[297] So wölbst du wieder über mir
Dein Schattenzelt von Ast zu Ast?
Willkommen, trautes Waldrevier,
Du Stätte meiner Jugendrast!
Dahingerauscht sind zwanzig Jahr',
Seit ich bei dir zu Gaste war.
Die Sonne scheint herab auf euch,
Ihr Buchen, wie sie weiland schien,
Es singt im blühnden Dorngesträuch
Der Fink die alten Melodien;
Das Bächlein rauscht am alten Ort,
Und wie im Traume wandl' ich fort.
Doch plötzlich hier zum Meer hinab
Vertauscht erscheint mir rings die Welt;
Im Walde lag das Hünengrab,[297]
Nun liegt es auf dem freien Feld,
Und wo der Jüngling einst dem Horn
Des Jägers lauschte, wogt das Korn.
Gesegnet sei dem Bauersmann
Des treu bestellten Ackers Frucht!
Doch tiefe Wehmut fällt mich an,
Gedenk' ich an der Dinge Flucht.
Ach, wie das Grün des Waldes schwand
Die Blüte, drin mein Leben stand.
Wo sind die Tage klar und reich,
Da ich im laub'gen Junimond
Der sommerfrohen Schwalbe gleich
Im alten Forsthaus dort gewohnt,
Da jedes Frührot, jede Nacht
Beglückend mir ein Lied gebracht?
Wo sind die Freunde, die mir dort
Den Becher gastlich eingeschenkt,
Der starke Bruder, dessen Wort
Begeisternd uns wie Wein getränkt?
Ach, hingesunken, Haupt an Haupt,
Den Wipfeln gleich, die hier gelaubt.
Genug des Harms! Empor, mein Herz,
Und halt im Wechsel mutig Stand!
Zu tragen lerne großen Schmerz,
Wer große Freuden einst gekannt,
Und wer im Eignen Schiffbruch litt,
Der leb' im Ganzen doppelt mit.
Der Rasen deckt mein bestes Glück,
Und schleichend Siechtum blies mich an;
Doch preis' ich dankbar mein Geschick,
Das mir bis heut den Faden spann:
Ich sah's noch, wie mein Vaterland
Zu jungen Ehren auferstand.
Und ob der Rost der Jahre mir
Gemach den Ton der Harfe dämpft,
Noch flattert meines Lieds Panier,[298]
Wo man für Reich und Kaiser kämpft,
Und mahnt, wo zwischen Gau und Gau
Der Main sich wälzt, zum Brückenbau.
Getrost denn, einsam Herz! Es zieht
Hell vor dir her wie Frührotschein;
Du darfst vielleicht dein letztes Lied
Dem Tag noch aller Deutschen weihn,
Dem Tag des Heils, von dem du kühn
Hier einst geträumt im Waldesgrün.
Sommer 1869.
Ausgewählte Ausgaben von
Spätherbstblätter
|
Buchempfehlung
Der Teufel kommt auf die Erde weil die Hölle geputzt wird, er kauft junge Frauen, stiftet junge Männer zum Mord an und fällt auf eine mit Kondomen als Köder gefüllte Falle rein. Grabbes von ihm selbst als Gegenstück zu seinem nihilistischen Herzog von Gothland empfundenes Lustspiel widersetzt sich jeder konventionellen Schemeneinteilung. Es ist rüpelhafte Groteske, drastische Satire und komischer Scherz gleichermaßen.
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro