Zweites Kapitel
Ein Wort über öffentlichen Undank. Herr Wild kommt in Newgate an.

[132] Wenn wir Muße hätten, wollten wir hier eine kleine Digression über den Undank machen, womit fast alle republikanischen Völker ihre großen Männer zu belohnen pflegen, die oft mitten in dem Bemühen, ihre Größe, worauf doch die Größe des Ganzen beruht, zu erheben, ungerechterweise von eben der Nation geschlachtet werden, für deren Ruhm und Ehre sie so werktätig waren. Und warum diese Opfer? Bloß einem lächerlichen phantastischen Wesen, Freiheit genannt, zu Gefallen; gegen welches Wesen dickbesagte große Männer einen fürchterlichen Haß haben sollen.

Jenes Gesetz war noch nicht lange publiziert, als unser Held ein sehr kostbares Stück Silber, das ihm ein gehorsames Mitglied seiner Bande pflichtschuldig eingehändigt hatte, seinem Eigentümer für einen zivilen Preis wieder zukommen ließ. Für diesen Beweis seiner Großmut gab ihn dieser undankbare Bube sogleich an. Man überfiel ihn daher in seinem eigenen Hause, überwältigte ihn und brachte ihn vor den Richter, der ihn auch stehendes Fußes nach dem berühmten Staatsgefängnis schaffte, das wir nicht zu oft in unserer Geschichte nennen mögen, und woselbst eben um diese Zeit viele große Männer beisammen waren.

Der Gouverneur, oder wie die Gesetze ihn nennen, der Aufseher dieses Gefängnisses war Herrn Wilds alter Freund und Bekannter.[132] Dies war schon ein Trost für unsern Helden, der sich hier nicht nur eine gute Aufnahme und eine menschliche Behandlung versprach, sondern auch noch obendrein seine Freiheit zu erlangen hoffte, wenn ers für nötig finden sollte, sie zu verlangen. Aber ach! Seine Erwartung schlug ihm fehl. Sein alter Freund kannte ihn nicht mehr und bestand auf einem eben so hohen Preis für ein eignes Zimmer, als wenn er einen Kavalier einer Mordtat oder eines anderen Verbrechens wegen in Gewahrsam hätte. In Wahrheit, es ist doch sehr traurig, daß man sich auf die Freundschaft großer Männer nicht verlassen kann: eine Bemerkung, die jeder nur zu oft machen muß, der am Hofe oder in Newgate oder an einem anderen Orte lebt, wo große Männer ihre Wohnungen aufzuschlagen pflegen.

Wild erschrak nicht wenig, als er am zweiten Tage seiner Gefangenschaft einen Besuch von seiner Frau erhielt; noch mehr aber ward er in Bestürzung gesetzt, als er Tränen in ihren Augen erblickte. Er umarmte sie mit den größten Merkmalen der Zärtlichkeit und erklärte, seine Gefangenschaft tue ihm gar nicht leid, da sie ihm diese Probe ihrer Anhänglichkeit und ihrer Treue verschaffe; o gewiß, jedermann in Newgate werde ihn um so ein treffliches Weib beneiden. Dann bat er sie, ihre Augen zu trocknen und ruhig zu sein; denn es könne noch alles gut werden. »Nein, nein«, sagte sie, »ich bin gewiß, man wird dich des Todes schuldig finden. Ich habe das alles vorausgesehen. Ich sagte dir immer, die Wirtschaft könne nicht lange Bestand haben; aber du wolltest nicht hören; nun du die Folgen siehst, ist es zu spät – wenn man dich ohne Barmherzigkeit aufknüpft, wird es noch mein einziger Trost sein, daß ich zum Besten geraten habe. Wärest du immer nur allein auf Beute ausgegangen, hättest du stehlen können bis an dein seliges Ende. Aber du bist immer klüger als andere Leute oder vielmehr fauler, nun sieh auch, wie deine Faulheit dich an den Galgen bringt, denn dahin mußt du, das ist gewiß. Es geschieht dir schon recht, das hast du für deinen Trotzkopf. Ich allein bin zu beklagen, mich allein trifft Schimpf und Schande. Da geht sie hin, wird es heißen, ihr Mann zappelt am Galgen. Mich dünkt, ich höre den Janhagel schon so rufen.« Bei diesen Worten brach sie in Tränen aus. Er konnte nicht umhin, ihr einen derben Verweis zu geben und sie zu bitten, ihn nicht länger zu scheren. Sie antwortete mit einigem Unwillen: »Meinetwegen magst du zum Teufel gehen. Dich zu besuchen kam ich wahrhaftig nicht her, du hättest lange hier sitzen können, wenn mich der Esel von Richter nicht einer kleinen Taschendieberei wegen hergeschickt hätte. Wir werden in Gesellschaft[133] hängen müssen. Schon ein Trost für mich.« Wild antwortete: »Das hab ich dir längst gewünscht! Aber was mich betrifft, so hab ich keine Lust, dir Gesellschaft zu leisten, ich hoffe noch das Vergnügen zu haben, dich ohne mich hängen zu sehen: so werde ich dich wenigstens los.« Bei diesen Worten packte er sie um den Leib und stieß sie gar unsanft zur Türe hinaus, nachdem sie ihm zuvor mit ihren Nägeln einige blutige Zirkumflexe auf den Backen gezeichnet hatte.

Kaum hatte sich Wild von der Unruhe etwas erholt, worein ihn dieser ungebetene, unwillkommene Auftritt gesetzt hatte, so trat sein getreuer Achates auf. Die Erscheinung dieses jungen Mannes war ihm eine wahre Herzstärkung. Er empfing ihn mit offenen Armen und äußerte seine Zufriedenheit über eine Treue, die gar nicht nach diesen verderblichen Zeiten schmeckte. Er sagte noch mehr gute Dinge, die wir aber vergessen haben. So viel ist gewiß, jedes Wort war ein Kompliment für Fireblood, dessen Bescheidenheit diesem Strome von Lobeserhebungen endlich dadurch Einhalt tat, daß er versicherte, er habe nur seine Schuldigkeit getan und würde sich selbst verabscheuen, wenn er seinen Freund im Unglück verlassen könnte. Dann bot er ihm, nach vielen Versicherungen, daß er sogleich zu ihm geflogen, als er nur von seinem Unfall gehört, aufs dringendste seine Dienste an. Wild antwortete, er würde sich ihm sehr verbinden, wenn er ihm einige Guineen leihen könnte; denn er sei ganz auf dem Trockenen. Fireblood bedauerte außerordentlich, daß er ihm darin nicht dienen könne, denn er habe bei Seele und Seligkeit keinen Schilling Geld in der Tasche; und dies war denn auch nicht erlogen, denn er hatte nichts als eine Banknote, die er einem Ehrenmann auf dem Wege nach dem Schauspielhause aus der Tasche stibitzt hatte. Dann erkundigte er sich nach Wilds Frau, der diese Visite eigentlich zugedacht war; denn was unsern Helden betrifft, so hatte er seine Gefangenschaft schon in der ersten Minute gehört, ohne daß es ihm eingefallen war, ihm mit seinem Besuche beschwerlich zu fallen. Als Wild ihm nun von allem Nachricht gegeben, was sich zwischen ihm und seiner Frau zugetragen, tadelte er ihn, daß er ein so gutes Geschöpf so grausam behandeln könne. Dann nahm er, sobald es die Höflichkeit nur erlaubte, von Wild Abschied und eilte zu dessen Frau, die ihn auch sehr freundlich aufnahm.[134]

Quelle:
-, S. 132-135.
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