena 1921, S. 75-77.
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Rhythmus des neuen Europa: Gedichte (German Edition)