Sophie an Hugo

[199] Ich kann nicht einen Augenblick anstehen, Ihren Beistand für Elise in Anspruch zu nehmen. Ein höchst unangenehmer Vorfall hat die, nur allzuleicht mit sich einige, immer zum Aeußersten entschlossene Frau zu Schritten verleitet, die ärgerliche Folgen haben können. Lesen Sie Ihren letzten Brief an mich. Ich schicke Ihnen diesen, wie er ist. Er allein mag das Folgende erklären.

Es war wohl natürlich, daß ich gleich nach Empfang desselben die Arme in ihrem Versteck aufsuchte. Nichts, selbst die Gegenwart der Oberhofmeisterin konnte mich daran verhindern. Wer hätte ahnden sollen, daß gerade diese Eile die widrigen Ereignisse beschleunigen, die Verwirrung vollständig machen würde!

Noch vor dem Frühstück hatte ich mich in den Wagen geworfen, und ohne Ihre Schwiegermutter zu sprechen, mich begnügt, ihr sagen zu lassen, ein dringendes Geschäft zwinge mich zu kurzer Abwesenheit, gegen Mittag würde ich gleichwohl[199] unfehlbar zurückgekehrt sein. Tausend Sorgen im Herzen, komme ich nach dem Waldhäuschen. Ich steige aus, ich gehe hinein. Niemand begegnet mir. Sie ist krank, denke ich. Die Wirthin, ihre Leute sind um sie beschäftigt. Vorsichtig öffne ich die Thür nach dem hintern Zimmer. »Ach, Ihr Gnaden! da sind Sie ja doch noch gekommen!« ruft Johanna. Die Tannenhäuserin und sie standen zugleich vor mir und sahen theils verwundert, theils bestürzt aus.

Ich fragte ängstlich nach Elisen. »Ach mein Gott!« entgegnete das erschrockene Mädchen. »Ist denn die gnädige Frau nicht bei Ihnen? Sie sagte doch, sie wolle sich bei Wehrheim übersetzen lassen und nach dem Stifte gehen.«

»Wann war das?« fragte ich, »wann ging sie von hier fort?« Beide sahen sich an, und meinten, ein Paar Stunden sei es wohl her. Da müßte sie ja, dachte ich, Weg und Länge der Zeit gegen einander abmessend, schon dort gewesen sein, ehe ich noch von Hause ging. Doch fiel mir Wehrheim, und alles was sich daran knüpft, bei. Sie wird sich dort aufhalten, den neuen Bau besehen.

Ich beschloß sogleich dahin zu fahren. Eilig forschte ich nur noch bei Johanna, wie das Befinden[200] und die Stimmung ihrer Herrschaft gewesen sei? Wie sie die Nacht zugebracht habe? Und ob sie nicht geäußert, weshalb sie mich nicht hier abwartete, da sie doch gewiß sein konnte, ich würde nicht ausbleiben? Was ich erfuhr, mehrte nur meine Besorgniß. Elise hatte in ungleicher, fieberhafter Ueberspannung bis zum Morgen geschrieben, das Geschriebene zerrissen, die Papierschnitzel verbrannt, dann aufs neue, und in größerer Lebhaftigkeit, ein Blatt gebrochen, ihre Gedanken eilig in großen Schriftzügen darauf hingeworfen. Bis sie es zuletzt zu sich steckte, damit zum Fenster trat, als warte sie nur den ab, dem sie es anvertrauen dürfe. Die Wirthin erbot sich unaufgefordert zu jeder ihrer Bestellungen. Elise sah sie gerührt an. »Ich danke,« lächelte sie, so weich und schmerzlich, daß Jener die Thränen noch jetzt von tiefer Rührung in die Augen traten. Darauf legte sie beide Hände auf der Tannenhäuserin Arm, und zog diese näher zum Fenster. Die Hände hätten gebrannt, wie Kohlen, und die Stimme sei stockend gewesen, als sie sagte: »Wissen Sie wohl noch, wie wir, die selige Amtmannsfrau und all die Kinder und ich hier Blindekuh spielten?« Ich verband der lieben Seligen die Augen, da klagte sie: »Nicht so fest,[201] nicht so fest!« Ich lachte und neckte sie, als könne sie die Finger sehen, die ich ihr vorhalte. »Nicht einen Stich,« betheuerte sie, »es ist so dunkel wie im Grabe um mich.« Elise verzog das Gesicht sonderbar, als sie wiederholte: »Dunkel wie im Grabe!« und dann hinzusetzte: »Nun liegt sie schon lange darin! Nachher ward ich Blindekuh! Und –« sie drückte das Gesicht gegen die Scheiben. Sie weinte aber nicht, doch flog ihr die Brust heftig, als unterdrücke sie ihre Thränen.

