Antwort

[190] Zu spät! Ihr Brief trifft mich hier in *** wo er mit mehrern andern gemachten Vorkehrungen zufolge, auf der Post meiner Abholung wartete. Umkehren? jetzt noch? hier? Ich kann es unmöglich! Würden Sie es können? würden Sie? Denken Sie doch nur, so nahe bei ihm, so nahe bei Georg! Nein, unmöglich! unmöglich!

Daß ich Ihre Gastfreundschaft unter solchen Umständen nicht in Anspruch nehmen werde, versteht sich von selbst. Aber wohin sonst? Ich sitze hier und sitze –

Nein, ich sitze nicht einen Augenblick auf einer Stelle. Das Blut kocht mir in den Adern, mein Herz schlägt ungestüm. Ich laufe im Zimmer umher. Gedanken habe ich nicht. Gefühle! unaussprechlich beglückende, unaussprechlich ängstigende.

Man fragte mich, wohin ich die Postpferde wolle? Ja, wohin? Sagen Sie doch, Sophie! wohin? Ich weiß wahrhaftig – – – – –


Abends.


Hier bin ich, gute, liebe, einzige Freundin! Walter bringt Ihnen, wie sonst, diese Zeilen.[190] Ich schreibe Ihnen aus dem Schlafkämmerchen der Tannenhäuserin. Hier! Hier! O mein Gott! was dringt hier alles auf mich ein.

Die brave Frau war so gerührt, so überrascht bei meinem Anblick. Ich hielt ein Paar hundert Schritt vom Hause. Es war finstre Nacht. Ich wollte den Wald, die Bäume, den fürchterlichen See nicht sehen. Der Postillon mußte absteigen, die Wirthin herauszurufen. Es währte eine Weile, ehe sie kam. Johanna und ich saßen währenddem stumm neben einander. Das arme Mädchen fürchtete sich. Sie hielt die Leine der Pferde lose und ängstlich in der Hand. Es war todtenstill um uns, wir hörten nichts als den schnaubenden Athem und das Schütteln der müden Gäule in dem lästigen Geschirr. Mir wurde immer beklommner, immer voller ums Herz. Weinen konnte ich nicht, kaum mich regen. Indem ritt Jemand schnell vorüber. Ein Anderer, der ihm folgte, fluchte über das Fuhrwerk, das hier mitten im Wege hielt, und gab dem einen Pferde einen Schlag mit der Faust, daß es seitwärts taumelte. Johanna schrie, jener lachte und sprengte davon. Es war die rohe Stimme und das gemeine Wesen eines Reitknechts, aber wer war[191] sein Herr? wer war der flüchtige Reiter, der so stürmisch an uns vorüber flog?

O Herz! Herz! du nanntest ihn, und gewiß, es war kein Anderer!

Als nun der Postillon mit seiner Begleiterin kam, diese die kleine Handlaterne ein wenig hob, um mir ins Gesicht zu sehen, zitterte ich und konnte nicht sprechen, nicht aussteigen, mich nicht auf den Füßen halten. Ich winkte nur der erschrocknen Frau, auch zu schweigen. Sie seufzte schwer. Mit ihrer und Johanna's Hülfe verließ ich den Wagen.

»Können Sie ein oder zwei Nächte?« brachte ich endlich heraus. »Lieber Gott! warum denn nicht,« erwiederte sie. »Aber beste, gnädige Frau! Sie sind krank, bei mir ist es unruhig, Sie werden Ihre Bequemlichkeit nicht haben,« bemerkte sie ängstlich. Ich ließ sie reden, und ging, statt aller Erwiederung, auf das Haus zu.

»Es ist Gesellschaft drinnen,« sagte sie, und mich behutsam durch die Küche und einen kleinen Vorhof führend, brachte sie mich in ein Zimmer.

»Nur so lange Geduld,« bat sie, »bis die Gäste auseinander gehen. Dann werde ich für mehr Bequemlichkeit sorgen. Es ist heute eben recht voll hier, ich habe Alles, bis auf dies Kämmerchen,[192] einräumen müssen,« lächelte sie im Hinausgehen.

