22.

[233] Die nützliche Unterweisung der sieben weisen Meister, wie Pontianus der König zu Rom seinen Sohn Diocletianum den sieben weisen Meistern befiehlt, die sieben freyen Künste zu lernen, und wie derselbe hernach durch Untreu seiner Stiefmutter siebenmal zum Galgen geführt, aber allezeit durch schöne Gleichnisse der sieben Meister vom Tode errettet, und ein gewaltiger Meister zu Rom ward. Sehr lustig und nützlich wider der falschen Weiber Untreu zu lesen. Ganz von neuem aufgelegt. Nürnberg.


Wir nähern uns, indem wir zu den sieben weisen Meistern übergehen, einem Werke, das durch graues Alterthum uns Ehrfurcht abgewinnen muß; das ursprünglich ausgegangen von den indischen Gebürgen, dort vor uralten Zeiten als ein kleines Bächlein niederrann; das dann durch Asiens weite Felder immer mehr westwärts sich ergoß, und durch manche Jahrtausende hindurch, und wie es immer weiter drang durch Raum und Zeit bis hin zu uns immer mehr anschwoll; aus dem ganze Generationen und viele[233] Nationen getrunken haben, und das mit dem großen Völkerzüge nach Europa übergieng, und nun auch in unserer Zeit und unserer Generation ein so bedeutendes Publicum sich verschaffte, daß es in Rücksicht auf Celebrität und die Größe seines Wirkungskreises die heiligen Bücher erreicht, und alle Classischen übertrifft. Man kennt den Inhalt dieses Buches. Der Kaiser Pontianus übergiebt seinen Sohn den Meistern, damit sie ihn in den freyen Künsten unterweisen; sie nehmen ihn mit sich nach Athen und besorgen seine Bildung. Der Jüngling wird weise und in Künsten erfahren; nach sieben Jahren ruft der Kaiser ihn an den Hof zurück, und er ließt in den Sternen, wie dort eine große Gefahr seiner warte, die er dadurch nur abwenden möge, daß er während sieben Tagen unverbrüchliches Stillschweigen bewahre. Er kehrt nun zu seinem Vater zurück, begleitet von seinen Meistern. Der Kaiser erstaunt Anfangs, und wird dann höchlich entrüstet über seine unerklärbare Stummheit. Die Kaiserinn, seine Stiefmutter, verliebt sich indessen in ihn, und weil er ihre Zumuthungen abweißt, wird sie erbittert, und verklagt ihn beim Kaiser als Ehebrecher, der ihn nun, weil er sich nicht rechtfertigt, zum Galgen verdammt. Siebenmal soll dies Urtheil vollzogen werden, und jedesmal begegnet dem Ausgeführten Einer der sieben Meister, und wendet die Vollstreckung ab durch eine Erzählung, die er dem Kaiser macht, der dann jedesmal die Kaiserin eine Andere entgegensetzt, und dadurch den Kaiser, den die Vorige zu Gunsten des Verurtheilten entschieden hatte, wieder umstimmt zur neuen Verdammung, so daß der Prinz sieben Tage immerfort zwischen Tod und Leben schwebt, bis er endlich am achten Tage, wo die Sterne zu reden ihm erlaubt, seine Sprache wieder gewinnt, und dann die Schande der Kaiserinn aufdeckt, indem er eine ihrer angeblichen Hoffräulein entkleiden läßt, die nun als Mann befunden wird. So entstehen daher vierzehn verschiedne Novellen, durch jenen losen Faden nur zusammengehalten, denen denn nun noch die Fünfzehnte, die der gerettete Prinz erzählt, sich anschließt. Die Meisten darunter sind durchaus vortrefflich, Viele in die spätern Novellensammlungen aufgenommen, Alle gut erfunden, und anspruchslos erzählt. Die Neunte, wie Kaiser Octavianus von den Römern seines Geizes wegen lebendig begraben worden, herrlich; die mit den Bildern auf dem Thurme, den Brunnen und dem ewigen Feuer von einem wunderlich reizenden Zauber befangen; Galenus von Hippocrates getödtet, astrologisch, seltsam wie ein anatomischer Saal mit Gespensterleichen; die Dreizehnte von der Königinn im Thurme, gediegen komisch und vollendet; die Fünfzehnte phantastisch, keck und gut gedacht und erzählt. Am Ende nachdem die Geschichte alles Interesse für ihren Helden erweckt, schließt sie abbrechend: »Unlängst hernach starb der Kaiser, und regierte sein Sohn Diocletianus nach ihm, welcher seine sieben weisen Meister in großen Ehren bey sich behielt, und wegen seines hohen Verstandes jedermanns Gunst und Liebe erlangte. Sonst war er ein grausamer Tyrann, welcher mit Maximiniano die Christen zwanzig Jahre auf das schrecklichste verfolgte, hernach im 68sten Jahre ward er durch Gift hingerichtet. Also gehen die Tyrannen und Wüteriche mit Erschrecken zu Grund, und nehmen ein erbärmliches Ende.«[234]

Wie sehr das Buch schon im Mittelalter in allgemeinen Umlauf war, beweißt die beinahe wörtliche Aufnahme desselben in die Gesta romanorum. In der teutschen Ausgabe dieses Buches, gedruckt von H. Schobser in der stat Augsburg 1489, findet sich gleich Anfangs auf dem XVIten Blatte von der Römer »abgot mit dem guldin apfel das virgilius gemacht hat«. Dann folgt von »Dyocleciano, den sein vatter ertödt wolt haben nach verklagung seines weibes und in sein siben maister bey dem leben behüben, und die maister behüben sich auch bey dem Leben mit ir Weyßheit«, – und dann vom 36sten Blatte an der Volksroman beinahe wörtlich, nur daß in dem alten Buche die Sprache gediegener und weniger schleppend, geziert und steif erscheint. So wird z.B. die Geschichte, wie die sieben Meister ihren Lehrling prüften, ob er unter ihrer Pflege an Weisheit und Verstand zugenommen, so erzählt: »Do sprachen sy under einander unß deuchte gut, wir versuchten, wye unser junger gelernet hette, und wye er antwurten künde über unser frage«. Do sprach Tantillus (Bancillus im Volksbuche): nun wie versuch wir das; do antwurt im Katho, und jeglichen Zipfel seinis pedtes legen wir ein Lorberpaumblat, so werden wir innen, was er kan. De geschahe also, die weile er schlieff, und do er erwachet, da plickt er fast über sich auf, das ersahen dye Maister, die fragten in, warumb er also aufsähe. Do sprach er daz ist nicht ein wunder. aintweder die höhe d' Kammer hat sich genaigt, oder das erdtrich und mir hat sich erhebt. Do sy dz horten, do sprachen sy, lebt das Kind lenger, er wirt weiß.1 So spielt die Geschichte fort, der Prinz kehrt zurück, wird zum Tode ausgeführt; die erste Novelle der Kaiserinn von dem Baume[235] und dem Schößling fehlt, und nun erzählt der Meister Tantillus die Erste von dem Hunde und dem Falken. Blatt 41 folgt dann, ohne daß die Geschichte fortgeführt wird, das dritte Beyspiel der Kaiserinn im Volksbuche unter dem Titel: »von einem Ritter, der zu großer Armut kummen wz, den sein aigner sun das haubt in dem turen abschlug, damit er sich selber fristet vor dem Tod«. Dann folgt Blatt 43, das fünfte Beyspiel der Kaiserinn, wie Octavianus wegen seines Geizes von den Römern lebendig begraben worden. Weiter Bl. 44 das fünfte Beyspiel der Kaiserinn von einem »Künig der waz ein haiden, der wolte zu rom Sant Peter und Sant Pauls Leichnamm gestohlen haben, und wollte die hinweg haben gefürt«. Dann bricht das Ganze ab mit einer fremden Novelle von Hannibal. Später Blatt 56 folgt erst wieder von einem »Keiser ze Rom, der hete siben Maister, die prachten im zewegen mit ir Zauberkunste, das er rechtwol gesahe in dem Pallast, aber auswendig gar nichts«, die vierte Novelle der Kaiserinn. Die fünfzehnte Novelle aber, so wie sie viele Aehnlichkeit mit dem alten teutschen Gedichte, »der gute Heinrich« hat, so hat sie auch insbesondere wieder zu einem andern Heldengedichte von Conrad von Wirzburg den Stoff hergegeben, von dem er sagt, daß er ihn aus dem Lateinischen genommen habe, nämlich: »Eine schöne Historia von Engelhart aus Burgunt, Herzog Dieterichen von Brabant seinem Gesellen, und Engeldrut des Königs Tochter auß Dennmark, wie es ihnen ergangen, und was jammers und not sie erlitten, ganz lustig und kurzweilig zu lesen. Francfurt am M. 1573«. Auch hier streitet Einer der beiden Freunde für den Andern, Einer feyert Beylager mit der Braut des Andern, mit zwischengelegtem Schwerdt, und Dieterich bekömmt die Misselsucht (den Aussatz), wo dann Engelhart seine beiden Kinder für ihn schlachtet, die zuletzt wieder lebendig werden, aber jedes mit einem rothen Faden um den Hals.

