Minneweise

[247] Wie holde Schwestern

Blühn die Rosen

Im tiefen Walde rot und weiß;

Da rauschte gestern

Heimlich Kosen

Von Mund zu Munde lind und leis;

Durchs grüne Laub die Sonne sah -

Klinge, mein Liedel!

Wohl mit, ich weiß, was da geschah!


Unter den Zweigen

Wilder Reben,

Wo tief im Busch der Finke schlug,

Da hat zu eigen[247]

Sich mir gegeben,

Die ich in treuem Sinne trug.

Nun steht mein Herz in Freuden ganz -

Klinge, mein Liedel!

Aus Dornen bricht der Rose Glanz.


Da ihr zum Ruhme

Meinem Liede

Gesagt, es sei wie duft'ger Wein,

Soll seine Blume

Hinfort nur Friede

Und alle Lust der Minne sein.

Gott wolle, daß es so gescheh' -

Klinge, mein Liedel!

Doch klinge nimmermehr: O weh!

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 247-248.
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