Nach einer Weile soll sie gesagt haben: sie wolle nun gehen. Es komme doch Niemand. Johanna bezog das auf mich, und entgegnete: ich könne ja kaum erst den Brief haben. Elise schüttelte aber den Kopf, forderte Mantel und Handschuhe, zog den Schleier über den Hut herunter, und verließ mit den Worten das Haus: »seid unbesorgt, ich kenne hier Weg und Steg.«

Liebster Hugo! ich bin darum so weitläufig in Wiederholung aller dieser Aeußerungen, und ihrer begleitenden Nebenumstände, um mein damaliges Dafürhalten zu modiviren, daß jenes erwähnte Blatt an Sie gerichtet, Elise zu dem Gedanken gebracht haben könne, es Ihnen selbst nach Wehrheim hinzutragen, in der Hoffnung, Sie[202] vielleicht dort zu treffen, oder doch Gelegenheit zu schnellerer Besorgung finden zu können.

Wenn man einmal auf einer falschen Spur ist, so rennt man blindlings darauf fort. Meine gewonnene Ueberzeugung jagte mich um so eiliger nach Wehrheim, als ich Elisens Besonnenheit mehr als jemals mißtraute. Aufs Aeußerste betroffen, erfuhr ich indeß hier, daß weder unsere arme Freundin, noch sonst jemand Fremdes seit mehreren Tagen im Orte gewesen sei.

Sollte sie wirklich bei mir sein, dachte ich ganz entsetzt bei der Vorstellung möglichen Zusammentreffens mit der Oberhofmeisterin!

Es lag soviel Unwahrscheinliches hierin. Und doch! Ihre Ungeduld, Nachricht zu haben, die wachsende Angst, der fieberhafte Zustand! Ich ging eilig, mit meiner eigenen Meinung streitend, am Ufer auf und ab. Die Sonne schien warm. Es wehte eine angenehme Luft. Einen Augenblick stehe ich stille, ich sah umher Dörfer und Schlösser liegen jenseits des Stromes. Das neue Dach von des Amtmanns Hause leuchtet besonders hell in dem frischen Morgenlicht. Des Amtmanns Haus! – Gott! wie Schuppen fiel mir's von den Augen. Da ist sie! nirgends sonst wo. In der Nähe von dem Tannenhause, das Kind leidend.[203] – Es war unbegreiflich, daß es mir nicht gleich im Augenblick einfiel.

»Zurück! zurück!« rief ich dem Kutscher zu, jetzt doppelt ein unglückliches Mißverstehen und gehässige Eindrücke für Elise fürchtend.

Es war über das Alles später geworden, als ich es in der innern Erregung voraussetzte. Die unseligen Irrfahrten, die Erkundigungen und Berichte hatten viel Zeit weggenommen. Als ich vor dem Amthofe hielt, saß die Familie schon bei Tisch. Madame Lindhof kam mir entgegen. Sie sah ungewöhnlich erhitzt aus. Aengstlich vermied sie meinen fragenden Blick. »Ist die Frau Präsidentin hier?« flüsterte ich ihr im Aussteigen zu. »Nicht mehr,« lispelte sie leise. »Mein Gott, auch hier nicht mehr!« rief ich ungeduldig. »Verweilt sie denn nirgend so lange, daß ihre Freunde sie treffen!« »Dafür,« entgegnete die sanfte Frau mit bebender Stimme, »wissen Andere, als Freunde, sie zu treffen!« Ich fuhr erschrocken zusammen. »Wo,« fragte ich zögernd, »ist Elise jetzt?« »Mit meinem Sohne nach der Stadt gefahren,« war ihre Antwort.

Verwirrte Ahndungen blitzten mir durch die Seele. Wir traten in das Eßzimmer, Georg sprang auf mich zu. »Wissen Sie schon? Mama[204] ist wieder hier!« jubelte er, die hellen Freudenthränen in den Augen. »Ich reise nun mit Mama,« plauderte er lebhaft fort. »Nicht mit der großen, alten Dame, die Papa schickte.«

Ich nahm die gute Lindhof unter dem Arm, und sie in ein Nebenzimmer führend, bat ich sie, mir ruhig und zusammenhängend zu erzählen, was sich hier zugetragen habe.

Ich erfuhr nun leider, daß gerade das, was ich verhüten wollte, dennoch geschehen war. Elise und die Oberhofmeisterin trafen hier zusammen. Die Letztere, die Zeit meiner Abwesenheit auszufüllen, fuhr hierher, um das Nöthige wegen des Knaben Abholung mit seiner Pflegerin zu bereden. Sie fand Elise dort. Wie sich Beide begrüßten, was verletztes Muttergefühl Beide sagen ließ, wie sie schieden, wozu die Unglückliche jetzt verleitet ward? Ich dränge es in die wenigen Worte zusammen: Elise ist auf dem Wege, eine Klage gegen Eduard, wegen Bruch des Scheidungsvertrags, gerichtlich einzugeben.

Dies Aergerniß muß um jeden Preis hintertrieben werden. Ich beschwöre Sie deshalb, die Unbesonnene aus den Händen ihres schlechten Rathgebers, des Amtmanns, zu retten, sie zur Besinnung, zur Güte und Sanftmuth zurückzuführen. [205] Sie oder Niemand, vermögen es über sie, daß sie nur erst stille stehe, sich sammle, und betrachte, was sie darf, wenn sie auch nicht aufhört zu wollen. Und auch Wollen wird sie nichts Unschickliches, nichts Gewaltsames, da sich wirklich Alles anders verhält, als es sie ihr rasch und heftiges Empfinden erkennen läßt.

Sehen Sie, Eduard hat sich nie des Rechts, über Georg zu bestimmen, vergeben, nur der Mutter Wunsch, ihn bis zum siebenten Jahre der freien und sanften Leitung unserer Nachbarin zu überlassen, in soweit bewilligt, als dies nicht zum Nachtheil des Kleinen auszuschlagen drohe. Jetzt nun, da genaue Erkundigungen den Vater von der wüsten und rohen Lebensweise des Amtmanns in Kenntniß setzten, er hören muß, wie in jenem Hause schlechte Gesellschaft ein- und ausgehe, und auch Georgs Gesundheit sich nicht wieder herstelle, jetzt entschließt er sich, den Knaben zurückzufordern. Er schrieb mir deshalb, setzte alle seine Gründe auseinander, und bat mich, die Mutter darauf vorzubereiten. Ehe ich dies noch vermag, entfernt sich Elise von ihrem bisherigen Aufenthaltsort, sie ist schon auf der Reise, als die Oberhofmeisterin hier ankommt. Geschäfte, den Nachlaß ihrer Tochter[206] betreffend, führen diese zu mir. Der Präsident, genau mit ihren Angelegenheiten bekannt, weiß von ihrem Vorhaben, er benutzt die sichere und bequeme Gelegenheit, das Kind in eine vortreffliche, auf ihrem Weg gelegene Anstalt zu bringen. Sie verspricht es, und trifft ihre Vorkehrungen, ohne Elise kränken zu wollen, ohne selbst von ihrem geglaubten Rechte zu wissen.

Ich lege Ihnen natürlich und einfach vor Augen, was sich eben so natürlich und einfach zutrug, und nur auf der Oberfläche die gemischte, störende Farbe trägt.

Ich gestehe, daß wie die Sache unter dem ungünstigsten Zusammentreffen von Umständen erscheint, Elise Härte und Willkühr darin finden kann. Allein wäre dem auch so, sie muß es dulden. Sie darf durch keine öffentliche Handlung hervortreten, am wenigsten durch einen Schritt gegen Eduard, um die Welt nicht auf's Neue an sich zu erinnern.

Ich weiß nicht, ob Sie diese Meinung theilen? Das aber darf ich versichert sein, Sie werden das Laute, Ungeziemende jeder Handlungsweise mißbilligen, und gern behülflich sein, kranke Leidenschaftlichkeit in die Gränzen sanften Widerstandes zurückzuführen.[207]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 199-208.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Resignation
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation: Werke und Schriften 5

Buchempfehlung

Platen, August von

Gedichte. Ausgabe 1834

Gedichte. Ausgabe 1834

Die letzte zu Lebzeiten des Autors, der 1835 starb, erschienene Lyriksammlung.

242 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon