Elise an Sophie

[8] Was in aller Welt haben Sie vor? Mich wollen Sie von hier entfernen, Sie selbst verstecken sich hinter Geschäfte, die Sie nicht näher bezeichnen, und von dem Schloßgaste, so wie von allem, was darauf Bezug hat, kein Wort! – Wie sonderbar! Ja, wie unnatürlich, möchte ich sagen, da Sie mich kennen, und es wissen sollten, daß ich erstaunt leicht Contrebande spüre.

Ihr Brief ist himmlisch gut, voll Geist und Wohlwollen. Aber es klingt mir alles, wie hinter einem Vorhange. Ich sehe Sie nicht, ich höre Sie blos, und deshalb üben Sie auch keine Gewalt über mich. Lassen Sie sichs nun nicht wundern,[8] daß ich von dem, was Sie von mir fordern, ohne es mir offen zu sagen, auch nicht das Geringste gethan habe. Erstlich ist Eduard in Gottes Namen allein nach der Stadt gefahren, und zweitens habe ich Milch und Früchte bei der Tannenhäuserin, ohne Sie, Eigensinnige, gegessen, und mir viel von der gesprächigen Wirthin erzählen lassen. Doch in der Hauptsache bin ich so klug wie vorher. Die Frau scheint mir durch mancherlei Erfahrungen gewitzigt, sie ist auf ihrer Huth. Ueber eine gewisse Grenze kommt man mit ihr nicht hinaus. Es unterhielt mich ungemein, wie sie meine Fragen so geschickt unterlief, und den Gegenstand von einer ganz andern Seite erfaßte. Meistens führte sie alles auf sich selbst zurück, wer sie ist, was sie leistete und noch jetzt schafft und erhält, das erfuhr ich genau. Hier standen wir denn fest, und blieben stehen. »Der Gewinn, werden Sie sagen, war nicht groß.« Freilich nicht, allein ich hatte die Familie des Amtmanns mit mir; die Frau, welche sich nur selten eine Erholung gönnt, und die Kinder eben auch nicht verwöhnen kann, sah sich in die Tage sorgenfreier Jugend versetzt, wo sie mit ihren Eltern solche Lustorte besuchen, sich putzen, frei von Geschäften bequem lustwandeln, die Natur, ohne Nebenbeziehung[9] auf Ertrag und Nutzen, bewundern durfte. Sie war so recht aus Grund der Seele froh, und sagte, was ihr in den Mund kam. Ich habe unglaublich über sie gelacht.

Zuletzt kam noch eine Schüssel mit Backwerk, bei der sich meine Raben gütlich thaten. Ich stopfte sie tüchtig, und spielte dann zu allgemeinem Entzücken blinde Kuh, Katze und Maus und den Dritten abschlagen mit ihnen.

Ich weiß nicht, ob Sie den hübschen, blumigen Wiesenplan zwischen dem See und dem Waldsaum kennen? Die herrlichen Buchen, welche diesen in drei doppelten Reihen einfassen, wölben ihr breites Blätterdach über den Rasen. Man hat hier Schatten, Schutz vor dem Winde und dem feuchten Lufthauch des Wassers. Keinen bessern Spielplatz giebt es unter der Sonne. Die Amtmännin durfte nicht zurückstehen. Auch ging sie gutwillig daran; bald gaben wir den Jungen nichts an Ausgelassenheit nach. Das nahm denn aber für mich ein beschämendes Ende. Während dem Hin- und Herlaufen hatte sich mir, unten am Kleide, der Saum abgetrennt. Ich bemerkte es nicht. Jetzt verwickelte ich mich bei einer Wendung darin. Ich wäre gefallen, hätte ich nicht kurzen Prozeß gemacht, das Stück abgerissen und dieses, mit sammt[10] dem Schuhe, um welchen der Streifen geschlungen war, von mir geworfen; ein Ausweg, der mich auf der Stelle wieder auf die Beine, jedoch um meinen Schuh brachte. Dieser war tief in das Gebüsch hineingeflogen. Ich theile dasselbe unter lautem Lachen, da steht ein fremder Mann, halb von den Zweigen verdeckt, vor mir. Er mochte hier schon eine Weile gestanden, und unser ausgelassenes Treiben mit angesehen haben. Das verdroß mich, ich that, als sehe ich ihn nicht; auch trat er sogleich zurück. Ehe ich noch zu den Uebrigen gelangte, war er verschwunden. Ich weiß von dem ganzen Menschen nichts, als daß er blau oder grün angezogen war und eine Flinte auf dem Rücken trug. Erst nachher fiel mir ein, was Ihnen, Sophie, eben auch einfällt. Sehen Sie, ich kann von hier aus in Ihren Zügen lesen, daß Sie mich ohne Worte verstehen. Sie denken wie ich, an den Schloßgast, und der war es auch ohne alle Frage, obgleich die Wirthin diesen nicht kennen will, die Sache bei Seite wirft, den vermeinten, vornehmen Fremden für einen neuen Sekretär des Comthur ausgiebt, so weiß sie doch mehr von allen dem, und glaublich ist es, daß jener bei ihr im Hause war, indeß wir uns mit ihr unterhielten. Dies mag nun sein wie es will. Solche Dazwischenkunft[11] eines Dritten unterbricht immer, und giebt andere Gedanken. Zudem waren wir müde. Die Sonne ging unter. Gerade über dem See stand die glühende Scheibe. Wir setzten uns am Ufer nieder. Es war der köstlichste Abend. Die Kinder pflückten Vergißmeinnicht und gelbe Wasserlilien. Zu unsern Füßen perlte der weiße Wellenschaum. Die kleinen Bläschen zerrannen geräuschlos zwischen Rohr und Calmus. Ich folgte mit den Augen ihrem raschen Verschwinden. Die Amtmännin war still, ja andächtig geworden. Sie saß mit gefaltenen Händen neben mir, sah in die steigende Dämmerung, und gedachte ihrer verstorbenen Eltern. Sie mochten ihr in der Dunkelheit mehr gegenwärtig sein. Sie sprach viel von ihnen. Ich hörte ihr mit Innigkeit zu. Der Vater besonders schien ihr theuer gewesen. In der Jugend begleitete er als Feldprediger sein Regiment auf manchen Zügen, und wohnte mehr als einer Schlacht bei, verlor aber sein Amt wegen einer unvorsichtigen Trauung, zu welcher er sich aus Liebe für einen jungen leidenschaftlichen Offizier verleiten ließ. Nach dem Tode des Fürsten bekam er zwar den Posten seines Schwiegervaters, an der Hofkirche, allein die übereilte Handlung, die zum Unglück des Ehepaars ausschlug, blieb ihm ein störender Vorwurf für sein Leben. Die Tochter rühmte[12] überall die große Zartheit seines Gewissens, und wußte noch mehrere rührende Züge davon anzuführen.

