Morgenländischer Mythus

[371] Welch ein Schwirren in den hohen Lüften

Nächtlich überm Kaschmirsee! – Von Flügeln

Rauscht's, als kämpften droben Schwan und Rabe

Flatternd hin und her, und wundersame

Stimmen gehn dazwischen, scheltend, flehend.

Weithin trägt den Schall der Wind im Mondlicht.


Danhasch ist's, der dunkeln Geister einer,

Die gebannt sind aus den obern Lüften,

Danhasch und die schöne Fei Maimune

Vom Gebirge Saleh. Durch die Mondnacht

Leis auf silbernem Wolkenkahne schiffend,

Traf den dunklen Dschinn auf ihrer Bahn sie;

Nun bedräut sie ihn mit heftigen Worten:


»Sohn der Finsternis, sag' an, wie wagst du

Frech mit deinem gottverhaßten Anblick

Meinen Pfad zu kreuzen, ein dich drängend

In die Region, die dir versagt ist?

Weißt du nicht, daß ich mit mächtigem Spruche

Nun dich schmieden könnt' an Kafs Gebirge,

An den steilsten Fels, daß blutige Geier

Langsam dich zerfleischten, oder schleudern

In den See der grausen Rochen Spielwerk?«


Scheu zusammen schrak der Dschinn; die Arme

Streckt' er flehend aus und redet' also:

»Sei mir gnädig, schöne Fei Maimune!

Denn du hast Gewalt, mich zu verderben;

Aber glaub', es konnte nur ein Wunder

So die blöden Sinne mir verwirren,[371]

Daß des Bannes ich vergaß. Doch schwöre,

Schwör, o Holde, Freiheit mir und Leben,

Schwör es mir bei Salomonis Siegel,

Und ich will, was mir geschehn, dir künden.«


Ihm erwiderte drauf die Fei Maimune:

»Nicht verdienst du solche Huld, doch will ich

Gnädig sein. Dich frei zu lassen schwör' ich

Ungestraft bei Salomonis Siegel,

Sprichst du lautre Wahrheit, aber leugst du,

Wehe dir! so schleudr' ich aus den Lüften

In der Fluten Abgrund dich, Verfluchter!«


Tief aufatmend sprach der dunkle Danhasch:

»Hohe Herrin, fern aus Indien komm' ich

Blitzesschnell; du weißt, wie Geister reisen.

Dort am Ganges liegt ein prächtiger Garten,

Palmenreich, gehüllt in Duft. Inmitten

Zwischen Laubgerank und springenden Brunnen

Ruht auf blanken Säulchen eine Kuppel,

Goldne Gitter sind die Wände drunter.

Aber drinnen wohnt die Königstochter

Badur, die so lieblich wie der Mond ist.

Ach, ich weilte dort den langen Abend,

Konnte mich nicht satt schaun an der Holden,

Wie sie Laute schlug und sang und lachend

Mit dem schönen farbigen Vogel spielte,

Der im silbernen Reif zu ihren Häupten

Hin und her sich schwang. So oft ich zögernd

Von dem reizenden Bild die Augen kehrte,

Immer wieder zog's mich hin, und endlich,

Als ich floh, gedacht' ich tief im Herzen

Ihrer nur und achtete nicht des Weges.

Doch gewiß ist dies: sie ist das schönste

Unter allen lebenden Menschenkindern.«


Zornig blickt' ihn an die Fei, und: »Töricht«,

Sprach sie, »redest du, o dunkler Danhasch.

Weil die Königstochter dir den dumpfen[372]

Sinn verwirrte, hältst du sie für einzig.

Aber wisse, schöner, zehnmal schöner

Ist der schlanke Jägersmann Nurreddin,

Den ich rasten sah bei Mondesaufgang

Unterm Fichtenbaum am Berge Saleh.

Reizend lag er da, aus frischem Schlummer

Wie die Sonn' aus Meereswellen atmend.

Wär' er nicht ein Mensch, ich müßt' ihn lieben!«

»Zürne nicht«, versetzt' der Dschinn, »ich habe

Lautre Wahrheit dir, o Fei, verheißen,

Lautre Wahrheit red' ich. Mag der Jäger

Schlank und hoch sein wie des Bergs Zypresse,

Blühend wie die junge Morgenröte –

Dennoch schöner ist die liebliche Badur.«


Also stritten in der Luft die Geister

Überm See noch viel mit heftigen Worten,

Sie den Weidmann, er die Jungfrau preisend.

Doch zuletzt beschloß die Fei Maimune:

»Zwar nicht Ehre bringt es, solchen Gegner

Siegreich zu bestehn, doch meine Laune

Gönnt es dir, daß wir Entscheidung suchen,

Drum wohlauf! Entfalte deine Schwingen,

Nach dem Palmengarten fleuch am Ganges,

Und die Königstochter trag' im Schlummer

Auf mein Schloß; du sollst in seinen Toren

Schon den Jägersmann Nurreddin finden;

Auch ein Schiedsmann wird uns dort bestellt sein.«


Sprach's, und eilig zog das Silberwölkchen,

Das sie trug, von scharfem Wind getrieben,

Wie ein wilder Schwan zum Berge Saleh.

Aber Danhasch breitete seine schwarzen

Fittich' aus und flog hinab gen Indien.


Hastig durch die Lüfte schießt der Falke,

Schneller schwirrt ein Pfeil, am schnellsten aber

Ist der Flug der Geister und Gedanken.[373]


Unter ging der Mond, da sah in seinem

Letzten Silberblick der dunkle Danhasch,

Mit der holden Bürd' aus Indien kehrend,

Liegen schon das Hochgebirge Saleh

Und das Schloß der Fei, auf zackigem Gipfel

Kühn gebaut von Geisterhand. Er schwebte

Drüber bald wie eine Wolke Rauches;

Dann langsameren Flugs herab sich lassend,

Trat er auf das Dach und schritt auf fünfzig

Breiten Stufen nieder in die Hallen.

Aber sanft in seinen Arm gebettet

Wie ein Kindlein schlief die rosige Badur

Ahnungslos. Jetzt rauscht' ein seidner Vorhang

Faltenreich zurück von hoher Pforte,

Und geblendet stand der Dschinn – es strömte

Plötzlicher Glanz ihm in die blöden Augen.

Denn geschlossen in des Saales Decke

Brannt' ein riesiger Demant, wie die Sonne

Seliges Licht in milden Strahlen schießend.

Rings umher an reich durchbrochenen Wänden

Rankt' es grün; unzählige Stauden tauchten

Weiße Blüten, tiefe Purpurkelche

In den spielenden Schein; es wallten tausend

Wohlgerüche durch den lauen Äther.


Aber mitten im Gemach, auf weißen,

Elfenbeinernen Pfosten zierlich ruhend,

Stand ein breites Lager; rote Seide

Floß auf schwellende Polster hingebreitet

Rings herab. In tiefen Schlaf versunken

Ruhte dort der Jägersmann Nurreddin.


Lange stand gebannt der dunkle Danhasch

Regungslos, er hatte nie im Herzen

Solche Herrlichkeit geahnt. Doch endlich,

Auf die Last in seinen Armen blickend,

Schritt er zögernden Fußes hin zum Lager

Und sich beugend legt' er sanft die schöne

Badur an des schlummernden Jünglings Seite.[374]

Leise trat herzu die Fei, zum Lager

Hin die Blicke wendend, und die Lippen,

Die sie schon, den dunkeln Geist zu höhnen,

Halb geöffnet, blieben stumm. In tiefes

Anschaun ganz versunken stand sie schweigend,

Schweigend neben ihr der dunkle Danhasch.


Aber wie am Pomeranzenbaume

Blüt' und goldne Frucht an einem Aste

Oft erscheint, daß du vergeblich sinnest,

Was du missen möchtest, also ruhten

Beieinander jene zwei Erkornen,

Beid' im Bade seligen Schlummers, beide

Von dem unaussprechlichen Reiz umflossen,

Der der Jugend Zauber ist. Ihm ruhte

Auf dem Arm das Haupt; in lichtem Goldbraun

Floß von schimmernder Stirne Lock' an Locke,

Doch um Wang' und Kinn, wie Flaum des Pfirsichs,

Sproßt' ihm Ahnung künftigen Barts; ein leises

Lächeln schwebt' auf seinen blühenden Lippen,

Süßen Traum verkündend. Also lag er

Tiefberuhigt, hingestreckt in Schönheit.

Aber hold in sich geschmiegt, als hätt' ein

Süßverhüllt Geheimnis sie zu wahren,

Lag die liebliche Badur. Leise stieg ihr,

Wie im Schlaf sie atmete, Rosenanhauch

In der Wangen zart durchsichtige Blässe

Blumenhaft. Des Auges holde Seele

Deckten sanft die langen, seidnen Wimpern,

Schwarz wie Nacht, und schwarz in reichen Wellen

Wogt' herab des glänzenden Haares Fülle,

Daß sie fast den silbernen Fuß berührte,

Der verstohlen aus den Falten vorsah.


Endlich sprach die schöne Fei Maimune:

»Sohn der Finsternis, du siehst mich staunen!

Reizender wahrlich, als ich denken mochte,

Ist die Maid vom Palmenhain am Ganges;

Dennoch dünkt der Jägersmann mich schöner.[375]

Doch in eigner Sache Recht zu sprechen

Ziemt sich nicht. Der schönheitskundige Gasban,

Der aus Erz und farbig edeln Steinen

Tag und Nacht am Herd des untern Feuers

Kunstreich für die Burg des Geisterkönigs

Bilder formt, er mag den Streit entscheiden.«


Sprach's und dreimal mit dem Fuße stampfte

Sie den Marmorgrund und murmelte Worte

Dunkeln Sinns, – da öffnete sich der Boden,

Und dem Spalt entstieg der kundige Gasban,

Mißgestaltet selbst, der Schönheit Bildner.

Aus der Werkstatt kam er her, sein dunkles

Antlitz brannte kupferfarb vom heißen

Widerschein der Lohe; grün von Goldstaub

Starrten ihm die kunstgewandten Hände,

Drin er noch die Feile trug. Er neigte

Sich der Fei und sprach die kurzen Worte:

»Was begehrst du? Sprich! Ich bin zur Stelle.«


Ihm erwiderte drauf die Fei Maimune:

»Meister, wohl im ganzen Geisterreiche

Ist kein einziger aller Form und Schönheit

Kundig so wie du, der du im Herzen

Täglich hundertfache Gestaltung aussinnst

Voll von Reiz und dann in Erz sie bildest;

Drum verlangt uns hier nach deinem Spruche.

Sag' uns, welches von den Menschenkindern,

Die auf jenem Lager ruhn, ist schöner?«


Mit neugierigen Augen auf die Schläfer

Sah der kundige Gasban. Freundlich grinsend

Nickt' er mit dem Haupt und schüttelte wieder,

Wie der Kaufmann, wenn er zögernd Gold wägt;

Prüft' und prüft' aufs neu, und endlich sprach er:

»Holde Fei, der Fall ist schwer zu schlichten;

Denn wohin ich auch die Blicke wende,

Find' ich eitel Reiz; und keinen Mangel

Kann ich weder dort noch hier entdecken.[376]

Doch sie ruhn im Schlaf. Der Schönheit Blüte

Aber ist Bewegung, wenn die Seele

In des Auges Glanz, im Schwung der Glieder

Sich enthüllt. Vielleicht, wenn du sie wecktest,

Möchten wir ein billig Urteil finden.«


Zögernd stand die Fei, da schwirrte Danhasch

Schon, zur riesigen Fledermaus verwandelt,

Durchs Gemach. Mit hastigem Flügelschlage

Traf er dann der Jungfrau nackte Sohle,

Sie zu wecken. Doch die Fei Maimune,

Keinen Vorsprung lassend ihrem Gegner,

Ward zur Taube rasch; mit weißem Fittich

Rührte sie des Jünglings lockige Scheitel.


Doch die beiden, aus dem Schlaf erwachend,

Glaubten noch zu träumen, schwankend blickten

Sie sich um, des schönen, unbekannten

Raumes fremde Wunder nicht begreifend.

Und wie Kinder, die der Glanz der Sonne

Blendet, tasteten sie umher. Da rührte

Sacht des Jägers Hand den Arm der Jungfrau,

Und sie sahn sich an. Und wie am Morgen

Erst ein rosiger Schimmer leis am Himmel

Aufgeht, und dann höher, immer höher

Selige Glut emporweht, also zog es

Lodernd über ihr Gesicht; vergessen

Waren rings umher die blühenden Rätsel,

Denn sie schauten sich; sein dunkles Auge

Hing an ihrem blauen. Aber plötzlich

In jungfräulicher Scham zusammenschauernd,

Wandte sich die liebliche Badur. Tränen,

Heiße Tränen brachen aus den langen

Wimpern ihr hervor, sie wollte fliehen.


Doch mit flehender Stimme rief der Jüngling:

»Bleib, o süßes Traumbild, bleib, o Holde!

O wie nenn' ich dich – du meiner Seele

Bester Teil, o wende dich nicht von hinnen![377]

Was ich je vom nächtlichen Wald umsäuselt

Wunderbares träumte, was der Frühling,

Wenn er von den sonnigen Bergesgipfeln

Zwischen Laub und Blüten leis herabstieg,

Ahnungsvoll mir sang, was mir des Herzens

Heilige Hoffnung still verhieß, ich hab' es

Nun gefunden, habe mich selbst gefunden,

Mich in dir – o bleib! –«


Da kehrte leise

Zu dem Flehenden sich zurück die Jungfrau,

Bog ihr glühend Haupt, und durch die lichten

Tränen lächelnd sprach sie: »Ja, du bist es,

Du bist Du und Ich – Du bist mein Leben!«


Stumm in Wonne ruhten nun die beiden

Atemlos. Mit glänzenden Augen schauten

Sie sich an. Sie schlangen ihre Arme

Ineinander, daß sich ihre Locken

Mit dem lichteren Haar des Jünglings mischten,

Und zu seligem Kusse neigte Lippe

Sich an Lippe.


Doch die Fei Maimune

Schwang den silbernen Stab in ihrer Rechten,

Und hernieder von der hohen Decke

Floß melodisches Säuseln, heiße Düfte

Strömten aus den riesigen Blumenkelchen

Schlafberauschend – sieh, und mählich lösten

Sich der Liebenden Arme – ihre Lippen

Rührten nur die Luft, die Wimpern fielen

Ihnen zu – vom Zauber überwältigt

Sanken sie zurück in tiefen Schlummer.


Aber staunend sprach der kundige Gasban:

»Wunder habt ihr mir gezeigt, doch fordert

Keinen Richterspruch! Von beiden jedes

Ist untadelig, aber doppelt reizend

Sind sie eins beim andern – er der schönste

Mann, und sie das schönste Weib auf Erden.«[378]


Sprach's und durch den neu sich öffnenden Abgrund

Fuhr er nieder mit Getös. Doch also

Redete drauf zum Dschinn die Fei Maimune:

»Unser Streit ist aus. Ich unterwerfe

Mich dem Urteil Gasbans, welches keinem

Sieg erteilt. Du aber, dunkler Danhasch,

Auf und trag im Flug die schlafende Jungfrau

Heim gen Indien! Eh' der Tag im Osten

Wieder dämmert, muß die Fahrt vollbracht sein.«


Wie die Fei gebot, so tat der Dunkle.

Aber sie, den leichten Wolkenwagen

Rasch besteigend, schwebte mit dem Jüngling

Nach der Waldschlucht am Gebirge Saleh.

Dort am Fichtenbaume, wo sein Jagdspeer

Frisch betaut noch lag im Rasen, lehnte

Sie den Schlafenden hin und floh von dannen.

Als sie aufstieg, krähten schon die Hähne.


Prangend wie ein Fürst, der siegreich einzieht,

War der goldne Morgen aufgestiegen

Über Indiens Hochgebirg'. Ihm hatten

Tausend frisch erschlossene Blumenkelche

Ihren Weihrauch hingestreut, und lieblich

Floß balsamische Luft um Tal und Höhen.


Doch im Königsgarten an des Ganges

Palmenufer war mit Sonnenaufgang

Fröhlich klingendes Leben wach geworden.

Frühe schon, bevor des Tages Strahlen

Unbescheiden durch die Zweige lauschten,

Hatten dort der Königstochter Jungfraun

Sich erquickt am Bad im schattigen Teiche,

Der vom Dickicht blühender Waldjasminen

Hoch umbüscht war. Aber vor der Herrin

Spielt' in Jugendlust auf sonnigem Rasen

Jetzt die muntere Schar. Sie rührten Zimbeln,

Schlugen Tamburin und schlangen Tänze;

Andre warfen schimmernde Purpurbälle,[379]

Daß die Luft von Schellen klang, und lachten,

Wenn die greifende Hand den Fang verfehlte.

Aber auf den breiten Marmorstufen,

Die empor zum luftigen Gittersaale

Führten, saß, gesenkt das holde Köpfchen,

Still die liebliche Badur. Nicht wie früher

Mochte sie den Scherz der Schwestern teilen

Noch im Tanz die flüchtigen Sohlen regen

Leichtbeschwingt. Denn wie sich der Granatbaum,

Wenn er prangt im grünsten Schmuck der Blätter,

In der ersten Nacht des warmen Frühlings

Jäh verwandelt und von tausend Blüten

Plötzlich brennt in fürstlicher Glut – so war ihr

Über Nacht das Herz verwandelt worden.

Alle höchste Lust des Menschenlebens

Kannte sie und allen Schmerz, und leise,

Wie sich selbst zur Ruh' beschwichtigend, sang sie:


»O, wo weilst du, Leben meines Lebens,

Schönes Traumbild, aber meiner Seele

Mehr als Traum, du, aller meiner Gedanken

Holder Liebling, meiner Liebe König!

Ach, nicht kann ich ja nach deinen Spuren

Durch die Wälder pilgern noch der Berge

Wildnis und das stürmische Meer durchschweifen,

Dich zu suchen! – Aber still im Herzen

Will ich dir die heilige Stätte rüsten!

Meines Mittags Kühlung, meiner Nächte

Mondlicht soll es sein, in treuen Sinnen

Dein zu denken, bis du einst, o Hoher,

Mild herab dich neigst in meine Kreise.

Aber komm! O komm! Ich sterb' in Sehnsucht.«


Also sang am blühenden Gangesufer

Leise vor sich hin die liebliche Badur.

Aber in der Schlucht am Berge Saleh

Lag zur Stunde noch in tiefem Schlummer,

Wie er nach unruhiger Nacht der Jugend

Wimpern drückt, dahingestreckt Nurreddin.[380]

Über seinem Haupt mit leisem Rauschen

Wogt' im Blau des Fichtenbaumes Krone

Hin und her: es quoll behaglich murmelnd

Seitwärts übers Felsgestein durch dichtes

Oleandergebüsch herab ein Bächlein.

Doch, die Schatten lösend, immer höher

Schwebte nun die Sonne. Ihre Strahlen

Wärmten schon des Jünglings Brust, jetzt trafen

Sie den blühenden Mund, und endlich blendend

Rührt' ihr Glanz die festgeschlossenen Wimpern.


Hastig fuhr er auf, mit starren Blicken

Schaut' er suchend um. Er schloß die Augen

Nochmals, gleich als zweifl' er, daß er wache,

Und dann blickt' er spähend wie ein Falke

Wieder um sich her. Doch nichts gewahrt' er

Als die waldige Schlucht, zu seinen Füßen

Ein unendlich Meer von grünen Wipfeln,

Fichten und Platanen, und dahinter

Weitgedehnt das sonnige Land, vom blauen

Hochgebirg' am fernen Saum umschlossen.


Auf nun sprang er, doch am Jagdspeer lehnend

Blieb er stehn und sann; und wie er tiefer,

Immer tiefer in Gedanken wühlte,

Wehte wie der Nachglanz eines Traumes

Hohe Röte um sein schönes Antlitz.

»Dies sind Wunder«, sprach er, »nein, es täuschte

Mich kein Gaukelbild mit irrem Blendwerk.

Daß ich Wahrheit sah, glückselige Wahrheit,

Ach, mir sagt's mein Herz, das heimwehtrunken

Nur noch ein Verlangen kennt, mir sagt es

Dieser tödlich brennende Schmerz im Busen.

Aber ihr, ihr fernher ziehenden Lüfte,

Kündet mir, wo find' ich sie? Ihr Wolken,

Die ihr weit auf Berg und Tal herabschaut,

Sprecht, wo steht ihr Haus? – Und wär's im fernen

Ozean gebaut auf felsigem Eiland,

Wär's umringt von siebenfacher Mauer[381]

Hoher Flammen, dräute jeder Schritt mir

Unausbleiblichen Tod, ich muß sie finden!

Und du, süßes Bild, nach dem vergebens

Ich die sehnsuchtsvollen Arme breite,

Nimm, o nimm im schwebenden Windesodem

Meine Grüße, nimm die glühenden Seufzer

Dieser Brust, nimm hin die ganze Seele!

Glaub', ich komm', ich komme. All mein Leben

Soll ein Wandern sein nach dir, ein Ringen

Mit der Welt um dich. Ich will nicht rasten,

Bis den Tod ich oder dich gefunden.«


Also rief der Jüngling, in den goldnen

Schein des Morgens weit die Arme streckend,

Feuchten Blicks. Dann aber, rasch entschlossen

Seine Pilgerschaft beginnend, eilt' er

Längs dem Bach hinab zur Tiefe. – Rauschend

Schlug die Waldnacht hinter ihm zusammen.


Glück auf seinen Weg, und leite günstig

Ihn ein Stern! – Denn weiter führt die Sage

Nicht den Jüngling. Ob der Sehnsucht Irrfahrt

Wonnevoll den köstlichen Preis errungen,

Ob die Herzen, wund vom Pfeil der Schönheit,

Sich in heimlicher Glut verzehrt – der Sänger

Weiß es nicht. Beglückter Liebe Weise

Ward ihm lange fremd. Aus tiefster Seele

Sang er euch dies Lied der ewigen Sehnsucht.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 371-382.
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