3.

[102] Wenn übers Schneefeld mit Gebrause

Des Neujahrs rauhe Stürme ziehn,

Wie lieblich ist's, im sichern Hause

Die Glut zu schüren im Kamin!


Nun darf das Herz sich frei gehören,

In seine Tiefen kehrt es ein,

Und Geister lernt's emporbeschwören,

Genossen seiner Rast zu sein.


Kommt denn mit unhörbaren Tritten,

Ihr Helden längst verschollner Zeit!

In falt'ger Toga kommt geschritten,

Im blutbeströmten Panzerkleid!


Ich seh' auf euren narb'gen Zügen,

Im Auge, das verfinstert droht,

Die Spur von hohen Tatenflügen,

Von wildem Glück und jähem Tod.


Und wenn mir eure Kränze sagen,

Daß Ruhm und Sieg euch einst gelabt,

Ahn' ich zugleich, was ihr getragen

Und stolz der Welt verschwiegen habt.


Vielleicht, daß durch der Muse Walten,

Wie ihr mir ernst vorüberschwebt,

Vor einer plötzlich der Gestalten

Mein schweigend Saitenspiel erbebt,[102]


Und wie sich Klang gesellt dem Klange,

Wie Bild um Bild sich reich enthüllt,

Ein groß Geschick mir mit Gesange

Die lange Nacht des Winters füllt.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 102-103.
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