Die Lachswehr

[188] 1857.


Du stiller Garten, der den schattigen Ulmengang

Im blauen Flusse spiegelt, wo zur Frühlingszeit

Die Nachtigall ihr tönend Nest am Wasser baut,

Wie lieb' ich dich! Und immer, wenn zur Vaterstadt

Mein Weg mich heimführt, such' ich dich vor allem auf:

Denn deine Pfade reden mir, und lieblich weht

Aus deiner Lauben Dunkel mich Erinnrung an.

Zwar längst verschwunden ist der zierlich steife Prunk

Geschornen Laubwerks; wo ich an der Blätterwand

Durchbrochner Hecken oft mit buntem Kies gespielt,

Da blüht auf offnem Rasenplatz die Rose jetzt,

Und frei zur Wiesenlandschaft und die Krümmungen

Des Stroms entlang zum Eichenhügel schweift der Blick.

Doch immer rauschen deine hohen Wipfel noch,

Noch immer streckt sich, buntbeflaggter Kähne Ziel,

Gestuft aufs Wasser dein Altan, von dem ich einst,

Fünfjährig, spielend in des Flußgotts Arme glitt,

Sein sichres Opfer, wenn den schon Gesunkenen

Des treuen Bruders Taucherkunst nicht rettete.

Sei ihm dafür nach sechsunddreißig Jahren heut

Der fromme Dank erstattet, den ich dazumal

Vergaß, nicht ahnend, welch Geschenk das Leben sei.

Das lernt' ich erst, als mein erwachend Knabenherz

Gewalt'ger pochte, wenn ich dort am Gitterwerk

Zum Nachbargarten lauschend stand, ob nicht ein Ton,

Ein rosig Kleid nicht, schimmernd durchs Jasmingebüsch,

Des liebsten Mädchens Nähe mir verkündete.

Denn dort im ländlich weinumrankten Giebelhaus

Wohnt' ihr die Freundin. Selten kam die Liebliche,

Doch allgewaltig trieb mich stets die Hoffnung her.[188]


So träumt' ich manchen Sommerabend hier entlang

Am stillen Ufer, in der Brust unendlicher

Gefühle Dämmrung: und wenn nun das Abendrot

Mit leisem Zittern auf dem feuchten Spiegel schwamm,

Versucht' ich, von der Muse frühem Hauch berührt,

Was unaussprechlich war, zu sagen. Nie gelang's,

Doch selig war dies Stammeln, wie die Jugend selbst.

Ach, als ich später, schon gebräunt von Griechenlands

Glorreicher Sonne, die mich reifere Kunst gelehrt,

Hier wieder hinschritt, hatt' auch schon des Lebens Ernst

Mir vom Gemüt den Flaum gestreift: versunken war

Die goldne Frühe jenes ersten Liebesglücks,

Und beßre Lieder sang ich, aber schmerzerfüllt.

Da lernt' ich jene Tage kennen, die so schwer

Dem Jüngling lasten, wenn der frohe Blütenschmuck

Nun abgefallen, doch noch nicht die Frucht gereift,

Die Zeit des bangen Wartens und der Einsamkeit.

Bestürmt von Zweifeln rang ich damals, o wie oft,

Umsonst nach Klarheit in mir selbst! Verfehlt erschien

Mir all mein Streben, Täuschung selbst der Muse Ruf,

Der immer wieder lockend an mein Herz erging:

Und wenn ich dann, von hast'ger Arbeit tief erschöpft,

Hier Stille suchte, fand ich heiße Tränen nur,

Wie sie auf öder Klippe weint, wer scheiterte.

Doch Rettung sandte mir ein Gott. Du riefest mich,

Mein wackrer Malsburg – Segen deiner Gruft dafür! –

Gastfreundlich in dein waldumrauschtes Escheberg,

Und dort auf sonn'gen Höhn mich lüftend, losgelöst

Vom kleinen Druck des Lebens, lernt' ich mächt'ger bald

Die Flügel rühren und der eignen Kraft vertraun.


Gesangerfüllte Wanderjahre lebt' ich nun,

Durch Freud' und Leid vom Lied getragen. Rhein und Spree

Und Neckar grüßt' ich und zuletzt den Oderstrand,

Wo hoch im alten Ehrenschmuck die Eiche grünt.

Doch wo ich weilt', in vielbewegtem Stadtgewühl,[189]

Auf stillem Landsitz: immer wieder strebte mir

Das Herz zur Heimat, immer wieder sucht' ich euch,

Traumstätten meiner Jugend, auf, als müßt' ich hier

Der Wünsche Ziel einst finden und mein höchstes Glück. –


Und so geschah's. Nach manchem Jahre schautet ihr,

Ins goldne Licht des scheidenden August getaucht,

Ihr alten Wipfelkronen, meinen Ehrentag.

Da saß ich droben im bekränzten Gartensaal,

Ein sel'ger Mann, und rings an froher Tafel hin

Die Schar der Lieben, Haupt für Haupt, und neben mir

Im Schmuck der Myrte holderglüht die süße Braut,

Die mir Beglücktem an des Herbstes Grenze noch

Den vollen Frühling ihrer jungen Seele gab.

Da sang zum Becherklang das Waldhorn, Segen floß

In Scherz und Ernst von allen Lippen, und mein Herz

Voll Dank aufjubelnd faßte seine Wonne kaum,

Ach, sonder Ahnung, daß auch diese Seligkeit

Dahingehn sollte wie ein rascher Sommertag.

Doch was auch kam, und ob des Lebens Kleinod mir

Zu früh geraubt ward: einmal war's mein eigen doch,

Das höchste Glück, und unvergänglich blüht von ihm

Ein sanfter Nachglanz mir in tiefster Seele fort

Und lehrt mich klaglos tragen, was ich tragen muß.


Du aber, trauter Garten, der du frischbelaubt

Dich wie ein Kranz um meines Lebens Bilder schlingst,

Sei mir gesegnet! Immer dichter wölbe sich

Dein schattig Grün, und weit bis auf den Fluß hinaus

Im Windesodem walle deiner Rosen Duft!

Und wenn mein Kind nun, wo ich mit der Mutter einst

Beglückt dahinschritt, wenn mein blondes Töchterchen

Zu meinen Füßen im besonnten Grase spielt

Und Blumen pflückt, dann rührt euch schauernd über ihm

Und rauscht, ihr hohen Wipfel, rauscht ihm Träume zu

Glücksel'ger Zukunft, aber mir Erinnerung!

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 188-190.
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