Der Templer

[281] Durchs Haus des Ordens bei des Tags Verfärben

Schleicht unheilvolle Kunde hin und her:

»Der Tempelmeister Odo liegt im Sterben.«


Und jedem, der sie hört, bewölkt sich schwer

Die heitre Stirn, und seine Lippen fragen:

»Ist's möglich? Der soll uns verlassen, der?


Er geht dahin, der noch vor wenig Tagen

Den wilden Berberhengst zu stöhnen zwang,

Der mit der Faust den Panther jüngst erschlagen?


Der in der Feldschlacht wildverworrnem Drang,

Bespritzt mit Blut bis zu den Gürtelschnallen,

Zu Todesstreichen Liebeslieder sang?[281]


Auch er! So soll er nie beim Würfelfallen

Mit uns durchzechen mehr die tiefe Nacht,

Der einzige, der nüchtern bleibt von allen;


Nie soll er mehr, von toller Brunst entfacht,

Ein hold schwarzäugig Heidenkind umwinden,

Von dessen Lippen heiß die Wollust lacht!


Auch werden wir ihn nimmer wandelnd finden

Im Mondschein auf der Mauern weitem Rund

Und mit den Sternen sprechend, mit den Winden.


Denn mancherlei Geheimnis ward ihm kund,

Und seltsam mag's um seinen Glauben stehen;

Doch tat er nie darüber auf den Mund.«


So summt die Rede, und die Ritter gehen

Zu Odos Zelle, noch ein letztes Mal

Ihn, der des Ordens Pfeiler war, zu sehen.


Sie treten ein. Im fahlen Dämmerstrahl

Auf seinem Binsenlager ruht der Blasse;

Aus seinem Auge brennt des Fiebers Qual.


Die Hand, als ob sie noch nach Leben fasse,

Greift irr umher, die Lippe krampft sich an,

Daß sie des Schmerzes Schrei hervor nicht lasse.


Da naht im ernsten Zuge der Kaplan

Mit Kreuz und Kerzen beim Gesang der Lieder,

Der Kranke soll den letzten Trost empfahn.


Und vor dem Sakramente sinken nieder

Aufs Knie die rotbekreuzten Brüder all,

Er aber richtet auf die hagern Glieder.


Und seine Stimme ruft mit dumpfem Schall,

Wie wenn im Sturm geborstne Glocken läuten:

»Hinweg! Nicht bin ich eurer Furcht Vasall!


Hinweg mit Formeln, die mir nichts bedeuten!

Ich will nicht Tröstung. Immer war's mein Brauch,

Das, was mir not war, selbst mir zu erbeuten;[282]


Den Sieg der Schlacht, der Minne glühnden Hauch,

Die Wahrheit selber, die ich nackend schaute;

Nun kommt der letzte Feind, ich zwing' ihn auch.


Was starrt ihr alle, gleich als ob euch graute,

Lebend'ge Säulen wie das Weib des Lot?

Ich denke, klar sind meines Spruches Laute.


Hat einer einst den Tod gemacht zu Spott

Und ihn gekrümmt zu seinem Fuß gesehen:

Ich tu's ihm gleich. Der Will' in mir ist Gott.


Und dieses Wort lass' ich an euch ergehen:

Kraft meines Willens und kraft meiner Kraft

In dreien Tagen werd' ich auferstehen.


Ich will, ich will -« In Murmeln grausenhaft

Erstirbt das Wort, sein Auge stiert im Kreise,

Er schlägt zurück aufs Bett, vom Tod entrafft.


Die Ritter stehn verstummt, sie schaudert leise;

Der Priester aber heißt das Rauchfaß schwenken

Und summt gebeugt die dumpfe Totenweise.


Und als herauf der Mittnacht Sterne lenken,

Da wallt der Zug, bei düsterm Fackelschein

Im Münsterchor den Leichnam zu versenken.


Die offne Gruft empfängt den schwarzen Schrein,

Drauf sie zum Wappen Schwert und Mantel legen;

Dann wälzt sich drüber hohlen Schalls der Stein.


Ein kurz Gebet - und auf geschiednen Wegen

Sucht jeder sein Gemach verstört im Sinn

Und träumet bang dem Morgenrot entgegen.


Es steigt der Tag, und ruhig vom Beginn

Zum Ende schlingt sich seiner Stunden Kette;

Der zweite kommt, der dritte schwindet hin.


Doch als die dritte Mitternacht zur Mette

Die Brüder all' versammelt hat im Chor,

Geht unterirdisch Brausen durch die Stätte.[283]


Und sieh, der jüngste Grabstein birst empor,

Und im gesprengten Sarg aus Bühr' und Linnen

Ringt langsam sich ein greulich Bild hervor.


Das Auge stumpfverglast gekehrt nach innen,

Im fahlen Antlitz der Verwesung Graus,

So strebt es auf, als wollt's der Gruft entrinnen;


Die Lippen regt's, doch dringt kein Ton heraus,

Nun tastet's mit den halbverdorrten Händen,

Nun steigt's und streckt die Arme greifend aus.


Da plötzlich aus der Gruft betropften Wänden

Schießt zischend her von Schlangen ein Gewühl

Und strickt im Knäul sich ihm um Bauch und Lenden.


Mit ihren Leibern feucht und moderkühl

Die ganze Leich' umzingeln sie in Scharen,

Zurück sie zerrend auf den Totenpfühl.


Und als die Brüder mit gesträubten Haaren

Die Fackel nahn, zu prüfen, was sie sahn:

Nur Schlangen können sie und Staub gewahren.


Da starren all' entsetzt. Nur der Kaplan

Hat seines frommen Mutes nicht vergessen,

Und schaudernd spricht er: »Das hat Gott getan!


Über den sünd'gen Geist, der sich vermessen,

Das Werk des Herrn zu tun aus eigner Kraft,

Ist er im Zorne zu Gericht gesessen.


Der Will' ist stark nur, den Gott selber schafft.

Wir aber flehn: In deines Sohnes Namen

Erlös' uns, Herr, einst von des Todes Haft!«


Die Ritter kreuzen sich und murmeln: »Amen.«

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 281-284.
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