Einleitung

Sommer 1841.


In vor'gen Tagen manch ein Lied von Lust und Liebe sang ich euch,

So wie's zur schönen Rosenzeit der Vogel singt im Waldgesträuch;

Die Jugend floh, die Lust verlosch, da stellt' ich alles Singen ein,

Und alten Sagen forscht' ich nach in Spaniens Pomeranzenhain.


Da kam ein Beben in die Welt, hohlbrausend wuchs der Zeiten Sturm,

Die Eiche bog ihr knotig Haupt, in seinen Festen brach der Turm;

Und als ich nun vom Pergament die Augen hob und sah umher,

Da schien der Osten feuerrot, im Westen hing's gewitterschwer.


Und rings die Völker sah ich stehn im Widerschein des Flammenlichts,

Gewappnet und erwartungsvoll, als harrten sie des Weltgerichts;

Doch murrt' es auch nur dumpf und fern, ich sah, daß nah ein Kampf uns ist

Von Nacht und Licht, von Geist und Stoff, ein Kampf von Gott und Antichrist.


Und mächtig faßte mich Begier, mitauszufechten solchen Streit,

Doch was vermag ein einz'ger Arm, ein schwacher Arm in unsrer Zeit?[171]

Da sprach mein Herz: Es ist der Reim des Sängers Wehr in Ernst und Scherz,

Und da von Erz die Zeiten sind, so sei'n die Lieder auch von Erz.


Wohlauf, wohlauf denn, mein Gesang, und wandle klingend deinen Schritt!

Ich geb' als werten Talisman das Kreuz dir in die Schlachten mit;

Der Freiheit Röslein hell im Schild, des Geistes Schwert in fester Hand,

So schreit, ein wackrer Rittersmann, geharnischt durch das deutsche Land.


Und lächelt ihr, daß meine Brust so sicheres Vertrauen hegt,

Bedenkt: Es ist das Dichterherz die Glocke, die die Stunde schlägt;

In ihm versammelt sich der Hall, der murmelnd läuft von Haus zu Haus,

Und vollen Schwunges sendet's ihn melodisch in die Welt hinaus.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 171-172.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Zeitstimmen
Zeitstimmen: Zwölf Gedichte (German Edition)