Ich setzte mich in den hintersten Winkel auf ein Schemelchen nieder. Der Lärm wirrte undeutlich aus den anstoßenden Gemächern herüber. Ich konnte weder Worte noch Stimmen unterscheiden. Ich hätte sie auch in dem Augenblick nicht unterschieden. Wie viel tausend andere Stimmen schrieen jetzt laut in mir auf.

Hier war ich nun also, flüchtend, versteckt! Nacht um mich, Nacht in mir; nicht der kürzeste Blick über die nächsten Paar Schritte kenntlich, alles dumpf und dunkel wie im Kerker.

So sitze ich noch, so schreibe ich Ihnen bei einem Lämpchen. Sie sehen den Worten wohl den Aufruhr der Seele an. Neben mir an braust und tobt es immer wüster.

Walter, der alle Gelegenheiten des Hauses kennt, und die Wirthin sprechen wollte, trat vor einer Weile unerwartet hier herein. Die Thür war ungeschickt und nur halb verriegelt, so daß sie bei dem Ruck seines starken Armes aufsprang. Ich fuhr erschrocken in die Höhe. Er blieb betroffen stehen. Dann trat er schüchtern zurück, und zog die Thür leise nach sich. Ich schickte Johanna, ihn um die Besorgung eines Schreibens[193] an Sie zu bitten. Er zeigte sich sehr bereitwillig, fragte theilnehmend nach mir, bat, seines unvorsichtigen Eintritts wegen, um Verzeihung, mit dem Zusatze: daß, wenn er hätte ahnden können, mich zu erschrecken, er ja lieber dem Kämmerchen auf hundert Schritte nicht genahet wäre. Er lächelte gerührt und wischte sich verstohlen die Augen.

Er also, Sophie! und vielleicht noch mancher Andere bewahrten mir ein freundliches Andenken in dieser verödeten, umgewandelten Gegend.

Die Tannenhäuserin ist nicht einen Augenblick festzuhalten! Noch nicht ein Wort von Georg. Hugo's Name wage ich nicht zu nennen.


In der Nacht.


Hören Sie doch, Sophie! Hören Sie doch! es ist nun still im Hause. Aber hier, hier in mir ist ein Tumult, eine Angst! Sie müssen morgen frühe zu mir kommen. Walter wartet auf meinen Brief. Er geht, so wie der Tag grauet, damit zu Ihnen hinüber.

Johanna's Neugier hat allein Schuld. Ich dankte Gott, nichts von der rohen Unterhaltung meiner Nachbarn zu verstehen. Nun war es vorbei! Ich hätte ja taub sein müssen. Sie hatte[194] Langeweile. Bald stand sie stille, bald ging sie in der Kammer umher, öffnete Fenster, Schubladen und Schränke. Jetzt zieht sie an einem roth- und weißgewürfelten Vorhange. Ein Fenster wird sichtbar, es ist mit einem Laden versetzt. Sie macht diesen ein klein wenig auf, ihr erster Blick fällt in das anstoßende Gastzimmer. Ich gebe nicht Acht auf sie. Nun stürzt das angelehnte, eichene Brett, das sie aus der Lage gebracht und nicht zu regieren versteht, herab auf den Boden. »Mein Himmel, Johanna! was machst Du?« rief ich unwillig. Sie zieht eilig den Vorhang wieder zu, und lautlos auf mich zurennend, flüstert sie: »St! daß sie uns nicht hören! Sie sitzen bei Würfeln und Karten, und die Wirthin steht bei einer Bowle Punsch, aus der sie ihnen fleißig einschenkt.«

Die genauere Bezeichnung dessen, was neben mir an, getrieben ward, flößte mir Widerwillen und Bangigkeit ein. Die Scheidewand, welche mir bis jetzt unmittelbare Störungen abhielt, war eingefallen; das Fensterchen mochte aufgesprungen sein, genug, ich unterschied plötzlich des Amtmanns Stimme, die durch Punsch und Spiel gehoben, etwas unbeschreiblich Verletzendes hatte. Die Karten schienen ihm unglücklich zu fallen. Er[195] stieß mehr als einen Fluch aus. Mir war nicht anders, als müsse jeden Augenblick Einer von den wilden Gesellen zu mir hereintreten. Ich wollte fort, zu Fuß, in den Wald, nur hier nicht länger bleiben! Johanna beschwor mich, ruhig zu sein. Ich stand zitternd an sie gelehnt, als ich den Amtmann zornig auffahren, und einen Knaben weinerlich sagen hörte: »Ich wollte Dich ja nur erinnern, daß es spät sei. Großmutter weint.« »Ach, geh' zum Teufel mit deiner Großmutter und deinem Erinnern!« schrie der Vater ganz außer sich. »Aber wartet nur, ich werde dem Dinge ein Ende machen! Du mußt mir auf die Schule,« fuhr er hitzig fort. »Nun der kranke Wurm nicht länger bei uns bleibt, bekommt das Ding so eine Wendung!«

Sophie! ich glaubte in die Erde zu sinken. Er redete von Georg! Krank nannte er ihn, und jämmerlich, wie ein Wurm, dünkt ihm das blühende Kind! Es war das erstemal, daß ich das hörte; Niemand hatte mir früher eine Ahndung davon gegeben.

Gespannt horchte ich, als die Fragen der Andere mir mehr Licht zu geben versprachen. Allein der Amtmann war in seiner Punschlaune ganz verwildert, er vermaß sich hoch und theuer,[196] daß er sein halbes Leben darum schuldig sein wolle, wenn er nie an den vermaledeiten Ort gekommen wäre, wo sich das Unglück einquartirt habe. Viele der Anwesenden lachten ihn aus. Er schlug aber auf den Tisch, daß die Gläser klirrten, indem er schriee: »Lacht nur! ich weiß doch, was ich weiß.« »Nun?« fragten Einige, »was weißt Du denn?« »Das weiß ich,« entgegnete er heftig, »daß mit dem Grafen alles Elend über uns gekommen ist. Wie der hier einzog, da starb mein Hannchen; sie hatte ihn kaum gesehen, hernach –! nun, das läßt sich ja an den Fingern abzählen,« bekräftigte er seine Aussage, ohne weitere Beweise anführen zu wollen. »Es wird noch Alles sterben,« fuhr der wilde Mann nach kurzer Pause fort, »Alles, was er verhext hat. Die Eine ist schon todt, die Andere so gut wie gestorben, und der arme Junge, der hat auch etwas weg, das wird gewiß kein Mensch leugnen.«

Schrecklich! Schrecklich! wimmerte ich, die Hände ringend. Ich schrack zusammen, als die Gäste ungestüm nach Punsch und auch nach der Wirthin riefen.

Sie mußte einen Augenblick hinausgegangen sein.[197]

»Sie ist dort in der Kammer,« sagte Einer, »hinter der Gardine schimmert ja Licht!«

»Holla!« rief dieser zwischen dem Fensterflügel hindurch, den Vorhang aufhebend. »Ach! gehorsamer Diener!« setzte er verblüfft und blöde hinzu, indem er, mit dem Fuße scharrend, eine Verbeugung machte.

Ich verbarg mein Gesicht an Johanna's Brust, doch hatten sich im Augenblick Mehrere an das Fenster gedrängt. Ich hörte sie zischeln: »Es ist die Präsidentin, da wird er auch nicht weit sein!« »Nein!« meinte ein Anderer, »es ist wegen dem Kleinen, der nun fort soll. Weiß man doch, wie sie ihn liebt.« »Ja, ja,« flüsterte der Amtmann, »und vollends die unversöhnliche Todtfeindin!«

Sophie! ich hörte nichts mehr. Ich habe wohl eine Stunde in völliger Betäubung da gesessen. Ich bin wie verwirrt! Hier kann oder will mir Niemand Auskunft geben. Sie müssen es. Ich beschwöre Sie auf meinen Knieen darum. Morgen frühe! So bald Sie können. Hören Sie wohl. Denken Sie, daß die Nacht lang, daß jede Minute in der Angst verlebt, eine Ewigkeit ist; daß ich auf der Folter bin, und[198] Sie mich retten können, oder –! Nein, das wird nicht sein, das darf nicht sein!

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 190-199.
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