Aus allem dem ergiebt sich, daß der Ursprung des Romanes tief in die alten Zeiten fällt, und wirklich findet man allgemein seinen nächsten und unmittelbaren Ursprung in einem griechischen Romane Dolopathos, den man in den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts versetzt. Das war der Titel eines griechischen Manuscriptes, das Huet besaß, in dem die Abentheuer, wie sie das Volksbuch dem Diocletianus zuschreibt, von Syntipas, einem Sohne des Königs von Persien, erzählt werden, und die Verfertigung des ganzen Werkes einem Christen mit Namen Moises beigelegt wird. Dieser Roman wurde dann von einem Mönche aus der Abtey Haute-Selve, mit Namen Don Giovanni oder Dam Jehans ins Lateinische unter dem Titel: Dolopathos, oder die sieben weisen Roms übersetzt, und dies Werk findet sich noch auf einigen Bibliotheken als Manuscript. Ins Französische wurde dann ebenfals der Roman übertragen, von dem Mönch und Dichter Hebert, der unter Ludwig VIII., dem Vater des Heiligen, blüthe, und gegen 1206 diese Uebersetzung unternahm. Unter dem Namen: Le Livre de sept sages de rome en vers, findet sich von diesem Werke eine Copie auf der Pariser Bibliothek. Um dieselbe Zeit oder nicht viel später wurde er auch wieder in französische Prosa von einem Andern übertragen, und auch davon findet sich auf derselben Bibliothek eine Abschrift unter dem Titel: Histoire de sept[236] sages et de Marc fils de Caton. Ins Teutsche wurde er später übersetzt, und die älteste gedruckte Ausgabe in dieser Sprache, die Koch anführt, ist von 1474. Im Italiänischen aber erschien das Werk 1542 unter dem Titel: Avvenimenti del principe Erasto. Venet. und dann von neuem wahrscheinlich unmittelbar aus dem Dolopathos, unter dem Namen: Erasto e i suoi compassionevoli Avvenimenti, opera dotta e morale di greco tradotta in volgare; – eben so ins Spanische: Historia del Principe Erasto Hijo del emperador Diocleziano traduzida de Italiano. Anversa 1573, und ins Englische: The seven wise masters, und überall in zahllos vielen Ausgaben, so daß also das Buch seit dem zwölften Jahrhundert beynahe in den Händen aller europäischen Nationen in allgemeinem Umlauf war. Fragt man aber wieder nach der Quelle, aus der Dolopathos geschöpft, dann wird man abermal weiter zurückgetrieben, und versichert, das Werk sey ganz aus einer Parabel des Indiers Sandeber genommen, und zunächst ins Hebräische übersetzt, daraus ins Arabische, Syrische, und dann endlich in's Griechische. Betrachtet man diese Angabe genauer, dann findet man, daß hier die Rede von den alten Fabeln des Pilpai oder Bidpai ist, in denen ein indischer König Disles einem seiner Philosophen Sendebar, der alle Anderen an Weisheit übertraf, Fragen vorlegte, die dieser in Parabeln und Erzählungen beantwortete, die in dem Buche dann gesammelt und der Nachwelt aufbehalten sind. Das aber ist die Geschichte dieses Buches, wie der erste persische Uebersetzer im Lateinischen des Johannes de Capua sie erzählt. In den Tagen der Könige von Edom, war ein König Anastres; dieser hörte, in Indien seyen Berge, auf denen Kräuter wüchsen, mit denen man, wenn sie gesammelt und zubereitet würden, Todte erwecken könne; er schickte daher einen Diener und Philosophen Berosias an die Könige von Indien mit vielen Geschenken, um dort die Kunst zu lernen. Dieser zog hin, hielt zwölf Monate da sich auf, sammelte alle Bücher, bereitete die Arzneien; als er aber nun Todte auferwecken wollte, mogte es ihm nicht gelingen. Er wurde traurig darüber, und getraute sich nicht zurückzukehren; da sagten ihm die Weisen des Landes, wie es ihnen nicht anderst ergangen sey, bis sie eine Erklärung in einem gewissen Buche der Weisheit gefunden hätten, wie nämlich alles allegorisch zu nehmen sey; die Berge seyen die Weisen, die Pflanzen Wissenschaft und Erkenntniß, die Arzneyen Bücher, die zu erweckenden Todten aber die Unwissenden. Da er das hörte, suchte er das Buch auf, und übersetzte es aus dem Indischen ins Persische, und als er zurückkehrte, freute sich der König sehr, und unterstützte von nun an die Wissenschaften, und legte Bibliotheken an. Diese Schrifft, in den neuesten Zeiten im Jahre 1804 in Calcutta von neuem in der Originalsamscritsprache mit indischen Lettern in 4. gedruckt, unter dem Namen Hitô padesa von dem Braminen Wischnu Sarma verfaßt, ist nun das Envvarisuhejli der Perser; der Berosias ist Buzrvieh oder Parzon, Arzt des Cosroes oder Ruschirvan, der ihn nach Indien sandte; die Periode der Uebersetzung endlich etwa das Jahr 530. Das Buch gieng sodann um 760, unter dem Kalifen Almansor, mit dem Titel: Calilah va Dimnah ins Arabische über, wurde weiterhin ins Türkische unter dem Namen: Humajun[237] name, das Eine und das Andere, aus jenem alten Persischen übertragen; dann wieder in's Syrische unmittelbar aus dem indischen Original2, weiter eben so chaldaisch, und hebraisch durch den Rabbi Joel, und daraus lateinisch durch Johann von Capua um 1262, unter dem Titel: Directorium humanae vitae, alias Parabolae antiquorum sapientium. Früher aber schon, um das Jahr 1100, hatte es der Mönch Simon Sethus für den Kaiser Alexius Commenus unmittelbar aus dem Arabischen in das Griechische übersetzt. Der Uebersetzer schrieb dabei die ersten 9 Capitel dem Philosophen Secundus, einem Athenienser, der zu Hadrians Zeiten lebte, und durch die Schärfe seiner Antworten aus dem Stegreife auf die Fragen des Kaisers sich auszeichnete, obgleich mit Unrecht, zu. Eben so nur etwas später um 1251 gieng das Werk aus derselben arabischen Uebersetzung unmittelbar in das Spanische über, gleichfalls unter dem Titel: Libro de Calila e Dimna, und nun verbreitete es sich durch alle diese Wege, hauptsächlich auf dem des Lateinischen in die Abendländer. Und zwar gieng das Buch in das Italiänische durch das Spanische, ins Englische durch das Italiänische, in's Lateinische wieder aus dem Griechischen durch den Jesuiten Poussin, in's Französische aus dem Neupersischen, das um 1493 unter dem Namen Anvar Schaili erschienen war, aus dem Türkischen von neuem in's Spanische, endlich unmittelbar aus dem Samskrit durch Wilkes 1787 wieder in das Engelländische über, so daß dies interessante Buch nach und nach die Reise durch den größten Theil der alten Welt gemacht, von einem Geschlechte immerfort auf das Andere vererbt, und von jedem hoch gehalten und werth geachtet. Auch in der teutschen Literatur hat es frühe schon sich eine große Celebrität verschafft; aus dem Lateinischen übersetzt erschien es 1483 zuerst, und später 1548 unter dem Titel: »Der altenn weisenn Exempel, sprüch und Underweisungen, wie sich einem jeden frommen, ehrliebenden vor der untreuwen, hinderlistigen, geschwinden bösen Welt und Weltkindern zu hüten, vorzusehen, auch Weisheit und Vorsichtigkeit daraus zu lernen, durch schöne alte Beyspiel und weltweise Lehren unvergrifflich uff historien der Gethier gewendt und fürgestellt.« Sieht man auf den Inhalt des Buchs, dann findet man in ihm auf jedem Blatte das Wesen und den Geist der Zeit, in der es entstanden ist. Da der Verstand noch jung war und die Abstraction, und kindisch sie sich über ihr kindisch Lallen freuten; da der, welcher einen einfachen Sittenspruch oder eine moralische Sentenz neu in sich gefunden hatte, als Weiser galt, und die Bewunderung seiner Nation auf sich lenkte: da mußte dies Werk als ein geniales, als ein übermenschliches[238] Product erscheinen, und die vielen Moralitäten und Weitschweifigkeiten, die uns wohl langweilig vorkommen, mußten der einfältigen Zeit wie Göttersprüche tönen. Aber was uns noch immer genial erscheint, weil es nun hinter uns liegt, und wir es in der Eile unserer Bildung überflügelten und verlohren, das ist jene schöne unschuldige Naivetät in der Erfindung und der ganzen Behandlung der meisten Fabeln und Erzählungen; jene kindliche Unbefangenheit, in der wir doch durchaus erwachsene und wieder sehr männliche Menschen umwandeln sehen, und dabei die Ehrlichkeit und das Treuherzige Trockne in der Art wie sie sich ankündigen, was aber keineswegs wieder öftere Aufblitzungen einer dichterischen Phantasie erstickt.3 Betrachtet man aber nun das Werk in seiner Beziehung auf das Volksbuch, dann findet man, daß zwar Keines unmittelbar in dem Andern enthalten sey, daß aber der Plan und die Bearbeitung der sieben weisen Meister ohne allen Zweifel von Kelilah und Dimna hergenommen ist. Im zehnten Kapitel nämlich träumt ein indischer König Sedras, es ständen zween rothe Fisch vor ihm auf ihren Schwänzen, und zween Wasservögel flögen nacheinander und fielen ihm in seine Händ; eine Schlange gieng ihm durch seinen linken Fuß; sein ganzer Leib wäre naß von Blut, und er wüsche ihn mit Wasser; er aber stände auf einem weissen Berge, und sähe bey seinem Haupt eine feurige Säule, und dabei einen weissen Vogel, der hacke ihm in sein Haupt. Und er fragte die Weisen und Traumdeuter um Rath, die waren aber alle aus einer Stadt, die er vorher bekriegt und belagert, und worinn er 12000 erschlagen hatte. Diese berathen sich daher, und beschließen, diese Gelegenheit zu benutzen, um sich zu rächen, und ihm sein bestes Schwerdt und seinen weissen Elephanten abzufodern, und sein treustes Gemahl, Hellebat die Königin, und seinen Geheimschreiber, und Billero seinen Rath und Feldherrn, und Kymeron seinen heiligen Freund, zum Tode zu begehren. Als der König auf diese Zumuthung niedergeschlagen wird, forscht ihn Billero über den Grund seiner Trauer aus,[239] und die Königin warnt ihn vor den Weisen, und räth ihm zu Kymeron zu gehen, und ihn um die Deutung des Traums zu bitten. Der König folgt dem Rath, und der weise Mann erklärt ihm, wie die rothen Fische die Könige von Arabien und Emlach bedeuteten, die ihm Geschenke von Edelsteinen senden würden, und die Wasservögel den Kaiser von Griechenland, der ihm zwei Pferde überschicke; die Schlange aber den König von Tharsis, der im Begriffe sey, ihm das beste Schwerdt auf Erden zu verehren; der blutbefleckte Körper deute auf ein roth Purpurkleid, das der König von Seba schicken würde; der weisse Berg einen weissen Elephanten des Königs von Edom, die feurige Säule aber eine goldne Krone des von Edar; den Vogel aber wollte er ihm nicht deuten. Der König gieng hin, und nach sieben Tagen wurde Alles erfüllt, und die Gesandten kamen und brachten die Geschenke, die er unter seine Hofleute vertheilte. Die Königin aber wählt sich gegen Billero's Rath die Krone, und der Beischläferin wurde das Purpurkleid zu Theil. Nun aber hatte auf einen Abend Hellebat dem Könige ein Essen bereitet von Reis in goldner Schüssel; und nun kam das Kebsweib im Purpurkleid gegangen, und gefiel dem König mehr als die Königin in ihrer Krone; und er verwieß es ihr, daß sie nicht lieber das Kleid gewählt habe. Diese aber, erbittert aus Eifersucht, nahm die Schüssel mit den Speisen, und schüttete sie dem König auf sein Haupt, und das war der weisse Vogel, den Kymeron nicht deuten wollte. Der König erzürnt, übergab sie dem Billero, daß er ihr das Haupt abschlagen solle; dieser aber bestrich sein Schwerdt mit dem Blute eines Lammes, und gab bei'm König vor, er habe sie getödtet. Der König aber wurde bald traurig und betrübt der bösen That wegen, und er machte Billero Vorwürfe, daß er seinem Befehl gefolgt, der ihm endlich entdeckt, daß die Königin noch lebe, die nun bei ihm in großen Freuden blieb; die Weisen aber wurden verbrannt. Man sieht in wie naher Beziehung diese ganze Erzählung zu dem Volksbuch steht, aber außerdem sind noch zwei ganze Novellen in ihm beinahe wörtlich aus dem indischen Buch genommen; die Erzählung von dem Weibe und der Krähe nämlich, und die Novelle vom Hunde und der Schlange. Es ist daher begreiflich, wie man zu dem Ausspruch gekommen, der Dolopathos sey aus dem Indischen übertragen, besonders wenn man außerdem noch auf die ganze Einrichtung des Buches selbst reflectirt, in dem immer der König von seinem Weisen alle die verschiednen Novellen und Fabeln sich erzählen läßt. Es ist daher wohl außer allem Zweifel, daß der Verfasser des Dolopathos jenes ältere Buch bei der Verfertigung des Seinigen vor sich liegen hatte, daß er in ihm die erste Idee seines Werkes faßte, und daß er einen Theil seines Inhaltes in dasselbe übertrug, und das Ganze dann mit andern fremdartigen Zusätzen zu der gegenwärtigen Form verband.4 Wie auf diese Weise der Dolopathos aus dem Orient herüberkam, so scheint er auch bald wieder vom Occident rückwärts gegen den Osten sich verbreitet zu haben. Die Sultanin von Persien, die Schech Zade, Lehrer des Kaisers[240] Amurat II, der um 1481 starb, geschrieben hat, befolgt nämlich ganz den Plan und die Form der sieben weisen Meister. Der König Hafekin hat einen Prinzen Nusgehan, und heiratet in seinem Alter zum zweitenmale die Prinzessin Kan Zade, die den Prinzen zu verführen sucht, und da ihr das nicht gelingen will, ihn bey'm Könige verklagt, der ihn zum Tode verurtheilt. Vierzig Tage aber dauert hier das gebotene Stillschweigen des Prinzen, vierzig Geschichten erzählt daher Kan Zade um ihn zum Tode gu bringen, vierzig Andere die Vezire, denen es endlich auch gelingt, ihn zu erretten.

Sonderbar in der Geschichte dieses Buches, und recht characteristisch bezeichnend den Fortgang der Bildung des Geschlechtes ist daher besonders die Erscheinung, daß während es in seiner ersten Form und selbst noch in seiner spätern griechischen Erscheinung das Buch der Könige war, und die Fürsten es als Vademecum brauchten und schätzten und liebten, es itzt zum Volksbuch geworden, in den untersten Ständen vor der Vergessenheit und dem Untergange sich gerettet hat.

1

Zum Beweise, in wie mannigfach verschiedenen Formen dieselbe Sache in verschiednen Zeiten und unter andern Umständen wiederkehrt, mag die Erzählung ähnlichen Gehaltes dienen, die M. d'Aunoy in ihren Reisen nach Spanien Th. III. p. 64 mittheilt. Es habe sich einst, erzählt sie, ein berühmter Sterndeuter beym verstorbnen König (Philipp IV.) auf der Terasse des Schlosses befunden, und der König habe gefragt, wie hoch wohl dieser Ort sey? Der Sterndeuter habe zum Himmel hinaufgesehen, und eine bestimmte Höhe angegeben. Der König habe befohlen, daß man den gepflasterten Boden der Terasse um drei bis vier Zoll erhöhen solle, und man habe die ganze Nacht daran gearbeitet. Am folgenden Morgen ließ er den Sterndeuter rufen, führte ihn auf die Terasse, und sagte zu ihm: »Ich redete gestern Abend von dem, was ihr mir von der Höhe dieses Orts gesagt habt, aber man behauptete, daß ihr Euch geirrt hättet«. »Ihre Majestät«; sagte dieser, »ich unterstehe mich zu behaupten, daß ich mich nicht geirrt habe«. »Machet euere Beobachtungen noch einmal«, sagte der König, »und dann wollen wir die beschämen, welche sich rühmen, geschickter zu seyn als ihr«. Er fieng alsbald an, seine Beobachtungen zu machen. Der König sah, daß er die Farbe veränderte, und sehr in Verlegenheit war. Endlich wendete er sich wiederum zum Könige, und sagte: »Was ich gestern Ihro Majestät versicherte, ist wahr gewesen; heute aber finde ich, daß die Terasse ein wenig höher, oder der Himmel ein wenig niedriger ist«. Der König lächelte, und sagte ihm, was er ihm für einen Streich habe spielen lassen.

2

Abraham von Echeln in dem Catalog. Librorum Chald. sive Syriacorum, sezt bei der Stelle des Katalogs, wo es heißt: »Bud Peridiotae exstant orationes de fide, nec non adversus Manichaeos, praeterea quaestiones graecas, nuncupatus Alpha Miglun, interpretatus etiam est ex indico Idiomate librum Calaileg et Damneg,« die Glosse hinzu: »Liber iste tribuitur Isamo quinto Indorum Regi, de quo sic Ismael Sciahinsciah in historia gentium. Isamus et est ille, qui composuit librum Calilah et Damnah. Idem affirmat caelibi librum hunc arabici juris factum fuisse, trecentis ante Alexandrum Macedonem annis.«

3

Was Alatius in seinem Buche de Simeonis scriptis von ihm sagt, ist im Bösen daher zu scharf, im Guten hingegen zu schwach ausgesprochen. Legi ejusdem (Simeonis Sethi) habeoque penes me narrationem indicam, Perzoo medico in gratiam Chosroes regis in perside ex indica lingua in arabicam translatam, quam postea Sethus ex arabica in graecam convertit, cui et praefationem de Auctore Operis, illiusque inventionem attexuit. Dividitur in quindecim sectiones. In duabus primis Stephanitae et Ichnilatae historiola finitur, in reliquis aliunde, et ex aliis animalibus fabulae confinguntur. Dictio pedestris, humilis, hiulca, saepe barbara, inconcinna, omnia e trivio, sententiae graves, spissae, fabellae non insuaves, rebus accomodatae, vegetae, evidentes, frequens tamen earum, sicuti et sententiarum, usus narrationem saepissime obstruit, et lectorem turbat. Est nihilominus et Syntipa persa et Erasto, dictione et sententiis caeterisque omnibus accuratior, et brevitate Discursuum et fabularum acutior: proemio et introductione nimis prolixa, affectataque narrationum superaggestione molestior Wörtlich so würde ein heutiger gewöhnlicher Rezensent etwa urtheilen, und beym größten Rechte das höchste Unrecht haben.

4

So ist die vierzehnte Erzählung die Matrone von Ephesus, die Xenophon, im fünften Buche seiner Ephesiacorum erzählt.

Quelle:
Joseph Görres: Die teutschen Volksbücher, in: Joseph Görres, Gesammelte Schriften, Band 3: Geistesgeschichtliche und literarische Schriften I (1803–1808). Köln 1926, S. 233-241.
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