Anfänglich flossen ihr die Worte nicht ganz natürlich, wie das wohl bei Leuten der Fall ist, die von dem gewohnten äußern Treiben in die innere Welt zurücktreten. Ihre Sprache klang wie aus einer Putzstube heraus. Aber das währte nicht lange, Gefühle, die ihr stets vertraut blieben, rissen sie, wie alte Bekannte, mit sich fort. Ich empfand aufs neue, was nur einzig wahre Bildung giebt. Rührt der Genius die Flügel der Seele, so hebt er alle Fähigkeit des Innern mit aufwärts.

Sehen Sie, liebe Sophie, die Frau, die ich mir doch immer nur als Nothbehelf mit auf die Fahrt nahm, mußte mir so zur Erbauung dienen! Ich glaube, wir säßen noch da beisammen und plauderten, wären die Kinder nicht müde, der Abend dunkel, und die Amtmännin wegen ihres Mannes unruhig geworden.

Ich war bei meiner Nachhausekunft sehr froh, keine eheherrliche Kritik fürchten zu dürfen. Georg aß seine Suppe so vergnügt um neun als um sieben, und ich schrieb dies Alles ungestört an Sie.[13]

Hierauf werden Sie nun wohl denken, daß ich es nicht bereue, von der Fahrt nach der Stadt zurückgeblieben zu sein.

Aufrichtig gesagt, gute Sophie, versteh' ich nicht, was Sie mit dem Vorschlage wollen? Entweder Sie beabsichtigen etwas Verborgenes damit, oder Sie beweisen mir, was ich immer schon dachte, daß jedes Urtheil über Verhältnisse, zu denen man ausserhalb steht, eben so schwankend ist, wie es unmöglich wird, aus der Ferne einen Maaßstab für dasjenige zu finden, was in solchen Verhältnissen gethan oder unterlassen werden muß. Theorien abstrahiren sich wohl im Allgemeinen, aber das Leben steht nicht einen Augenblick still. Den Widerstand oder die Nachhülfe, die es auf einer Stelle fordert, verwirft es auf der andern.

Mein Gott! was hätte es dem guten Eduard in seiner momentanen Verdrossenheit geholfen, wenn ich an seiner Seite vor Staub und Hitze erstickt wäre, und ihn dadurch gezwungen hätte, auf mich zu merken? Meinen Sie, daß es ihn würde erheitert haben, mich um nichts und wieder nichts gequält zu sehen? Ganz im Gegentheil, er wäre ausser sich gerathen, hätte sich tausend Vorwürfe gemacht, sich den unglücklichsten Menschen der Erde geglaubt, und sinnreich in eigener Qual herausgefunden,[14] daß er es anfangen möge, wie er wolle, er beglücke niemand. Leute seiner Art, die an völlige Isolation und in ihren Geschäften an etwas Mechanisches gewöhnt sind, werden gleich ungeduldig, wenn sie irgend etwas Fremdes durchkreuzt.

Seit vier Jahren, daß wir verheirathet sind, habe ich den Sommer immer still hier verlebt. Eduard würde sehr frappirt über den Gedanken gewesen sein, ihn auf seiner Sonnabendsfahrt begleiten zu wollen. Das geschah nie. Warum jetzt? Fühlen Sie nicht, wie der Einsame das zum Gegenstande mißtrauender Grübeleien gemacht hätte?

Nein, Sophie, Sie heben auch nur Menschen nach vorausgesetzten Annahmen heraus. Das hindert Sie, zu sehen, was Sie sonst sehen würden.

Ich hoffe, Ihre Geschäfte sind beendet, und Sie kommen morgen, mich zu versöhnen.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 8-15.
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