|
[102] Du da und du –
Ihr dünktet euch immer mehr als ich.
Du
In deinem strammschenkligen Kraftprotzentum,
Ein sogenannter »famoser Kerl«
Bei Weibern und Pferden.
Und du,
Hundertmal plumper,
Verächtlicher,
Geldprotz du!
Wenn ihr jene feinen Ohren hättet,
Mit welchen wir Dichter alles belauschen,
Welch silberstimmiges Lachen würdet ihr hören,
Ein Lachen so leicht, fröhlich, obenhin,
Als Antwort auf eure dreisten
Ellbogenfragen:
»Siehst du, was für Kerle wir sind?«
Ich sehe es!
Aber jener da,
Der mit dem überlegenen Lächeln,
Der Schulmeister,
Er thut mir leid.
Was ist euch Kunst, Wissenschaft,
Und jenes unwägbare Geschenk der Götter:
»Geist!«
Ein Nichts!
(Doch! Geist liebt ihr:
Klapphornverse!)[103]
Aber ihn,
Ihn narrten die Götter.
Sie gaben ihm Fleiß, Verstand, Gedächtnis,
Liebe zum Guten,
Und einen feinfühlenden Finger.
Aber sie schlugen ihn mit Kurzsichtigkeit
Und gaben ihm nicht
Ihr Höchstes:
Phantasie.
Nun tappt er umher
Und freut sich,
Wessen er habhaft wird mit tastendem Finger.
Aber draußen,
Wo Schwingen sich weiten,
Auftragenden Fluges
Phantasiebegabte, leichtere Geister
Mit Sonnenkindern Frage und Antwort spielen:
Hier ist er nicht heimisch.
Hier fühlt er seinen Mangel
Und rümpft die Nase,
Wie hässliche Mädchen
Unter schöneren Schwestern
Sich gern auf die Überlegenen hinausspielen,
Die Gesetzteren,
Innerlicheren.
Der Arme!
Ihn narrten die Götter,
Und Mitleid weckt mir
Sein überlegenes Lächeln,
Tiefes Mitleid.
Ausgewählte Ausgaben von
Mynheer der Tod
|
Buchempfehlung
Strindbergs autobiografischer Roman beschreibt seine schwersten Jahre von 1894 bis 1896, die »Infernokrise«. Von seiner zweiten Frau, Frida Uhl, getrennt leidet der Autor in Paris unter Angstzuständen, Verfolgungswahn und hegt Selbstmordabsichten. Er unternimmt alchimistische Versuche und verfällt den mystischen Betrachtungen Emanuel Swedenborgs. Visionen und Hysterien wechseln sich ab und verwischen die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn.
146 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro