Dreizehntes Kapitel
Eine Zwiesprache zwischen dem Pfarrer von Newgate und unserem Helden, worin ersterer über Tod, Unsterblichkeit und andere wichtige Materien außerordentlich gelehrt und gründlich spricht.

[167] Pfarrer: Guten Morgen, mein Freund! Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen.

Wild: Verdammt schlecht, Ew. Wohlehrwürden! Ich hatte solche böse Träume. –

Pfarrer: Pfui! Sie müssen sich zu fassen suchen. Ich wünschte, Sie zögen einigen Vorteil aus den guten Lehren, die ich Ihnen beizubringen nicht müde bin. Haben Sie schon vergessen, was ich vorigen Sonntag sagte? Die Böses tun, sollen in das ewige Feuer kommen, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln. Daraus suchte ich Ihnen zu beweisen, erstlich, was man unter dem ewigen Feuer, und zweitens, was man unter dem Teufel und seinen Engeln zu verstehen habe; dann zog ich einige Folgerungen aus dem Ganzen, und ich müßte mich sehr irren, wenn ich nicht zur Genüge dargetan hätte, daß Sie selbst einer von diesen Engeln sind und folglich in jener Welt das ewige Feuer zum Lohn Ihrer Sünden zu gewärtigen haben.

Wild: Bei meiner Seele, ich weiß den Henker von Ihren Beweisen; denn kaum hatten Sie Ihren Text abgelesen, so fiel ich in einen festen Schlaf. Aber predigten Sie diese Lehre damals oder wiederholen Sie sie jetzt extra zu dem Zwecke, mich zu trösten?

Pfarrer: Ich wiederhole sie, um Sie zu einer rechten Erkenntnis Ihrer Sünden und so zur Reue zu bewegen. Wahrhaftig, hätte ich auch die Beredsamkeit eines Cicero oder Tullius, ich würde doch nicht imstande sein, die Qualen der Hölle oder die Freuden des Himmels zu beschreiben. Alles, was wir davon wissen, ist, daß unser Ohr dergleichen nicht gehört, unser Herz noch nie gefühlt hat. Wer wollte denn für alle nichtigen Genüsse dieser Welt solch ein unschätzbares Glück fahren lassen! Solche Freuden! Solche Vergnügungen! Oder wer wollte sich durch seine Sünden solchen Qualen unterziehen, deren bloße Vorstellung das menschliche Wesen erschüttert? Kann man bei Sinnen sein und die letzteren den ersteren vorziehen?

Wild: Sie erschrecken mich. Sollte ich alles glauben, was Sie mir vorsagen, müßte ich ja in unaussprechlicher Verzweiflung sterben.[167]

Pfarrer: Verzweiflung ist sündlich. Sie müssen Ihre Hoffnung auf Reue und Gnade setzen, und ist es gleich nur allzuwahr, daß Sie in Gefahr schweben, ewig verdammt zu werden, so steht die Gnadentür Ihnen doch noch offen; denn niemand ist ohne Rettung verloren, es müßte denn ein Exkommunizierter sein.

Wild: Vielleicht gelingt mir's noch, dem Galgen zu entkommen; ich habe noch ziemlichen Kredit. Aber schlägt mir auch alles fehl, so sollen Sie mich doch nicht um meinen Mut bringen; ich will nicht sterben wie eine Memme. Hols der Teufel! Was ist der Tod? Bringt er uns nicht in die Gesellschaft des Cäsar, Plato und anderer Helden des Altertums?

Pfarrer: Wahr genug, aber bei allem dem ist das Leben zu süß; und lieber wollt ich ewig leben, als mich unter diesen Heiden herumtreiben, die ohne Zweifel beim Teufel und seinen Engeln im Schwefelpfuhl sieden; und wer weiß, vielleicht schwitzen auch Sie nur zu bald an diesem Ort der Qual. Wie wird es dann um Ihre Bravaden, um Ihr Großtun und Ihre Spöttereien stehen? Mit Freuden werden Sie dann mehr für einen Tropfen Wasser als jetzt für eine Bouteille Wein geben wollen.

Wild: Bravo, Doktor! Was dünkt Sie um eine Bouteille Wein?

Pfarrer: Ich trinke mit keinem Atheisten, ich müßte ja auch mit jedem Augenblick erwarten, daß der Teufel dazu käme, um den dritten Mann abzugeben; denn seitdem er weiß, daß Sie ihm mit Leib und Seele zugehören, ist er vielleicht sehr ungeduldig, sich in Posseß zu setzen.

Wild: Es ist Ihre Pflicht, mit dem Gottlosen zu trinken, um ihn zu bessern.

Pfarrer: Daran verzweifle ich; und so übergeb ich Sie dem Teufel, der schon bereit ist, Sie zu empfangen.

Wild: Sie sind grausamer als die Richter. Er befahl meine Seele dem Himmel, es ist Ihre Schuldigkeit, mir den Weg dahin zu zeigen.

Pfarrer: Nein. Die Tore des Himmels sind allen Verächtern der Geistlichkeit verschlossen.

Wild: Meine Verachtung trifft nur die gottlosen Pfaffen, Sie aber nicht. Denn ginge alles nach Verdienst, müßten Sie schon längst Bischof sein. Wahrhaftig, man möchte rasend werden, daß Sie sich mit Ihrer ungeheuren Gelehrsamkeit, mit Ihren Talenten auf so eine enge Sphäre beschränken müssen, während andre, die nicht wert sind, Ihnen die Schuhriemen aufzulösen, in Reichtümern schwelgen und strotzen.

Pfarrer: Freilich, in allen Ständen gibts böse Menschen. Aber[168] Sie müßten nicht so allgemein sprechen. Ich könnte wohl auf eine bessere Stelle Anspruch machen; indes hab ich gelernt, mich in Geduld zu fassen; und eben das wollt ich Ihnen auch raten, dann werden Sie gewiß Gnade finden. Es ist wahr, Sie sind ein Sünder, aber Ihre Verbrechen sind keine von den größten. Sie haben weder Mord noch Kirchenraub zu verantworten. Was den Diebstahl anbetrifft, so büßen Sie ihn durch die gesetzmäßige Strafe hinlänglich ab, und das tun nicht alle Ihres Gelichters. Glücklich, dreimal glücklich sind die wenigen, die auf ihren Sünden ertappt und in dieser Welt zur Strafe gezogen werden. Darum, anstatt über Ihr Schicksal zu jammern, wenn Sie zum Galgen geführt werden, müssen Sie vielmehr frohlocken. Und die Wahrheit zu sagen, so fragt es sich noch, ob ein weiser Mann das Schicksal derer, die am Galgen sterben, nicht eher beneiden, als bemitleiden sollte. Nichts ist sündlicher, als die Sünde, und Mord ist die größte Sünde. Wer also einen Mord begangen hat, ist schon glücklich, wenn er dafür büßen, dafür sterben kann; wie glücklicher aber sind Sie, der Sie um eines kleinen Verbrechens willen am Leben gestraft werden.

Wild: Wohl wahr. Aber trinken wir eine Bouteille Wein, um uns bei guter Laune zu erhalten.

Pfarrer: Warum das? Lassen Sie sich dienen, Herr Wild; nichts ist vergänglicher als die gute Laune, welche der Wein gibt. Solls doch getrunken sein, so wär ich für eine Bowle Punsch. Dies Getränke verbietet uns die heilige Schrift nicht, und es ist auch nicht so schädlich bei Steinschmerzen, womit ich außerordentlich inkommodiert bin.

Wild (nachdem er Punsch bestellt): Ich bitte Sie um Verzeihung, lieber Doktor! Ich hätte bedenken sollen, daß Punsch Ihr Lieblingsgetränk ist. Nicht wahr? Sie pflegen nie einen Tropfen Wein zu trinken, solange noch Punsch auf dem Tische steht.

Pfarrer: Ich muß gestehen: Punsch behagt meinem Gaumen am besten, und darum nahm ich es auch ein wenig übel, als sie so auf Wein bestanden.

Wild: Recht so! Ein volles Glas will ich Ihnen auf Ihre baldige Beförderung zum Bischof zutrinken.

Pfarrer: Und ich will Ihnen Pardon wünschen. Kommen Sie, verzweifeln Sie nicht: es ist noch Zeit genug, an den Tod zu denken! Sie haben gute Freunde und wären nicht der erste, der wider Vermuten Pardon erhalten hätte.

Wild: Aber wenn ich mich in dieser Hoffnung getäuscht sähe, was würde dann aus meiner Seele werden?[169]

Pfarrer: Pah! Überlassen Sie mir das; ich will schon Rechenschaft von Ihrer Seele geben. Ich hab eine Predigt in der Tasche, aus der Sie vielleicht einigen Vorteil ziehen können. Nicht eben, daß ich mir auf mein Talent, zu predigen, etwas zugute täte, denn man soll auf keine irdischen Gaben stolz sein; aber vielleicht gibt es nicht viele solche Predigten in der Welt. Hören Sie sie an, wir haben ja doch nichts anderes zu tun, bis der Punsch kommt. Mein Thema ist der bekannte Vers: »Der gute Glaube ist den Griechen eine Torheit.« Zu diesen Worten gab vorzüglich die griechische Philosophie Gelegenheit, welche sich um diese Zeit über einen großen Teil der heidnischen Welt verbreitet und den Geist der Menschenkinder so vergiftet und aufgeblasen hatten hatte, daß sie jede andere Lehre verschmähten und schon darum für lächerlich erklärten, weil sie ihren Gesetzen, Sitten und angenommenen Vorurteilen widersprach. Kurz – so eine Lehre war den Griechen eine Torheit.

In dem ersten Teil meiner Rede will ich daher die Nichtigkeit und Eitelkeit dieser Philosophie, worauf sich die Sophisten des Altertums so viel zugute taten, ins Licht zu setzen suchen, und zwar will ich erstlich die Materie und dann die Form dieser ungereimten Philosophie ein wenig näher beleuchten.

Zuerst also ein paar Worte über die Materie. Hier können wir unsern Gegnern das unhöfliche Wort kühn wieder zurückgeben, womit sie uns beehren. Denn was war diese gepriesene Philosophie, diese zusammengeraffte Gelehrsamkeit, von der sich ihre Verehrer so eine große Ernte versprachen und womit sie ihren Geist so zu bereichern dachten, was war sie anders als – Torheit? Ihr großer Lehrer Plato – ihr großes Wunderlicht Aristoteles – Narren waren sie, sonst nichts; Gaukler und Sophisten, die an ihren eigenen erträumten Meinungen hingen, worin auch nicht eine Spur von Wahrheit und Vernunft anzutreffen war. Alle ihre Werke wimmeln von Irrtümern, über welche das Licht der Wahrheit auch nicht einmal einen leichten Schimmer geworfen hat. Ihre Vorschriften sind weder aus der Natur entdeckt, noch von der Natur diktiert – eitle Erdichtungen sind sie, und dienen bloß, den menschlichen Stolz in seiner ganzen Größe darzustellen; mit einem Wort: sie sind nichts als Torheit. Vielleicht möchte man erwarten, daß ich einige Stellen aus ihren Schriften anführen sollte, um meine Behauptung zu beweisen; aber alle ihre Werke müßte ich abschreiben, wollte ich alle Stellen sammeln, die für mich beweisen; man findet sie in solcher Menge, daß einem die Wahl schwer wird. Statt eure Geduld zu ermüden, schließ ich lieber diesen ersten Teil mit einer Behauptung, die ich so bündig erwiesen habe und die auch schon zur[170] Genüge aus unserm Text erhellt, daß nämlich die Philosophie der Griechen nichts als Torheit war.

Schweifen wir jetzt zur zweiten Abteilung und betrachten –« Doch der Punsch, der eben hereingebracht wurde, machte hier dem herrlichen Sermon ein Ende und ermunterte unsern Wild, der fest eingeschlafen war. Von dem, was weiter bei dieser Visite des Pfarrers vorfiel, haben wir auch nicht die mindeste Nachricht erhalten können.

Quelle:
-, S. 167-171.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Prinzessin Brambilla

Prinzessin Brambilla

Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.

110 Seiten, 4.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon