Der 58. Psalme

[840] Si verè utiq Justiciam, etc.


Trostpsalm wider vnrechtfertige Leut.

Inn der weis. Es spricht der vnweisen, etc.


1.

Seit jr dan stumm, das jr nicht wolt

was recht ist auch recht sprechen

Vnn richten, wie jr billich solt,

jr, die euch Richter rechen?

Wie sagt jr, Menschenkind, so schlecht

das alls was jr sprecht, dz sei Recht,

so jr das Recht doch schwächen?


2.

Ja mutwillig thut vnrecht jr,

frevelt mit Mund vnd händen.

Ir denkt auf boshait für vnd für,

wie jr die Fromme schänden,

Vbt boshait vnter Frommem schein,

jr wiget fasch zů vnrecht ein,

das Recht jr nur fürwenden.


3.

Die Gotlos art ist ganz verkehrt

vnd jrrt aus Mutterleibe,

Sie ist auf lugen nur gelehrt,

damit art bei art pleibe.

Ir gift vnd wüten ist ganz gleich

dem wüten ainer Schlangen plaich,

das es die Leut betäube.


4.

Sie wütet vnd wais doch nicht was,

des ernst ist sie ain Spotter,

Stopft Orn vor gutem Rhat aus haß,

gleich wie ain taube Otter

Ir Oren stopft, da sie nicht hör

des Zaubrers Stimm, der sie beschwör:

o wie armselig Rhather![840]


5.

Zerprich jn, GOT, im Maul jr Zän

vnn mit gewalt zerstose

Der jungen Löwen Backenzän,

jr vnverschamt zumosen!

Schnell müsen sie verschwinden all

gleich wie ain Fluß vnd Wasserfall,

jn fäl, darnach sie schossen.


6.

Mit Pfeilen zilen sie zur hand,

aber diselb zerprechen,

Versigen wie Wasser im sand,

vergehn, eh sie es rechen,

Ja jr Ratschlag vnd grose macht

gleich wie ain langsam Schneck verschmacht,

dann der höchst kan sie schwächen.


7.

Wie ains Weibs vnzeitig geburt

die Sonn sie nicht lang fräuet,

Eh jre Tornen stechen fort

ain zorn sie frisch abhäuet:

Eh sie es pringen halb ins werk,

zerstört Gots zorn jr Rhat vnd stärk,

vnd ligt was vor sehr tränet.


8.

Als dan würd der Grecht fräuen sich

zusehn jr Rach vnd Rute,

Vnd sein füs baden forchtsamlich

inn der Gotlosen Plute,

Dann da würd gröser sein die Rach

als men begert het vm die schmach,

weil man raizt Gots langmute.


9.

Da werdē die Leut sagen dan

›der Grecht mus ja sein gnisen,

Jzunt man klar erkeunen kan,

das der Bös mus es büsen,

Vnd das der Hoch Gerechte GOT

auf Erden Richter noch bestoht,

werd auch sein Gricht beschlisen.‹


Quelle:
Philipp Wackernagel: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts, Leipzig 1874, S. 840-841.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Geistliche Lieder
Geistliche Lieder Und Psalmen Aus Dem Strassburger Gesangbüchlin Von 1576: Auch Dessen Anmahnung Zu Christlicher Kinderzucht Und Ein Artliches Lob Der Lauten (German Edition)

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. (Les Bijoux indiscrets)

Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. (Les Bijoux indiscrets)

Die frivole Erzählung schildert die skandalösen Bekenntnisse der Damen am Hofe des gelangweilten Sultans Mangogul, der sie mit seinem Zauberring zur unfreiwilligen Preisgabe ihrer Liebesabenteuer nötigt.

180 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon