An Denselben

[315] Ich hätte gern, o Freund, mit dir gespeist heute,

Und frohen Muts bei perlenreichem Schaumweine

Der Zeit gedacht, da wir im attischen Ölwalde

An herberm Trunk uns labten aus dem Pechschlauche.

Auch hätt' ich willig dir von hundert Torheiten

Erzählt, wie mir im schwangern Haupte buntfarbig

Ein ganzer Rattenkönig sitzt von Lustspielen.

Du aber wärst vielleicht, dafern ich scherzweise

Mich Zeus vergleichen darf, in ros'ger Weinlaune

Hephästos worden, meines Kopfes Hebamme.

Doch andres sannest du, und andern Pfad wählet

Die Hore. Denn es lud der malereikund'ge

Breitstirn'ge Freund mich gestern schon zum Gastmahle;

Und sicher wär' es mißgetan, durch Ausbleiben

Sein hold Gemahl zu kränken, der ich dienstwillig

Zu Füßen legt' ein halbes Dutzend Auflagen.

Drum mußt du heut bei Tafel, statt an Versrhythmen,

Mit deinem Bruder dich erfreun an ernsthaftern

Indogermanischen Sprachvergleichungsgrundsätzen.

Mich aber laß die liebe Hoffnung festhalten,

Daß du mir bald einmal Hephästos sein werdest.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 315-316.
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