Am Himmelstor

[10] Ich träumte mich auf einem bangen Weg,

Auf einem hohen, schwindelschmalen Steg,

Der führte mich bis an das Himmelstor.

Da stand ich lange, ohne Mut, davor.


Und zitternd griff ich nach dem rostigen Ring,

Das Himmelsglöcklein an zu läuten fing,

Mein Herz erschrak vor seinem hellen Klang,

Ein armer Sünder auf dem letzten Gang.


Dann rasselte ein großes Schlüsselbund,

Ein Knarren, bis der Himmel offen stund,

Doch hascht ich nur von seiner Herrlichkeit

Mit scheuem Blinzeln einen Streifen breit,


Ein Wiesengrün und einen Engelsfuß.

Sankt Peter barg mir jeden weitern Gruß

Mit breitem Rücken und erschreckte mich

Mit barscher Frage: »Freund, wer schickte dich?«


Mich schickte keiner. »Und was suchst du hier?«

Nach Erdennot ein ruhiges Quartier,

Ein Flügelpaar und himmlisches Gewand,

Ein Tröpfchen Tau aus Gottes hohler Hand.


»Hast du zu solchen Dingen auch ein Recht,

Warst du auf Erden ein getreuer Knecht?«

Ich war Poet. »Und kommst zu Fuß hier an?

Wo hast du deine Flügel hingetan?«


Ich schämte mich, weil sie so sehr beschmutzt,

Und ihre schönsten Federn arg gestutzt,

Weil durch das Fliegen nach dem Flitterkranz

Des Menschenruhmes dunkel ward ihr Glanz.


»Und deinen Kranz?« Ich hab ihn abgelegt,

Daß man mit andern ihn zum Kehricht fegt,

Und komm nun nackt und ohne Glorienschein.

Da sprach der Pförtner gütig: »Komm, tritt ein.«


Quelle:
Gustav Falke: Ausgewählte Gedichte. Hamburg 1908, S. 10-11.
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