Im Harz

[369] Ich klomm vom Ilsengrunde

Durch Waldgeklüft und Moor

In früher Morgenstunde.

Den Brockenpfad empor.


In Busch und Wipfeln sauste

Der Wind mit frischem Schall,

Dazwischen wogt' und brauste

Von fern der Wasserfall.


Und steiler ward's und steiler,

Jetzt schloß der Forst sich auf,

Und stärker quoll vom Meiler

Der Brandgeruch herauf.


Und jetzt, vom Dunst umwoben,

Erblickt' ich überm Tann

Auf schroffer Wand ihn droben,

Vom Berg den wilden Mann.


Im Eichenkranz, die Lenden

Umspannt vom Blätterschurz,

Stand er, die Keul' in Händen,

Hoch überm Wassersturz.


Und wie der Schaum die Klippen

Hinabschoß ohne Ruh',

Sang er mit bärt'gen Lippen

Ein mächtig Lied dazu:


»Zwei Dinge lernt' ich preisen

Von alters her zumeist:

Im Berge wächst das Eisen,

Im Walde rauscht der Geist.


Die beiden halt in Ehren,

So wird im Zeitenlauf

Kein Feind dich je versehren;

Glückauf, mein Volk, Glückauf!«[370]


Er sang's, und steigend wallte

Der Nebel um ihn her,

Und als das Lied verhallte,

Gewahrt' ich ihn nicht mehr.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 369-371.
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