Zehntes Kapitel
Eine Entdeckung bezüglich der keuschen Lätitia, die den Leser vielleicht überraschen und betrüben wird.

[31] Kaum war Herr Wild seine Wege gegangen, so öffnete die schöne Siegerin ein kleines Kabinett und holte einen jungen Herrn heraus, den sie daselbst bei Wilds Ankunft eingesperrt hatte. Der Name dieses Paladins war Thomas Smirk. Er war Schreiber bei einem Advokaten, der größte Stutzer und der Liebling aller Damen des Viertels, in dem er wohnte. Da wir mit Recht die Kleidung für das Wesentlichste an einem Stutzer ansehen, so wollen wir unsern Lesern statt aller andern charakterischen Züge dieses Ehrenmannes bloß die Beschreibung seines Putzes zum besten geben. Auf seinen Füßen trug er ein Paar weiße Strümpfe und an seinen Schuhen solche[31] ungeheure Schnallen, daß sie beinahe seinen ganzen vorderen Fuß bedeckten. Seine Hosen waren von rotem Plüsch und reichten ihm kaum bis ans Knie; seine Weste aber von weißem Halbtuch reichlich mit gelber Seide gestickt, und über derselben trug er einen blauen plüschenen Rock mit metallenen Knöpfen, kurzen Aufschlägen und einem Kragen, der ihm fast bis auf den Rücken ging. Er hatte eine bräunliche Perücke auf, die beinahe die Hälfte von seinem Hirnkasten einnahm, und an der einen Seite derselben hing ein kleiner, aber sehr modisch gestutzter Tressenhut. So sah der Ehrenmann aus, der, als er aus dem Kabinett trat, mit offnen Armen von der schönen Lätitia empfangen wurde. Sie nannte ihn ihren lieben Thomas und sagte ihm, wie sie das gehässige Geschöpf abgefertigt, das ihr Vater ihr zum Ehegespann bestimmt und der sie wenigstens für jetzt im Genusse ihres Glücks nicht stören sollte.

Du mußt es uns verzeihen, lieber Leser, wenn wir hier ein Weilchen innehalten, um den Eigensinn und die Laune der Mutter Natur zu beklagen, die sie bei der Bildung desjenigen Teils ihrer Schöpfung an den Tag gelegt, der dazu bestimmt sein soll, die Glückseligkeit des Mannes vollkommen zu machen, seine Wildheit durch sanfte Unschuld zu bezähmen, ihm seine Sorgen durch Heiterkeit zu erleichtern und durch Freundschaft und Beständigkeit ihn in allen Ursachen und fehlgeschlagenen Hoffnungen aufzurichten. Wenn dies nun die reellsten Vorteile und Genüsse sind, die man sich bei einem Weibe verspricht und die beinahe ein jedes Weib gewähren kann, wie sehr müssen wir dann nicht die Stimmung dieser liebenswürdigen Geschöpfe beweinen, die sie verleitet, ihre Gunst nur meistenteils solchen Personen von unserm Geschlechte zu schenken, welche die Natur wahrhaftig nicht als ihre Meisterstücke aufgestellt hat. Denn so nützlich diese Seelchen auch immer im ganzen sein mögen (und wissen wir nicht, daß kein Ding in der Welt, sogar keine Laus umsonst geschaffen ist), so sind doch diese Stutzer, ja selbst die glänzendste und ehrenvollste Klasse derselben, die sich in unserm Eiland durch rote Kleider auszuzeichnen beliebt, bei weitem nicht, wie einige vorgeben wollen, als die edelsten Produkte der Schöpfung anzusehen. Was mich anbetrifft, so mag sich, wer da will, zwei Stutzerchen aussuchen, sie mögen Kapitäne, oder Obersten, und noch so nett angezogen sein – genug, ich wag es, beiden Herren einen einzigen Isaac Newton, Shakespeare oder Milton entgegenzusetzen; ja, ich weiß nicht, ob es nicht besser fürs ganze gewesen sein würde, daß keiner dieser Stutzerchen je geboren worden, als daß die Welt der Vorteile[32] hätte entbehren müssen, die ihr aus den Bemühungen dieser Genies zugewachsen.

Ist dies nun gegründet: wie traurig muß dann die Betrachtung sein, daß ein Stutzer, vorzüglich wenn er eine Kokarde an seinem Hute trägt, auf der Wagschale des schönen Geschlechts wenigstens zwanzig Isaac Newtons überwiegt. Wie muß der Leser, der vielleicht die Hartnäckigkeit, womit sich die schöne Lätitia gegen das Ungestüm des entzückten Wild wehrte, sehr weislich auf die Rechnung ihrer Tugend setzte, wie muß, sage ich, der Leser erröten, wenn er sie von ihrer geraden Bahn abweichen und sich und ihre Reize einem Smirk preisgeben sieht. Aber ach! Wenn wir erst der Wahrheit und Unparteilichkeit gemäß alles werden entdeckt und dem Leser erzählt haben werden, daß nach vielen vorhergegangenen Vertraulichkeiten der schönen Lätitia (denn wir müssen für diesmal dem Vergil nachbeten, und wie er sein Lieblingsbeiwort pius und pater, auch das unsrige: keusch fahren lassen) die schöne Lätitia unsern Smirk so glücklich machte, wie Wild zu werden wünschte – wie groß wird dann nicht sein Erstaunen, seine Beschämung sein. Wir ziehen darum, vermöge unserer angeborenen Liebe zum schönen Geschlechte, einen Vorhang über diese Szene und eilen zu Vorfällen, die, statt die menschliche Natur zu entehren, sie vielmehr erheben und veredeln werden.

Quelle:
-, S. 31-33.
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