Frühlingsbrausen

[266] Nun knospt in Sonnenschein

Das erste Grün der Halde;

Nun lasset ganz allein

Dahin mich gehn im Walde!


Ich will am frühen Duft

Der Veilchen mich berauschen,

Dem Brausen in der Luft,

Dem heil'gen, will ich lauschen.


O Laut, in welchem sich

Zuerst der Lenz enthüllet,

Und der wie keiner mich

Mit süßen Schauern füllet!


Mir ist's, als schlief' in dir

Der Einklang aller Stimmen,

Die später durchs Revier

Des Mais gesondert schwimmen;


Als sprächst du aus gesamt

Die tausend Schöpfungstriebe,

Damit die Welt durchflammt

Der Ratschluß ew'ger Liebe.


Du mahnest wundersam

Mich an das Sausen wieder,

Drin einst zu Pfingsten kam

Der Geist des Herrn hernieder.


Verstummend muß ich dir

Mein Haupt in Andacht beugen:

O komm, zu ruhn in mir

Und heil'ge Kraft zu zeugen!

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 266-267.
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